Die Entwicklung der Kinderzeichnung

Die Veränderung des Kinderbildes bis zur späten Kindheit

»Die Kraft, mit der ein Kind wird und wächst, ist es auch,
die ihm die Hand führt bei seinem Kritzeln und Malen.«

( Lebéus: Kinderbilder und was sie uns sagen )

Dieses Zitat sagt uns, dass man keinem Kind das Malen und Zeichnen beibringen muss, weil die bildnerische Gestaltung ebenso einem Entwicklungsprozess unterliegt wie andere Entwicklungsbereiche des Kindes auch. So, wie das Kind brabbelt und lallt, bevor es die ersten Wörter sprechen kann, so, wie es krabbelt, bevor es sicher auf zwei Beinen läuft, so differenziert sich auch die Bildsprache des Kindes nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Jeder Entwicklungsabschnitt wird dabei von jedem Kind auf individuelle Weise durchlebt, wobei sowohl ein längeres Verweilen in einer Phase als auch das Überspringen von Phasen völlig normal sind. Zeit- und Leistungsdruck führen zu keinerlei Verbesserungen, sondern behindern im Gegenteil das Kind bei der Entfaltung seiner Fähigkeiten.
Die folgende Zusammenfassung der malende Kinderverschiedenen Entwicklungsphasen, die in einer Kinderzeichnung sichtbar werden, enthalten zwar Altersangaben, diese sind aber als ermittelte Durchschnittswerte zu verstehen, an denen Kinder keinesfalls gemessen werden sollten.
Wer Kindern Anweisungen oder Ratschläge gibt, was und wie sie zu malen haben, erfährt nichts über das Kind, denn die Bildersprache ist eine Ausdrucksweise wie die Verbalsprache. Wie man auch das Plappern und Brabbeln von Kleinkindern nicht einschränken darf, um ihre Sprachentwicklung nicht zu gefährden, sollte man auch das Kritzeln und Malen des Kindes nicht unnötig beeinflussen, wenn man nicht riskieren möchte, dass seine Phantasie und seine Freude am Malen womöglich für immer eingeschränkt werden. Das experimentierende Malen ist wichtig, damit das Kind seine ganz eigene Bildersprache entwickeln kann und damit eine ausdrucksstarke Kommunikationsform erwirbt. Das Kritisieren und Verbessern des zeichnerischen Ausdrucks von Kindern hingegen führt dazu, dass die Kinder eine negative Einstellung hinsichtlich ihrer Malfähigkeiten entwickeln und somit bald keinen Spaß mehr am Malen haben. Offenbar geschieht dies sowieso früh genug bei den meisten Menschen, sei es durch Einflüsse der sogenannten Kunsterziehung in der Schule oder durch die psychischen Veränderungen während der Pubertät. Vermutlich sind aus diesem Grund die Kinderzeichnungen für uns, die wir nicht mehr malen, derart interessant:

„Wenn Kinderzeichnungen Gegenstand unserer Neugierde sind, dann deshalb,
weil es keine Erwachsenenzeichnungen gibt.
Der Erwachsene zeichnet nicht, wenn er kein Künstler ist.“

(Widlöcher: Was eine Kinderzeichnung verrät)
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Das einzig richtige Verhalten gegenüber des Kindes in der Malentwicklung ist also, ihm geeignete Malwerkzeuge zur Verfügung zu stellen, zu denen es immer freien Zugang hat. Kinder malen gerne in Gesellschaft, also kann man sich dazusetzen, auch etwas malen oder, wenn das Kind möchte, sich unterhalten. Nach Fertigstellung des Bildes ergibt sich ein interessanter Gesprächsanlass, denn die meisten Kinder sprechen gerne über ihre Werke. Es sollte selbstverständlich sein, dass jedes Bild ohne jegliche Kritik angenommen und bestaunt wird! Bei diesem Vorgehen ist sichergestellt, dass Kinder so lange wie möglich Freude am Gestalten haben und ihre Fähigkeiten sich voll entfalten können.

