Viele Hörer glauben bereits, dass sie digitales Radio hören, wenn ihr Rundfunkgerät über eine digitale Frequenzanzeige verfügt – doch dahinter verbirgt sich im Normalfall ein ganz normaler, analoger UKW-Empfänger. Echtes Digitalradio findet derzeit hauptsächlich im oder über das Internet statt – doch auch über Antenne wird wieder einmal versucht, digitales Radio an die Hörer zu bringen. Seit Ende 2011 wagt vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem schon totgesagten DAB einen Neustart des digitalen Radios über Antenne unter dem neuen Namen DAB+.
Man kann nicht behaupten, dass DAB-Radio in der Vergangenheit besonders erfolgreich gewesen wäre. Die Hörer ignorierten es weitgehend, sogar die Sender selbst stellten teils die DAB-Ausstrahlung wieder ein oder beteiligten sich erst gar nicht daran. Diesmal sieht es hingegen gar nicht mal so schlecht aus für eine optimistischere Prognose. Zumindest die öffentlich-rechtlichen Anstalten scheinen es dieses Mal wirklich ernst zu meinen mit der Unterstützung des digitalen Radios. Alle ARD-Anstalten sind diesmal mit im Boot.
Weshalb es vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, der hinter dem erneuten DAB-Start steht, ist kein großes Geheimnis. Über DAB werden derzeit kaum Hörer erreicht, wirtschaftlich arbeitende Sender, die nicht von GEZ-Gebühren getragen werden, können sich ein solches Experiment schlicht nicht leisten. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten hingegen sind in Zugzwang: nach den bisherigen Fehlstarts des Digitalradios ist kaum davon auszugehen, dass die KEF künftig noch Gebührengelder für die digitale Verbreitung von Radiosendern bewilligen wird, wenn auch der jetzige DAB-Versuch scheitert. Geschlossenheit unter den Anstalten und ein gemeinsames Konzept ist daher dringend geboten.
Umfang des neuen Digitalradios
Das Konzept sieht dabei folgendermaßen aus: Mehr Sender und eine höhere Reichweite als bisher. Erstmals sind alle öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten am digitalen Radio beteiligt, auch der Hessische Rundfunk z.B., der den DAB+-Vorgänger DAB noch boykottierte und terrestrisch ausschließlich über UKW sendete, ist nun dabei. Der Südwestfunk beispielsweise lässt seinen neuen Infosender „SWR Info“ statt auf Mittelwelle fast exklusiv über DAB+ ausstrahlen.
Das bedeutet aber noch nicht, dass sämtliche ARD-Radiosender nun auch bundesweit empfangbar wären. Jede Landesanstalt kocht weiterhin ihr eigenes Süppchen. DAB+ bietet bundesweit – sofern empfangbar – lediglich die 3 Programme des Deutschlandradios (DLF, DLR Kultur und D-Radio Wissen), ein paar Spartensender wie Klassikradio, LoungeFM oder 90elf sowie zwei Kirchenradios. Dazu kommen je nach Bundesland und Sendegebiet dann noch eine Handvoll der regionalen Sender, im Norden die NDR-Programme, im Süden der Bayerische Rundfunk, usw. Die bekannten regionalen Privatsender hingegen fehlen fast vollständig.
D-Radio Wissen und das Fußballradio 90elf sind dabei der einzige echte Anreiz, den man gegenüber dem UKW hat, denn diese Sender senden ausschließlich digital – allerdings nicht exklusiv über DAB+, sondern auch im Internet.
Vorteile und Nachteile
Ein grundsätzliches Problem bei der Etablierung von digitalem Antennenradio bleibt aber erhalten: die Vorteile von DAB+ gegenüber dem alten UKW sind für den Hörer gering. Wo die Vorzüge des digitalen Radios liegen, konnte bislang niemand überzeugend erklären, kaum ein Verbraucher fühlt sich animiert, sein UKW-Gerät gegen ein DAB-Radio einzutauschen.
