In der Regel entwickeln sich Mailprogramme traditionell langsam, da sich das Mailprotokoll seit Jahrzehnten eben auch nicht verändert hat. Im Gegensatz zum Browser, bei dem sich die dahinterliegende Technik fortlaufend verändert und verändern muss, geht es beim Mailprogramm hauptsächlich um die Schaffung einer möglichst perfekten Schnittstelle zum Nutzer, das Bereitstellen des bestmöglichsten Funktionsumfanges zum Verwalten vieler Nachrichten.
Nun aber wird die Entwicklung bei Thunderbird künftig nicht verlangsamt, sondern faktisch eingefroren. Bei Mozilla nennt man als Grund mangelnden Zuspruch durch externe Entwickler sowie die Ausgereiftheit des Programmes. Weshalb das wohl nur die halbe Wahrheit ist, ist im Artikel Die abstürzende Brieftaube – wie sich Mozilla verzettelt ausformuliert.
Bald reif für die Altvogeltonne?
Die Kernthesen lauten:
a) das große Geld wird mit Firefox verdient, nicht mit Thunderbird
b) die Konzentrierung auf Privatanwender hat in eine Sackgasse geführt
c) die Chance, eine echte Outlook-Alternative zu werden, hat man jahrelang verspielt
Unter Linux kommt noch hinzu, dass die Konkurrenz unter den Mailprogrammen traditionell stark ist: neben KMail und Evolution, die jeweils perfekt mit KDE und Gnome verzahnt sind, gibt es noch eine Reihe weiterer. Für Mozilla spielt das jedoch nur eine untergeordnete Rolle.
Es tritt nun also mittelbar doch noch ein, was viele damals bei der Entstehung von Firefox befürchtet haben: Mozilla konzentriert sich allein auf den Browser und lässt die übrigen Programme der Mozilla-Familie mehr oder weniger fallen. Die Mozilla-Suite bestand aus Browser, Mail, Webeditor und Chatprogramm. Davon haben primär nur der Browser in Form von Firefox und Mail in Form von Thunderbird bei Mozilla überlebt. Der Composer wurde aufgegeben, Chatzilla gibt es nun als Erweiterung. Die erste eigene Neuentwicklung, das Kalenderprogramm Sunbird, ist schon längst wieder Geschichte. Lightning, die Kalendererweiterung, kam nie richtig ins Lot, eine Integration in Thunderbird wurde nie erreicht. Die ebenfalls auf Mozillatechnik basierende Anwendung Songbird gibt es nicht mehr für Linux.
Die alte Mozilla-Suite selbst wurde natürlich ebenfalls komplett aufgegeben, sie lebt heute nur deshalb in Form von Seamonkey weiter, weil sich genügend Freiwillige fanden, das Projekt in Eigenregie weiterzuführen. Nun könnte man denken, wenn Seamonkey es geschafft hat, dann könnte doch auch Thunderbird von der Community „gerettet“ werden. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn Seamonkey besteht letztlich aus Firefox plus Thunderbird, lediglich mit anderer Oberfläche. Statt auf etwas Bestehendes, beständig Weiterentwickeltes aufbauen zu können, müsste die Community diesmal tatsächlich die gesamte Entwicklungsarbeit leisten.
Nun gut, keine Panik, benutzt man das „ausgereifte“ Programm eben einfach im Jetztzustand weiter. Doch wie das enden könnte, sieht man am einstigen Composer. Nachdem das Projekt bei Mozilla fallengelassen wurde, entwickelte der ehemalige Chefentwickler der Komponente, Daniel Glazman, im Auftrag der Linuxdistribution Linspire daraus das Programm NVU. Auch NVU wurde nach Version 1.0 nicht mehr weiterentwickelt, keine neuen Features mehr hinzugefügt. Die Community sprang ein, führte es unter dem Namen Kompozer fort, was letztlich aber nur Fehlerkorrekturen bedeutete und keine neuen Features brachte. Schon nach kurzer Zeit war NVU unter den meisten Linuxdistributionen nicht mehr lauffähig, nachdem die Entwicklung eingestellt wurde. Auch von Kompozer gibt es zurzeit keine funktionierende stabile Linuxversion.
Davon abgesehen stellen sich für Thunderbird neben der reinen Aufrechterhaltung der Funktionsweise natürlich noch weitere Fragen der Weiterentwicklung. Eine GTK3-Version wird es unter diesen Umständen kaum geben, eine bessere Anpassung in KDE sowieso nicht. Mit „einfach so weiternutzen“ ist es also langfristig nicht getan. Was ist, wenn GTK2 nicht mehr mitgeliefert wird? Dann ist es aus mit der Thunderbirdnutzung unter Linux. Bei dem Entwicklungstempo, das Linux traditionell vorlegt, dürfte die Linuxvariante von Thunderbird in absehbarer Zeit ernsthafte Probleme bekommen. Bei Kompozer und Sunbird hat die Community offensichtlich versagt – aus welchen Gründen sollte es bei Thunderbird funktionieren?
Spannend wird es, wie es mit Ubuntu und Thunderbird weitergeht. Bei Canonical wird man nun fluchen, dass man Thunderbird als Evolution-Ersatz für die LTS-Version genommen hat, denn nun ist es an Canonical, sich um ein funktionierendes Thunderbird zu kümmern, wenn die Entscheidung beibehalten werden sollte. Vielleicht könnte das – ein Engagement Canonicals – sogar eine Chance für Thunderbird sein, unter Linux zuverlässig weiterbestehen zu können.