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Spurschmieren | 0;6 bis 1;7 Jahre

Als früheste Art des bildnerischen Ausdrucks von Kindern lässt sich das sogenannte “Spurschmieren” bezeichnen: lange bevor das Kleinkind motorisch zum Halten eines Stiftes in der Lage ist, produziert es Spuren, die bereits die Freude an der Bewegung erahnen lassen, die einige Monate später auch Antrieb für die ersten Versuche mit Stiften und Papier sein wird. Kleinkinder hantieren in dieser Phase gerne mit allen flüssigen und teigigen Materialien (Wasser, Brei, Sand, Schnee, aber auch Kot), was aber von Seiten der Erwachsenen aufgrund des hohen Schmutz- und Fleckenfaktors meistens stark eingeschränkt und mit wenig positiven Reaktionen bedacht wird.

Kritzeln | ca. 1;0 bis 3;0 Jahre

An das Schmieren schließt sich eine für Erwachsene tolerierbarere Form des Spurenhinterlassens an: sobald das Kleinkind fähig wird, einen Stift zu ergreifen, produziert es auf verschiedenen Flächen (wenn man viel Glück hat, auch mal tatsächlich auf einem dafür vorgesehenen Papier ;)) verschiedenartige Kritzel, die aus den rhythmischen und schwungvollen Arm- bzw. Handbewegungen des Kindes entstehen. Die Spur, die diese motorische Tätigkeit hinterlässt, ist dabei zunächst noch bedeutungslos für das Kind; sie wird nicht bemerkt und hat keinerlei regulierenden Einfluss auf die Tätigkeit des Kritzelns, das vom Kind noch völlig unkontrolliert ausgeführt wird. Daher sind Kritzelbilder noch Zeichnungen ohne Inhalte. Zunächst kann das Kind auch weder vor noch nach dem Kritzeln angeben, was sein Bild darstellen soll, denn es malt ja nur aus Freude an der rhythmischen Bewegung. Irgendwann jedoch entdeckt das Kind den Zusammenhang zwischen seiner Aktivität und der entstehenden Spur auf der Unterlage. Von jetzt an ist die Sichtbarkeit des Gekritzelten für das Kind wichtig. Es hat erkannt, dass es mit dem Stift etwas bewirken kann, der Umwelt etwas von sich “aufdrücken” und eine “Ich-Spur” hinterlassen kann.
Da das Zeichnen eng an die Motorik gebunden ist, drücken sich im Kritzeln die Rhythmen der motorischen Entwicklung aus und in der folgenden Zeit entstehen unterschiedliche Kritzelereignisse durch die Verlagerung der Zeichenbewegung vom Schulter- in die Fingergelenke. Die folgenden “Kritzelphasen” stellen Durchschnittsalter dar, in dem ein Kind sein Kritzelrepertoire um charakteristische Formen erweitert. Es kommen aber immer mehrere dieser Gebilde gleichzeitig vor und es existieren auch weitere zufällige Formen wie lange Linien oder Ecken:

Hiebkritzeln, ab ca. 1;0 – 1;3 Jahre:

Die Arme werden mit dem Stift in der Hand vom Schultergelenk aus bewegt. Das Kind erkennt den Zusammenhang zwischen seiner Bewegung und den geschaffenen Zeichen noch nicht.

Schwingkritzeln, ab ca. 1;3 – 1;8 Jahre:

Das Schwingkritzeln ist die am längsten vorherrschende Form des Kritzelns. Aus dem Ellbogengelenk heraus entstehen gleichgerichtete, dichte Strichlagen in der Mitte des Blattes.

Kreiskritzeln, ab ca. 1;9 – 1;11 Jahre:

Das Kritzeln erfolgt jetzt bereits aus dem Handgelenk heraus, so dass das Kind zu einer differenzierteren, gelenkteren Bewegung fähig ist. Es entstehen kreis- und spiralförmige Gebilde (“Urknäuel” genannt).