Trotzdem ist es nun wieder da: DAB Plus. Das Plus steht für verbesserte Technik im Vergleich zum Vorgänger. Die als Vorteile gepriesenen Merkmale des neuen digitalen Radios entpuppen sich bei genauerem Hinsehen jedoch oft nur als theoretisch oder als Vorteile, die zugleich mit Nachteilen erkauft werden:
Mehr Sender
Das Senderangebot ist nur geringfügig größer als bei UKW. Es ist fraglich, ob ein paar Spartensender mehr im Radio als große Verbesserung gelten können. Da die öffentlich-rechtlichen Landessender nicht bundesweit empfangbar sind, kann der Hörer auch bei DAB+ nicht zwischen unterschiedlichen Kulturwellen, Nachrichtenkanälen oder Regionalprogrammen wählen, wohnt er nicht gerade in sich überschneidenden Sendegebieten. Wer alle 64 ARD-Sender gleichzeitig empfangen möchte, braucht Satelliten- oder Internetradio.
Ein Umdenken setzt jedoch bereits ein: zumindest in Berlin und Brandenburg werden künftig neben den RBB-Programmen auch einzelne Sender von WDR, BR, MDR und SWR über Antenne digital ausgestrahlt, jedoch noch in homöopathischen Dosen. Da sich die Privatsender noch fast völlig verweigern – auch unter Berücksichtigung des bisherigen Fiaskos beim digitalen Radio – ist man weiterhin auf parallelen UKW-Empfang angewiesen, wenn man nicht ausschließlich öffentlich-rechtliche Sender hören möchte. Dies könnte sich erst in der Zukunft ändern, wenn DAB+ sich als Hauptverbreitungsweg für mobiles Radio etabliert hat. Doch dies ist noch nicht absehbar.
Als Beispiel sei die Situation in Berlin angemerkt: hier empfängt man aktuell über DAB+ knapp 25 Radiosender. Über UKW sind es knapp 30. Die Hauptstädter haben also derzeit am wenigsten Grund, sich für digitales Radio zu interessieren.
Verbesserter Empfang
Dies ist der Punkt, mit dem digitales Radio augenscheinlich am ehesten punkten kann: Rauschfreiheit. Während das altbekannte UKW-Radio gerne mal rauscht und knistert – auch im stationären Empfang, wenn man an der Antenne vorbeigeht, im fahrenden Auto sowieso – bietet DAB+ ein durchgängiges, störungsfreies Hörerlebnis. Fast. Denn auch hier kommt es natürlich auf die Empfangsqualität an. Ein optimal empfangenes DAB-Programm kann tatsächlich wie eine CD klingen (vorausgesetzt, der Sender strahlt das Programm auch in der entsprechenden Qualität aus), bei schlechter Ausstrahlung klingt das Ergebnis jedoch blechern wie bei einer MP3 in geringer Qualität, bei nicht optimalem Empfang bleibt DAB damit unter Umständen sogar unter der Klangqualität von UKW-Radio. Bei schlechtem Empfang gar kommt es auch bei digitalem Radio zu Störgeräuschen. Zwar nicht mehr in Form von Rauschen und Knistern wie bei UKW oder eines „Blubbern“ beim bisheringen DAB, aber in Gestalt von Aussetzern. Diese Aussetzer können sogar als noch störender wahrgenommen werden als ein analoges Rauschen.
Ein Vorteil von DAB+ ist jedoch: die Klangqualität bleibt auch bei schlechtem Empfang länger gut als bei UKW und dem alten DAB. Während analoges Radio schon stark rauscht und DAB blubbert, ist DAB+-Radio noch immer einwandfrei. Erst wenn der Empfang ganz schwach wird, verstummt der digitale Empfang völlig – während UKW bis zum bitteren Ende rauscht. So viel zur Theorie. In der Praxis wird das DAB+-Sendernetz gerade erst aufgebaut. Einwandfreien digitalen Radioempfang hat man dadurch momentan vor allem in den Ballungsräumen, auf dem Lande ist stellenweise noch überhaupt kein DAB+ verfügbar. Während es beim UKW-Empfang keine weißen Flecken auf der Landkarte gibt, ist DAB+ noch längst nicht in allen Gebieten Deutschlands zu empfangen. Gerade, wenn man DAB+ als Autoradio ins Auge gefasst hat, könnte man hier enttäuscht werden. Von Norden nach Süden oder Ost nach West fahren und dabei durchgängig DAB-Radio hören, das ist derzeit noch gar nicht möglich.
