Bus und Bahn
Berlins öffentlicher Personennahverkehr

Sie fahren kein Auto, weil Ihnen die Berliner Verkehrssituation zu aggressiv
ist und die Taxifahrer zu unfreundlich in ihren verqualmten Nichtrauchertaxen?
Kein Problem! Nehmen Sie am besten den Bus (nicht die S- oder U-Bahn, das
macht im Gegensatz zum Busfahren keinen richtigen Spaß - und wir wollen
in Berlin ja auch mal was erleben)! Allerdings müssen Sie ein paar Regeln
beachten:
Wenn Sie gerade auf einen schon haltenden Bus zusprinten, um nicht auf
den nächsten warten zu müssen, rechnen Sie nicht damit, noch
mitgenommen zu werden, auch wenn Sie der Fahrer lächelnd ansieht -
Sie werden nicht mitgenommen, wenn Sie nicht schon an der Haltestelle
standen, bevor der Bus kam. Daran ändert auch schnelleres Laufen
nichts, oder die neben den Eingangstüren klebenden, kleinen
leuchtorange-farbenen "Aktion Noteingang"-Schildchen, die
möglichen Opfern politisch motivierter Gewalt einen Zufluchtsort
signalisieren. Ein Glück, dass Sie in dieser Situation gerade nur
in die Innenstadt wollten - und nicht von einer Horde Halbstarker
drangsaliert werden. Denn grundsätzlich gilt: wer zu spät
kommt, den bestraft der Busfahrer. Wenn Sie rechtzeitig da waren und einen Fahrschein beim Busfahrer
kaufen wollen, dann fragen Sie auf keinen Fall nach den Tarifen!
Informieren Sie sich
vorher am Haltestellenschild oder sagen Sie einfach irgendetwas - der
Fahrer
hat sie ohnehin schon als Fremden erkannt und gibt ihnen auf jeden Fall
einen
Normalfahrschein der Zone AB. Sollten Sie mutig sein und sich doch
erkundigen,
lassen Sie sich nicht von den tödlichen Blicken der übrigen
Fahrgäste
stören - das ist normal. Und wenn sie gar todesmutig den
Einzelfahrschein
mit einer 10-Euro-Note bezahlen wollen, wundern Sie sich nicht, wenn
Ihnen
der Fahrer Ihr Wechselgeld in 10ct-Stücken wiedergibt (aber das
wäre auch nicht so schlimm, denn viel bekämen Sie sowieso
nicht mehr heraus - Berlin hat im Bundesdurchschnitt die
höchsten relativen Nahverkehrspreise.).
Sollten Sie einen Doppeldeckerbus erwischt haben, bleiben Sie
besser in
der unteren Etage - oben können nur Unterelfjährige aufrecht
stehen (das tun sie aber nicht, sondern lassen auf der Rückbank
den Ghettoblaster dröhnen - jeder Bus hat eine eigene zugeteilte
Jugend-Gang) - und wenn Sie in gekrümmter Haltung, nach einem
längst belegten Sitzplatz suchend, dem netten Herrn im
Jogginganzug ins Fischbrötchen fallen, lernen Sie Ihr Land aus
ganz neuen Perspektiven kennen. Aber auch unten sollten Sie sich gut
festhalten: Die meisten Fahrer leiten Bremsvorgänge möglichst
kurz vor lange sichtbaren Hindernissen ein.
Achten Sie deshalb auch besonders auf umfallende Kinderwagen. Aber
meist ist das kein Problem, da sie von nachdrängenden Personen von
außen oder aus dem Oberdeck sowieso sicher an Ihrem Platz
gehalten werden - genießen Sie diese gruppendynamische Erfahrung
als besonderen Service und bleiben Sie daher freundlich, selbst wenn
auftauchende Kontrolleure aus Ihrer Embryohaltung heraus dann auch noch
Ihren Fahrschein sehen wollen.