Bezüglich der Farbgebung steht in der Kritzelphase eine wahllose Verwendung aller gegebenen Stifte und Farben im Vordergrund. Malt das Kind mit Wasserfarben, streicht es unbekümmert mehrere Farbschichten übereinander und stört sich nicht an dem entstehenden unansehnlichen Braunton.
Die Verteilung der Elemente auf der Zeichenfläche verändert sich von einer massierten Häufung über eine verstreute Verteilung zu einer bewussten Isolierung in Einzelformen, sobald das Kind in der Lage ist, den Stift willentlich abzuheben und neu anzusetzen.
Von diesem Zeitpunkt an kann das Kind auch wiederholbare Zeichen und Überschneidungen produzieren wie das “Urkreuz”, welches in der folgenden Zeit auf vielen Bildern des Kindes einen Niederschlag findet und auch einen Übergang zu differenzierteren Darstellungen herstellt (siehe “Kopffüßler”). Auch die Fähigkeit, ein kreisartiges Gebilde zu einem geschlossenen Kreis zusammenzuführen, weist auf das Ende der Kritzelphase hin (um das dritte Lebensjahr herum).

(Klick macht größer) Kritzeln mit nachträglicher Bedeutungsgebung: “Krokodil mit Zunge, das einen Fisch frisst und meine Unterschrift”. (Joyce, 3;7 Jahre)

Die letzte Etappe der Kritzelphase wird eingeleitet, wenn das Kind mit frühestens 2,5 Jahren beginnt, seine Zeichnungen zu kommentieren. Der Zeitpunkt der Benennung des Gemalten verlagert sich dabei zunehmend nach vorne; zunächst gibt das Kind seinen Zeichnungen erst nachträglich eine Bedeutung (weil die Erwachsenen ja immer nachfragen ;)) und erzählt etwas über sein Bild, dann äußert es sich bereits während des Zeichenvorgangs und schließlich vor Beginn des Malens. Insgesamt ist diese Bedeutungsgebung aber noch ziemlich instabil – ein und dasselbe Bild kann innerhalb von kurzer Zeit verschiedene Bezeichnungen und Beschreibungen erhalten. Es besteht auch noch eine sehr große Diskrepanz zwischen der vom Kind verbal vermittelten Bedeutung und dem Liniengefüge auf dem Papier, das meistens alles mögliche darstellen könnte. Daran ist erkennbar, dass das Malen gegen Ende der Kritzelphase noch immer sehr stark bewegungsdeterminiert ist und weniger eine darstellerische Wiedergabe bezweckt. Sobald aber die motorische Lust als Motiv hinter die Darstellungsabsicht zurücktritt, tritt das Kind in die nächste Phase seiner Malentwicklung ein, die durch die sogenannten “Kopffüßler” charakterisiert ist.

Kopffüßler | ab ca. 3/4 – 5 Jahre

Tastkörper

Der Kopffüßler gehört zu den ersten Mensch- oder Lebewesendarstellungen des kleinen Kindes. Er entsteht nach und nach aus den sogenannten Tastkörpern, bei denen viele Fühler und Taster von einem kreisartigen Gebilde in alle Richtungen ausgehen. Von den Erwachsenen werden diese Strahlengebilde oft als “Sonne” betitelt. In der Forschung zur Kinderzeichnung wird hingegen nicht davon ausgegangen, dass das Kind eine Sonne zeichnen will, sondern dass es unbewusst in der Gestalt seinen eigenen Entwicklungsstand ausdrückt, der in diesem Alter durch eine deutliche Hinwendung zur Außenwelt (weg vom egozentrischen Selbst) gekennzeichnet ist. Es meint also mit den Tastkörpern mehr ein Tasten, Strahlen, Fühlen und Aufnehmen als ein bestimmtes Objekt aus seiner Umgebung.
In der Zeit zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr reduziert das Kind schließlich die Anzahl der Fühler