In Mecklenburg-Vorpommern und Teilen von Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hessen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sieht es düster aus für den digitalen Radioempfang. Wenn es denn verfügbar ist, ist die Sendeleistung oft nicht mit der von UKW vergleichbar, viele Sender strahlen derzeit nur ein schwaches Signal aus. Gravierender jedoch ist: DAB+ ist quasi ein nationaler Alleingang. Kurz hinter den deutschen Grenzen ist Schluss mit der DAB+-Verfügbarkeit. Während man mit einem UKW-Radio durch die ganze Welt fahren kann, bleibt DAB+ auf Landesgrenzen beschränkt.
Gerade im paneuropäischen Verkehr fällt dies auf: Regulären DAB+-Empfang hat man nur in Deutschland und der Schweiz, regulären DAB-Betrieb (ohne das Plus) haben Belgien, Dänemark, Norwegen und England. Andere Länder experimentieren erst mit digitalem Radio oder bauen es testweise auf. In Frankreich, das auch auf Digitalradio setzte, dies aber wiederum in einer anderen technischen Variante (DMB), ist die Digitalisierung ins Stocken geraten; Österreich, Schweden und Finnland haben sich von DAB bereits wieder verabschiedet und DAB+ gar nicht erst eingeführt.
Geräte
Während UKW seit Jahrzehnten konstante Technik darstellt, so dass selbst mit Museumsgeräten aktuell noch Radio gehört werden kann, ist bei DAB+ nicht nur der Name neu, sondern es wurde auch wieder einmal am technischen Hintergrund herumgedoktert, denn das bisherige DAB der letzten Jahrzehnte war als digitales System schon wieder überholt. Dadurch hält man zwar vorübergehend mit der technischen Entwicklung schritt, als Nebeneffekt wird man damit jedoch zum restlichen Europa, das weiterhin mit DAB sendet, inkompatibel. Außerdem dürfen sich nun alle Hörer, die sich bereits früher ein DAB-Radio angeschafft haben, nun schon wieder ein neues Gerät kaufen, wenn sie auch weiterhin digital Radio hören wollen.
Technisch gesehen sind die neuen digitalen Radios keine Radios mehr, sondern kleine Computer mit eingebautem Lautsprecher – mit allen Vor- und Nachteilen eines Computersystems. Bei UKW liegen die Nachteile oft auf der Übertragungsseite, bei digitalen Radios ergeben sich die Nachteile auf der Empfängerseite: analoge Radios sind technisch so simpel, dass sie fast unverwüstlich sind. Digitale Empfänger hingegen müssen technisch aufwändig digitale Signale wieder in analoge umwandeln, die das menschliche Ohr hören kann. Mit der simplen technischen Zuverlässigkeit eines analogen Transistorradios kann kein DAB-Radio mithalten. Wie bei einem PC kann es zu Abstürzen der Software des DAB-Radios kommen, die einen Neustart oder Reset nötig machen. Auch reagiert ein DAB-Radio ein bisschen träger als ein UKW-Skalenradio. Der Stromverbrauch ist bei Digitalempfängern ebenfalls höher.
Ein typisches DAB+-Radio. Foto: Grundig Intermedia GmbH
Ein anderes Problem ist der Preis: UKW-Radios sind spottbillig, DAB+-Technik vergleichsweise noch sehr teuer. 200 Euro und mehr für ein reines DAB-Rundfunkgerät muss man mittlerweile jedoch nicht mehr hinlegen, Radios für DAB+ bekommt man ab 50 Euro. Das Manko ist vor allem nun noch, überhaupt ein DAB+-Gerät zu bekommen, die Auswahl ist derzeit noch recht beschränkt. DAB+-Radios gibt es momentan meist als Einzelgerät. In Kombination mit CD-Spielern, Kassettenrekordern oder in Hifi-Anlagen sind sie fast noch gar nicht anzutreffen. MP3-Player mit UKW-Radio gibt es wie Sand am Meer, Player mit DAB+ sind noch gar nicht zu kaufen.