Ach ja, und seien Sie nicht irritiert, wenn es öfter an
Haltestellen mal länger dauert - die Türen schließen
erst, wenn sich niemand mehr in der Lichtschranke befindet - das ist,
wie eben beschrieben, manchmal schon schwierig genug, aber wenn dann
auch noch die japanische, nicht Deutsch sprechende Touristengruppe
zwischen Tür und Angel hängt und der Busfahrer darauf
vertraut, dass seine "verlassen se bitte den
Türbereeeich!"-Durchsagen irgendwann schon Früchte tragen
werden, rechnen Sie mit längeren Wartezeiten. Apropos Touristen:
falls Sie die Absicht haben, mittels eines Linienbusses eine kleine
Stadtrundfahrt, vorbei an den paar verbliebenen Sehenswürdigkeiten
zu machen - vergessen Sie es. In Berlin plakatiert man
Buswerbeflächen nun nicht mehr nur längs entlang der
Fensterreihen, sondern gern auch mal quadratisch über die gesamte
vertikale Wagenwand. Kleiner Nebeneffekt: Als Außenstehender
sehen Sie eine fahrende Litfaßsäule; und als Fahrgast statt
dem trostlosen Berlin nur noch ein Lochmaskenmuster.
In
einer Millionenmetropole lässt es sich irgendwann nicht mehr
vermeiden: Sie müssen, weil der Autoverkehr immer noch zu
aggressiv, Radfahren ebenso lebensgefährlich ist (Berlin ist die
Stadt mit der höchsten Konzentration an
Kaiserzeit-Kopfsteinpflaster) und Busse
einfach zu langsam sind, auf S- und U-Bahnen zurückgreifen.
Eigentlich kein Grund zur Panik, das Streckennetz der Schnellbahnen ist
in Berlin dicht gestrickt, die paar Lücken, die durch die
ehemalige Ost-West-Teilung entstanden, sind mittlerweile wieder mehr
oder weniger geschlossen und Bahnfahren wäre in Berlin eigentlich
kein Problem, gäbe es da nicht auch ein paar Widrigkeiten, die
einem den Alltag "versüßen": Die S-Bahn
hat noch einen relativ guten Ruf: die Züge sind einigermaßen
modern, werden regelmäßig von Graffiti und Scratching
befreit und fahren in regelmäßigen Zeitintervallen -
normalerweise. Dummerweise hat man gerade Berlin wieder als
"Eisenbahnmetropole" wiederentdeckt. Nach der Beseitigung des Eisernen
Vorhangs gilt nun wieder Freie Bahn für die Schiene - und die muss
allerorts erst wieder verlegt werden. Und wenn sie mal nicht neu gebaut
wird, dann werden die alten Schwellen eben saniert, damit
man statt eines 8-Minuten-Taktes einen 5-Minutentakt fahren kann (dann
aber nur noch um die Hälfte ihrer Waggons beraubte und somit
ständig überfüllte Bahnen fahren lässt, weil man
nicht genügend Züge hat). Oder man
muss vorhandene Strecken komplett verlegen, weil sie der "großen
Bahn"
im Fernverkehr im Wege sind. Folge für den Fahrgast: Überall
herrscht
Schienenersatzverkehr - Berlin als eine einzige große Umleitung.
Und um am besten nachzuvollziehen, was einem Nahverkehrskunden
durch den Kopf geht, wenn er auf der Anzeigetafel mal wieder "SEV ist
eingerichtet"
lesen muss, lesen Sie gleich noch einmal den Abschnitt weiter oben.
Na gut, dann eben nicht, Sie erinnern sich noch gut genug an das Szenario.
Beim Fahrkartenverkauf machen's S- und U-Bahn übrigens besser: Fahrkarten
bekommt man natürlich nicht in der Bahn, sondern nur an Automaten auf
dem Bahnsteig. Dabei handelt es sich meist um einen großen Kasten, der auf
Vorder- und Rückseite jeweils einen Touchscreen zum Fahrscheinerwerb
anbietet - eigentlich. Denn eine Seite funktioniert grundsätzlich nicht
(Bildschirmmeldung: Das System wird neu gestartet), der übrigggebliebene
Teilautomat hingegen wird in 99% der Fälle nicht auf Ihre Eingaben reagieren,
da die Fettschicht auf dem Monitor eine sinnvolle Eingabeerkennung nicht mehr
zulässt. Und falls doch, dann hat sich die Bedienoberfläche nicht-optional
auf "türkisch" festgestellt oder - falls Sie wirklich einen guten Tag
erwischen und alles bis hierhin wirklich reibungslos funktioniert hat - stellen
Sie fest, (nachdem nach zahlreichen Fehlversuchen endlich der richtige Fahrschein
auf dem Monitor blinkt) dass Münzen nicht angenommen werden und es für
Ihre 20-Euro-Banknote kein Wechselgeld geben wird. Manche größere
Bahnsteige (die Berliner reden gern von "Bahnhöfen") haben tatsächlich
auch noch eine Verkaufsstelle mit echtem Personal. Das hilft Ihnen in diesem
Fall aber auch nicht weiter: denn wenn die nette korpulente Dame
hinterm Schalter sich endlich einmal dazu durchgerungen hat, von ihrem Kreuzworträtsel
aufzuschauen, um mit einem beamtenartigen "Sie - Penner - haben - mir
- gerade - noch - gefehlt - was - bilden - Sie - sich - eigentlich - ein
- mich - hier - bei - der - Arbeit - zu - stören - Blick" eventuell mal
einen Fahrschein rauszurücken, dann haben Sie schon mindestens die dritte
Fahrgelegenheit verpasst.