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(Klick macht größer) Kopffüßler mit Gesichtsandeutung. (Melanie, 3;10 Jahre)

des Tastkörpers, bis nur noch zwei bis vier übrig bleiben: die erste Menschdarstellung wird, häufig zusätzlich mit Teilen des Gesichts versehen, erschaffen. Diese Kopffüßler zeichnen sich – wie ihr Name schon sagt – also dadurch aus, dass sich die Beine des Lebewesens direkt an den Kopf anschließen, während der Rumpf fehlt. Oft werden zusätzlich Arme vom Kopf ab gezeichnet.
Für diese interessante Abweichung von der Menschenform, die ja fast alle Kinder für gewisse Zeit produzieren, werden verschiedene mehr oder weniger plausible Erklärungsansätze diskutiert:

  • Das Kind weiß nicht, dass es einen Bauch gibt und vergisst, ihn einzuzeichnen, weil er ihm nicht bedeutsam ist.
    Diese Möglichkeit erscheint eher unwahrscheinlich, weil gerade der Bauch dem Kind von Geburt an unangenehme Signale vermittelt wie Hunger oder Bauchweh. Zudem wurde in Studien herausgefunden, dass bereits Kinder, die noch keine Kopffüßler zeichnen (also noch jünger sind), auf Nachfrage den Bauch als Bestandteil des menschlichen Körpers nennen können.
  • Der Bauch der Figur liegt zwischen den Beinen, ohne dass seine untere Grenze markiert wird.
    Für diese Annahme spricht, dass die meisten Kinder, die in Studien aufgefordert wurden, einem Kopffüßler einen Nabel hinzuzufügen, diesen in den Leerraum zwischen den Beinen platzierten. Einige wenige Kinder setzten den Nabel auch in den Kopfkreis der Figur, was bedeuten würde, dass sie den gesamten Körper abgesehen von den Extremitäten einfach als ein “Ganzes” zeichnen.
  • Eine weitere Hypothese geht davon aus, dass sich der Kopffüßler deshalb so lange in den Zeichnungen der Kinder halte, weil er wahrnehmungsmäßig plausibel erscheint: obwohl jeder Erwachsene weiß, dass der Mensch objektiv falsch gezeichnet wurde, kann er doch sofort erkennen, dass es sich überhaupt um einen Menschen handelt. Für das Kind selber mag die Plausibilität zusätzlich daher rühren, dass es Erwachsene, die sich zu ihm herunterbeugen, genau wie einen Kopffüßler wahrnimmt: ein großer Kopf mit an der Seite baumelnden Armen auf zwei Beinen. Da das Kind jedoch nicht nur Erwachsene um sich hat, erscheint diese Ansicht ebenfalls etwas fragwürdig.
  • Es ist auch denkbar, dass der Rumpf einfach aus sozusagen ökonomischen Gründen fehlt: das ungeübte Kind fängt seine Zeichnung mit einem viel zu großen Kopfkreis an, was dazu führt, dass für den Rumpf, der ja proportional noch viel größer sein müsste, nicht mehr auf das Papier passt. Ungeklärt bliebe dabei allerdings, warum das Kind es nicht innerhalb der nächsten Versuche besser hinbekommt oder einfach sofort mit besserem Wissen ein neues Blatt anfängt.

Bauchnabel-Test

Am besten, man probiert selber mal, von einem Kopffüßler-zeichnenden Kind Hinweise über die Lage des Bauches zu bekommen, indem man es Bauchnabel oder Knöpfe einzeichnen lässt! Bitte lasst mich in diesem Fall an den Ergebnissen des kleinen Experiments teilhaben und schickt mir eineMail mit dem Ergebnis!