Zusatzdienste
Theoretisch ermöglicht das digitale Radio neben der reinen Übertragung von Musik und Wort auch einige zusätzliche Features – das neue Radio ist eben ein kleiner Computer. So sieht der DAB+-Standard vor, Zusatzinformationen wie Sendernamen, Verkehrsdaten, Bilder (von Staus, Moderatoren oder CD-Covern) oder auch einfach die Uhrzeit zu übertragen. Im Wesentlichen entspricht dies dem vom UKW bekannten RDS. Mit den Möglichkeiten des Internets können solche Dienste natürlich nicht mithalten, so dass die meisten Radiogeräte solche Features auch gar nicht erst anbieten bzw. die Sender sie nicht ausstrahlen. Es sind, abgesehen von Uhrzeit und programmbegleitenden Zusatzinformationen, mehr oder weniger Spielereien, keine essentiellen Merkmale, die für den Radioempfang unabdingbar wären. In der Praxis verfügen auch DAB+-Radios allenfalls über Flüssigkristallanzeigen mit einer oder wenigen Zeilen für eine Senderplatz- und Textanzeige.
Wer es braucht
Bei all den Vor- und Nachteilen stellt sich derzeit vor allem die Frage, wer Digitalradio überhaupt braucht. Gäbe es DAB+ auf demselben Verbreitungsstand wie der von UKW, wäre es natürlich die bessere Alternative. Doch das existierende UKW ist akzeptiert und weit verbreitet und bietet unterm Strich derzeit fast den gleichen Komfort bei geringeren Kosten für den Hörer. Derzeit benötigt wird Digitalradio über Antenne daher von kaum jemandem.
Hinzu kommt ein Generationeneffekt: Welcher Jugendliche hat heutzutage noch ein tragbares Radio in der Tasche? Note- und Netbooks, Handys und Smartphones sind dagegen immer dabei – und empfangen Radio bereits digital. Die Notwendigkeit für digitales mobiles Radio ist also nicht so dringend, wie es zunächst vielleicht erscheinen mag. Einen echten Anreiz, sich gezielt ein DAB-Radio statt einem UKW-Empfänger zuzulegen, besteht in den seltensten Fällen: Wenn man in von UKW schwach versorgten Gebieten wohnt und Wert auf eine höhere Senderauswahl abseits des Internets legt. Oder wenn man die Programme des Deutschlandradios analog nicht in ausreichender Stärke empfängt. Hier bietet DAB+ eine neue Chance zum guten Empfang. Auch für Fußballfans, die den Sender 90elf mobil empfangen wollen, ist DAB+ interessant. Auch dort, wo DAB+ die Mittelwelle ersetzt, wird es attraktiv: der SWR etwa strahlt, wie schon erwähnt, sein neues Inforadio außer in Stuttgart nicht über UKW aus, sondern nutzt statt der analogen Mittelwelle nun DAB+.
Ansonsten ist DAB+-Radio momentan vor allem für diejenigen etwas, die sich explizit für neue Technik interessieren. Für alle anderen besteht zurzeit keine echte Notwendigkeit, von analog auf digital umzustellen. Das gute alte UKW-Radio wird auch die nächsten Jahrzehnte weitersenden – ein Ende ist nicht in Sicht. Als Autoradio ist DAB+ eine echte Verbesserung – wirklich interessant wird es aber erst, wenn es tatsächlich einmal flächendeckend zumindest in Deutschland verfügbar sein wird. Vor allem für den stationären Empfang zu Hause bringt DAB+ praktisch keine Vorteile, da die Störanfälligkeit hier geringer ist. Da DAB ursprünglich insbesondere in Hinblick auf den mobilen Empfang konzipiert worden ist, verwundert das nicht. Für den Empfang in Gebäuden ist DAB+ daher derzeit nicht das Optimum.
Prognose
Im Moment ist DAB+ wie auch schon seine Vorgänger ein Nischenprodukt mit (zusätzlichen) Nischensendern. Auf breite Akzeptanz wird DAB+ erst dann stoßen, wenn die Empfangsgeräte billiger werden, die Ausstrahlung nicht mehr mit reduzierter Sendeleistung stattfindet und sich vor allem auch die Senderauswahl drastisch erhöht. Momentan jedenfalls mit dem derzeitigen Angebot und der Art der Ausstrahlung verfügt DAB+ nicht über die nötige Attraktivität, um eine ernstzunehmende Alternative zum UKW-Funk zu sein. Letztlich bleibt anzumerken, dass die Inhalte allein durch eine neue Übertragungsart auch nicht besser werden.
Wenn digitales Antennenradio ein Erfolg werden soll, dann brauchen die Verantwortlichen einen langen Atem: Erst wenn die öffentlich-rechtlichen Sender lange genug ausstrahlen, so dass eine kritische Masse an Hörern erreicht wird, wird DAB+ auch für die Privatsender wieder interessant werden.
Der Blick nach Großbritannien zeigt es: hier ist DAB seit vielen Jahren verfügbar und mittlerweile auch akzeptiert – dennoch nutzt allenfalls ein knappes Drittel der Hörer den digitalen Weg. UKW besteht weiterhin parallel, eine Aufgabe der analogen Verbreitungswege ist nicht geplant; die durch die digitale Verschiebung freiwerdenden UKW-Frequenzen sollen regionalen Sendern zugutekommen. In Frankreich hingegen kommt die Umstellung auf Digitalradio wie auch in den letzten Jahren in Deutschland nicht recht voran, UKW genießt weiterhin einen hohen Stellenwert. Österreich hat sich gar vom digitalen Radio wieder vollständig verabschiedet und sendet wieder analog. In der Schweiz – in Europa mit führend in Sachen digitaler Umstellung des Radios – sollen es gerade einmal knapp 10% sein, die digitales Radio hören.
In Deutschland wirkt es zumindest, als würde das Vorhaben erstmals eine reelle Chance haben, nicht von vornherein zu scheitern. Das geschlossene Auftreten der öffentlich-rechtlichen Sender, das Marketing und die Aufwertung des digitalen Radios durch faktisch exklusiv dort verfügbare Sender macht DAB+ zumindest zu einem Angebot, das ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. Nun muss der DAB+-Betrieb nur noch große Ausdauer an den Tag legen. Mit ein paar Jahren ist es dabei kaum getan, DAB+ wird sich langfristig und vor allem zuverlässig etablieren müssen. Ein Abschalten von bereits verfügbaren Sendern, wie es schon bei DAB geschah, wäre dabei fatal, jeder Ausstieg eines Senders würde ein falsches Signal senden.
Obwohl fast jeder Radio hört, genießt es beim durchschnittlichen Verbraucher keine hohe Priorität. Das Bedürfnis, sich gezielt neue Geräte zugunsten einer geringfügigen Aufwertung des Empfangs anzuschaffen, ist kaum vorhanden. Auf die Art des technischen Empfangs kommt es nicht an, nicht einmal auf CD-Qualität oder gar Zusatzdienste. Was schon sollte man während der Küchenarbeit, im Badezimmer oder am Baggersee mit CD-Qualität und Moderatoren-Antlitz anfangen? Bei den ambitionierteren Radionutzern hingegen sitzt die Angst tief, dass das neue DAB+ auch wieder versandet und in absehbarer Zeit erneut durch etwas Neues, Verbessertes abgelöst werden könnte.
Die Chancen für DAB+ liegen vor allem beim Autoradio: hier fehlt bislang eine echte Verbesserung des mobilen Empfangs abseits von internetgestützten (Not-)Lösungen. Das Risiko einer Totgeburt bleibt aber auch hier. Die Perspektive für digitales Radio kann daher nur in einem schleichenden Prozess liegen. Jahrzehntelanger Parallelbetrieb von UKW und digitalem Radio wird daher unausweichlich sein, um Radiohörer nicht vollends zu Alternativen zu treiben.
Der vielerorts eingeschlagene Weg scheint der richtige zu sein: Hybridradio. Schon jetzt kommen immer mehr Geräte auf den Markt, die analoge und digitale Signale gleichermaßen beherrschen. DAB+-Radios ohne die Möglichkeit, damit auch UKW zu empfangen, gibt es praktisch gar nicht. Auf dem Weg zum digitalen Antennenradio werden die Hörer noch viele Jahre beide Möglichkeiten parallel nutzen müssen. Dabei ist das Chaos schon jetzt vorprogrammiert: Manches Radiogerät hat bereits jetzt ein halbes Dutzend Empfangsmodule integriert, um kompatibel zu allen Formaten zu sein: UKW, Mittelwelle, Lang- und Kurzwelle, DAB, DAB+, DMB und T-DMB.
Ein schnelles Ende von UKW ist dabei nicht in Sicht und auch nicht zu erwarten, denn das würde zumindest derzeit der Einstellung des Radioempfangs in Deutschland gleichkommen. Viele Hörer würden in vielen Situationen eher auf Radio über Antenne verzichten, als sich neue Geräte zuzulegen.