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(Klick macht größer) Exakt ein Jahr nach der obigen Kopffüßler-Menschdarstellung malt dasselbe Kind einen Menschen mit Bauch. (Melanie, 4;10 Jahre)

Neben der Menschdarstellung werden die Elemente des Kopfkreises und der Taster oder Strahlen auch zur Darstellung von Tieren genutzt. Deshalb wird in diesem Zusammenhang auch von einem “ersten Lebewesenschema” gesprochen.
Am Ende der Kopffüßler-Phase wird allerdings eine Umstrukturierung der Schemata notwendig, um die Mitteilungsinhalte der Zeichnungen – die ja für das Kind eine wachsende Rolle zu spielen beginnen – variieren zu können; das Kind fängt an, neben Kreisen und Strichen andere Formen wie etwa Quadrate zu produzieren und für seine Darstellungsabsicht zu nutzen. Es bilden sich aus den beherrschten Grundformen neben Lebewesen auch Häuser mit Fenstern, Autos und Bäume. Das Kind tritt zeichnerisch in die Vorschemaphase ein. Der Kopffüßler verschwindet zugunsten einer realistischeren Menschdarstellung.

Vorschemaphase und Werkreife | ca. ab 4 Jahre

Gegen Ende des vierten Lebensjahres lernt das Kind, die Figuren auf seinem Bild zu organisieren. Man spricht in dieser Phase von der “Geburt des Bildes”, weil die Kinderzeichnung nun zunehmend wie eine bestimmte Szene aufgebaut ist und etwas erzählen kann. Auf dem Weg zur Werkreife weist die Zeichnung eines Kindes besondere Merkmale auf:

  • Die einzelnen Elemente werden an den Koordinaten oben und unten sowie rechts und links des Blattes
    Deutliche Himmels- und Graslinien, sowie Binnendifferenzierungen an vielen Objekten. ( Melanie, ca. 6 Jahre)

    (Klick macht größer) Deutliche Himmels- und Graslinien, sowie Binnendifferenzierungen an vielen Objekten. ( Melanie, ca. 6 Jahre)

    ausgerichtet, es entsteht das sogenannte Streifen- oder Linienbild, indem das Kind, meistens zu Beginn seines Kunstwerks, die typischen Himmels- und Grundlinien einzeichnet. Manchmal werden auch mehrere Standlinien benutzt, um einen Sachverhalt darzustellen (Mehrstreifenbild).

  • Eine Binnendifferenzierung der einzelnen Elemente findet statt, d.h. in den gezeichneten Objekten sind immer mehr Details enthalten, die eine wirkliche Ähnlichkeitsbeziehung zwischen realem und gezeichnetem Objekt sicherstellen. Hierzu gehören z.B. die Ausdifferenzierung des menschlichen Gesichts durch Wimpern, Augenbrauen und Haare, das Hinzufügen von Schornsteinen zu Häusern oder von Früchten und Ästen zu Bäumen.
  • Das Kind weitet sein Repertoire an dargestellten Objekten aus. Am Ende dieser Phase kann es neben
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    (Klick macht größer) Ein Bild, das zur Vorschema-Phase gerechnet werden könnte. (Lara, 4;10 Jahre)

    Menschen auch Kleider, Häuser, Bäume, Wege, Wolken, Autos, Fahrräder, Schiffe, Flugzeuge und viele Tiere (v.a. Vögel, Hunde, Katzen, Pferde, Fische) in seine Bilder einbauen.

  • Die Bilder des Kindes erhalten eine nachweisbare Handlungs- und Erzählstruktur. Dies bedeutet, dass das Kind die dargestellten Objekte in Beziehung zueinander setzt – das Bild stellt eine ganze kleine Szene dar!
  • Auch die Farbgebung erhält im Laufe des vierten Lebensjahres eine immer größere Bedeutung für die Inhalte der Zeichnung, denn Farben werden emotional wahrgenommen und vermitteln Stimmungen. Sobald das Kind diese Entdeckung gemacht hat, nutzt es Farbe gezielt für Gefühlsdarstellungen oder Bewertungen.

Nach dem 5. Lebensjahr spricht man von der “Werkreife” der Kinderzeichnung: die Entwicklung von Motiven und die Bildorganisation sind zu einem vorläufigen Abschluss gekommen, das Kind hat die grundlegenden graphischen Merkmale von Personen und Gegenständen erarbeitet. Danach wird das Bild zwar noch detailreicher und weist mehr Verknüpfungen auf, aber es treten keine prinzipiell neuen zeichnerischen Ereignisse mehr ein.
Trotzdem macht die Kinderzeichnung auf dem Weg zur nächsten Entwicklungsphase noch einige Veränderungen durch:

Um den Schuleintritt des Kindes herum gewinnt die Kinderzeichnung an Unverwechselbarkeit. Jedes Kind bildet jetzt seine ganz spezifischen, auf seinem individuellen Erfahrungsschatz beruhenden Formvarianten und Bildkonzepte. In den vorhergehenden Phasen fand noch keine dahingehende intellektuelle Überarbeitung von Erfahrungen statt, die nun beginnen, die Darstellungsweise des Kindes zu beeinflussen. Die Kinderzeichnung gewinnt jetzt auch an Ausdruck und Mitteilungsgehalten, weil das Kind die Motive und die Organisationsstruktur seines Bildes je nach emotionaler oder motivationaler Aussage anpasst.
Auch das Kind selber wird sich der Kommunikationskraft seiner Zeichnungen stärker bewusst und registriert die Verstehensabsicht und -Bereitschaft des Betrachters. Es versucht daher, die Inhalte seiner Zeichnung so zu verändern, dass (oder bis) sie von seinem Gegenüber verstanden werden.

Schemaphase I | ab ca. 5 – 8 Jahre

Merkmale dieser Phase der Kinderzeichnung in der mittleren Kindheit sind unter anderem:

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(Klick macht größer) Röcke als Röntgendarstellung; dennoch vermutlich kein “echtes” Röntgenbild (Klick auf Bild für weitere Erklärung). (Melanie, 5;6 Jahre)

  • Als besonderes Stilmerkmal der Kinderzeichnung tritt jetzt das “Röntgenbild” auf: das Kind stellt optischerkennbare und aktuell nicht sichtbare Bildebenen gleichzeitig dar, indem es Objekte transparent erscheinen lässt. Z.B. werden die Umrisse eines Hauses gezeichnet, während gleichzeitig Vorgänge im Haus eingezeichnet werden. Die Wand des Hauses ist also transparent. So gewährt das Kind Einblick in das Innenleben von Koffern, Häusern, Körpern usw.
  • Die Größe und Anordnung von Motiven im Bild folgt oft nicht der äußeren, sondern der inneren Realität des Kindes: so werden jene Anteile der Zeichnung, die dem Kind besonders bedeutsam erscheinen (bewusst oder unbewusst) auffallend groß, detailreich oder mittig angeordnet gezeichnet.

Schemaphase II | ab ca. 8 – 12 Jahre

In der späten Kindheit verändert sich das zeichnerische Verhalten des Kindes nocheinmal. Nach dieser Phase hören leider viele Kinder für immer auf, freiwillig zu malen, so dass die allgemeine Entwicklung der Kinderzeichnung hier als abgeschlossen betrachtet werden muss. Tendenzen und Merkmale dieser letzten Phase sind:

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    (Klick macht größer) Verschiedene Häuserdarstellungen. (Melanie, 4;3 – 7 Jahre)

    Die Bilder der Kinder werden detailreicher, so dass die Ähnlichkeit zwischen dem gezeichneten und dem realen Objekt noch einmal beträchtlich zunimmt. So werden z.B. Menschen, Tiere und Häuser um viele individuelle Einzelheiten ergänzt, so dass nicht mehr jedes

    malbildsteilhorizontgr

    (Klick macht größer) Ein recht typisches Steil- oder Horizontbild. (Melanie, ca. 9 Jahre)

    Haus, das das Kind malt, gleich aussieht, sondern vielmehr die reale Unterschiedlichkeit von Häusern (Menschen, Tieren…) zu berücksichtigen vermag.