DAB+ muss zudem noch besser werden, um sich stärker verbreiten zu können: ein viel größeres Senderangebot, flächendeckende Versorgung und das auch in hoher Sendeleistung. Erst dann wird DAB+ für ein breiteres Publikum interessant werden und langfristig eine Abkehr vom UKW-Rundfunk möglich machen. Abhängen dürfte dies auch davon, wie die übrigen europäischen Länder in Sachen Radio-Digitalisierung verfahren. Bliebe Deutschland eine DAB+-Insel, sähe es düster für seine weitere Zukunft aus. Schwenken hingegen auch die anderen Staaten auf die DAB-Schiene ein, wird sich dies stabilisierend auch auf die innerdeutsche Akzeptanz auswirken. Ob andere Länder ebenfalls auf DAB+ setzen, wird wiederum von der weiteren Entwicklung auch in Deutschland abhängen. Scheitert DAB+ hierzulande erneut, dürfte es das für das digitale Radio erst einmal gewesen sein.
Die Erfolge in England und der Schweiz sind noch bescheiden, stimmen aber optimistisch, die Situation in Frankreich hingegen alarmiert. Sollte es einmal zu einer hohen Verbreitung des digitalen Radios in ganz Europa kommen, dann erst wird man von einer erfolgreichen Umstellung auf digitales Radio sprechen können. Erst dann ist mit wirklich günstigen Gerätepreisen und breiter Akzeptanz in der Bevölkerung zu rechnen.
Zusammenfassung
Bislang ist es schlicht nicht gelungen, den Hörern die Vorteile des digitalen Radios aufzuzeigen. Der tatsächliche Mehrwert ist minimal, faktisch erkauft man sich mit dem Betrieb eines digitalen Radios derzeit sogar oft noch Nachteile gegenüber dem etablierten analogen UKW-Rundfunk. Die Privatsender machen in Deutschland nicht mit und warten ab, die Öffentlich-rechtlichen bleiben regional verankert. Aktuell sendet das digitale Radio also wieder einmal fast völlig unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dies wird sich nur schleichend ändern.
Als Autoradio erscheint digitales Radio in absehbarer Zeit sinnvoll, derzeit ist es unzureichend und vor allem ein teures Vergnügen. Dem durchschnittlichen Radiohörer muss man von DAB+ in seiner jetzigen Form noch abraten. Die Möglichkeiten des Internets erreicht DAB+ nicht, ein digitales Radio, das nur „ein bisschen besser“ ist als UKW-Rundfunk, bietet nicht genügend Anreize zum Umstieg außerhalb des mobilen Empfangs.
DAB+-Interessierte, die sich in freudiger Erwartung ein digitales Radio anschaffen, schauen derzeit bisweilen nicht mal mehr in die (Radio-)Röhre. Der Empfang besonders in ländlichen Gegenden Deutschlands ist bislang noch nicht gewährleistet. Der Ausbau ist versprochen, doch wie schnell dieser tatsächlich vonstatten geht, wird sich erst noch zeigen müssen. Dem Hörer bleibt dann nur, wieder zum UKW zurückzukehren – und darauf zu hoffen, dass DAB+ nicht ebenfalls zu einem gescheiterten Projekt avanciert.
Das traditionelle UKW scheint ausreichend gut zu sein, um es nicht schnell durch etwas Digitales ersetzen zu müssen. Dennoch ist fast nicht zu glauben, dass im Computerzeitalter der Radioempfang quasi noch immer auf dem technischen Stand von vor 100 Jahren ist. Dass Radio innerhalb des vereinten Europas künftig an Staatsgrenzen haltmacht, ist jedoch ebenso wenig nachzuvollziehen. 5 verschiedene Radiosysteme für gesamteuropäischen Radioempfang zu benötigen, das ist ein noch größerer Anachronismus als UKW-Radio im 21. Jahrhundert.
Weiterführendes
Das Radio im Wandel – der langsame Abschied von UKW und Co.
Übersicht über die aufgegebenen DigitalradiosystemeBeleidigung der technischen Intelligenz
Die Süddeutsche Zeitung ist pessimistischRBB stockt Digitalradioangebot auf
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