  • Zunehmend beachtet das Kind die Größenrelationen in seinem Bild. Weiter vom Betrachter entfernt liegende Objekte werden entsprechend kleiner im oberen Bereich des Bildes dargestellt. Das sogenannte “Steilbild” oder “Horizontbild” entsteht.

    malbildperspektivegr

    (Klick macht größer) Objekte mit dritter Dimension (Tische, Schrankfächer) (Melanie, 11 Jahre)

  • Außerdem versucht das Kind ab etwa 10 Jahren, die dritte Dimension in seine Darstellungen einzubeziehen. Tische z.B. erhalten eine von der Seite sichtbare Tiefendimension, indem die Tischoberfläche
    malbildformalgr

    (Klick macht größer) Ausschnitt einer sogenannten “hochformalen” Zeichnung (Grundriss), die allerdings nach der Schemaphase II, im Jugendalter, entstanden ist. (Melanie, ca.14 Jahre)

    perspektivisch eingezeichnet wird.

  • Gegen Ende der zweiten Schemaphase treten hochformale Zeichnungen auf, z.B. Grundrisse von Gebäuden oder Querschnitte von Schiffen.
  • Des weiteren neigen manche Kinder in ihren Zeichnungen nun zu Karikierungen, Übertreibungen und Ironisierungen, die mit einer Vergröberung des Einzelobjekts einher gehen. Möglicherweise steht hinter dieser Darstellungsform die Angst vor unzulänglicher realistischer Wiedergabe, letztlich also eine Unsicherheit bezüglich der eigenen künstlerischen Fähigkeiten. Dies kann sogar so weit gehen, dass Kinder in ihre Bilder lieber Sprachelemente einfügen, anstatt das gemeinte Objekt zu zeichnen. Hiermit deutet sich bereits das Ende des “Malalters” an.

Literatur:
Lebéus, A.: Kinderbilder und was sie uns sagen. Weinheim 2001.
Richter, H.-G.: Die Kinderzeichnung. Berlin 1995.

Kinderzeichnungen-Galerie

Zur Verdeutlichung der verschiedenen Entwicklungsphasen der Kinderzeichnung werden in der  Galerie Werke von Kindern gesammelt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr, die Ihr diese Seite gelesen habt, auch ein Malbild von einem Kind oder aus Eurer eigenen Kindheit beitragen würdet! Falls Ihr also eine Kinderzeichnung hier veröffentlichen wollt, nutzt bitte das folgende Kontaktformular, um mir die Datei zu senden. Schön wäre es, wenn Ihr das Alter des kleinen Künstlers angeben könntet und hinzufügen würdet, ob der Name des Kindes bzw. Euer Name als Urheber des Bildes angezeigt werden soll. Auch mögliche Kommentare des Kindes zu seinem Werk sind willkommen! Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das Hochladen eines Bildes fügt es nicht automatisch direkt in die Galerie ein!
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G a l e r i e

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Eine der kleinen Künstlerinnen hat auch ihre eigene Kinderzeichnungenhomepage, auf der sich die Entwicklung des Kinderbildes Jahr für Jahr gut verfolgen lässt: >>Aniela!

Interview mit der Verfasserin

Klick für lesbare Version

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In der Elternzeitschrift “Baby&Co” (6/2008) ist auf Seite 49 ein kurzer Ausschnitt eines Interviews mit mir zum Thema “Kreativität bei Kleinkindern” erschienen (siehe Foto links, Klick macht größer). Die dort nicht abgedruckten Fragen und Antworten können hier nachgelesen werden:

Frage: Ab wann sind Kinder überhaupt in der Lage, wirklich kreativ zu sein?
Antwort: Kinder sind von Geburt an kreativ, wenn Kreativität bedeutet, mit vorhandenen Fähigkeiten und Materialien eine Problemlösung zu finden. Man denke an ein Krabbelkind, dem ein Hindernis in den Weg gelegt wird: Drüberklettern? Drumherum krabbeln? Wegschieben? Kreatives Experimentieren ist hier bereits gefragt. Meint man mit Kreativität aber vor allem den gestaltenden Umgang mit Materialien, zeigt das Kleinkind meist kaum vor Vollendung des zweiten Lebensjahres Interesse an der Schöpfung von eigenen Werken. Auch das Kritzeln ist zuvor noch eine rein motorische Tätigkeit, bei der es dem sehr kleinen Kind noch nicht auf das Ergebnis – die Spur auf dem Papier – ankommt. Mit etwa zwei Jahren ändert sich das und das Kind entdeckt erfreut, dass es seiner Umwelt etwas von sich selbst „aufdrücken“ kann, eine bleibende Spur hinterlassen kann. Mit altersgerechten Materialien kann das Kleinkind jetzt ganz unterschiedliche Erfahrungen des kreativen Ausdrucks machen.

Frage: Wie viel Anleitung brauchen Kleinkinder beim Malen und Basteln? Ist es das Beste, ihnen das Material zu geben und sie einfach loslegen zu lassen?
Antwort:Vorschriften im Sinne von Bastelanleitungen sind natürlich unangebracht. Das kleine Kind verfolgt beim kreativen Hantieren keinen festgelegten Plan, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten. Greift der Erwachsenen zu viel ein, um ein aus seiner Sicht „schönes“ Ergebnis zu erhalten, nimmt er dem Kind die Chance, Selbstbewusstsein durch die Erfahrung des Selbst-Ausprobierens und des Selbst-(Er-)Schaffens zu erwerben.
Bei manchen Materialien oder Einführung neuer Techniken wie etwa des Handabdrucks allerdings benötigt das Kind zunächst ein Beispiel des Umgangs. Während es zwar mit der Zeit selbst herausfinden würde, was man mit einem Topf Fingerfarbe tun kann, fällt das bei Wasserfarben schon wesentlich schwerer. Hier braucht es eine Person, die ihm anhand des eigenen Tuns demonstriert, wie die Dinge benutzt werden. Das muss aber kein Erwachsener sein – auch von im Umgang mit dem jeweiligen Material erfahreneren Kindern kann sich das Kleinkind die Handhabung abschauen.
Als Erwachsener braucht man jedenfalls Geduld und Gelassenheit, wenn man dem Kind den Raum geben möchte, seine Kreativität zu entdecken und auszuleben. Es gilt, dem Kind Zeit zu lassen, die Möglichkeiten des Materials zu ergründen und auszuprobieren – auch wenn es dabei manchmal chaotisch zugeht. Unbedenkliche Materialien wie Papier, Stifte und Knete sollten dem Kind früh frei zugänglich sein. Es kann aber nötig sein, zu ihrem Gebrauch Regeln aufzustellen – gemalt wird z.B. nur auf dem Papier, nicht aber an der Wand oder in Büchern.

Frage: Ist es wichtig, sich dazuzusetzen und Fragen zu stellen?
Antwort:Ja, grundsätzlich sind Kleinkinder gerne in Gesellschaft, genießen also auch beim Malen und Kneten die Aufmerksamkeit des Erwachsenen. Die Aufgabe des Erwachsenen ist es aber nicht, das Kind anzuleiten oder anzutreiben, seine Tätigkeiten zu bewerten oder Lösungen vorzugeben. Er soll dem Kind einfach zuhören, wenn es sich über sein Tun unterhalten möchte, soll die Tätigkeit des Kindes wertschätzen und auch ruhig neugierige Fragen stellen, die das Kind anregen. Es sollte selbstverständlich sein, dass die Werke des Kindes ohne jegliche Kritik angenommen und bestaunt werden. Lob ist besonders wichtig, wenn etwas dem Kind nicht auf Anhieb gelingt oder es etwas Schwieriges gemeistert hat. Die Freude am kreativen Ausdruck des Selbst bleibt dem Kind dann lange erhalten und wird zu einer wertvollen Basis für seine Lebensbewätigung.