Die Wartezeiten in den Bahnhöfen werden Ihnen jedoch musikalisch
untermalt - jedoch nicht etwa von zu diesem Zweck angeschafften
Lautsprechern oder einer Blaskapelle, sondern von waschechten, meist
aus Russland und Nachbarländern stammenden ÖPNV-Musikern, die
durch diese polyphone Präsenz ihre Familien in der Heimat
ernähren. Für die Erlaubnis, auf Berliner Bahnhöfen
musizieren zu dürfen, müssen sie sich (kein Witz!) einmal in
der Woche - preußisch korrekt - eine "Spiellizenz" bei der
"Verlosung von Bahnhöfen" einer Verkehrsgesellschaft besorgen...
und an dieses Procedere hält sich sogar jeder - die
Überwachung der Musiker wurde nämlich - ganz im Sinne unserer
globalisierenden Wirtschaft - "outgesourced": wer trotz nicht
vorhandener Lizenz auf einem Bahnhof klimpert, dem nimmt die
Russenmafia das Akkordeon ab und versenkt ihn, äh..., es in der Spree.
Aber
es gibt ja auch noch die Trittbrettfahrer - im wahrsten Wortsinne:
Auffällig unauffällig wirkende Gestalten, die meist im
Zweiergespann agierend bis zur letzten Sekunde auf dem Bahnsteig warten,
bevor sich die S-Bahntüren schließen, um dann doch noch
hineinzuhuschen sobald feststeht, dass auch bestimmt kein
Sicherheitspersonal mit im Waggon fährt. Wie auf wundersame Weise
zaubern sie dann unter weiten Mänteln und Jacken Gitarren,
Klarinetten, Geigen, aztekisch gestylte Blockflöten oder die
eigene Stimme hervor, um den Mitfahrenden ein Ständchen
darzubieten. Den anwesenden Touristen entlocken sie auf diese Weise den
ein oder anderen Euro - aber den übrigen Zwangsbeschallten kann
man es deutlich ansehen, dass sie sich am liebsten die Musikanten
vorknöpfen und ihnen ins Ohr brüllen würden: "Ey, ich hatte
wie alle hier einen Scheiß-Tag, ich hab den letzten Nerv an meine
Migräne verschwendet und das allerletzte was ich jetzt während
meiner Zeitungslektüre hören will, sind ukrainische
Volkslieder!" (dabei kann man noch von Glück reden, wenn sie nur
eigenes Liedgut singen und sich nicht an deutschen Volksweisen
versuchen...). Dabei gibt es doch gerade für diese Fälle in
jedem Zug eine Notbremse: betätigen - Zug zum Stillstand kommen
lassen - Türen öffnen - und die Instrumente oder Besitzer
selbiger an den nächsten Baum binden (man ist ja schließlich
nicht die Russenmafia). Wenn aber gerade kein Baum zu finden ist (man
ist ja schließlich in Berlin), dann tut's auch eine stilechte
hässlich-graue Straßenlaterne.
Auf U-Bahnhöfen wird Ihnen übrigens der Kontakt zu Mitarbeitern schwerer fallen
- die wurden vor einiger Zeit wegrationalisiert, mit der Folge, dass Sie sich
nachts allein mit zwielichtigen Gestalten und marodierenden Jugendgangs den
Untergrund teilen. Graffiti und Beschädigungen finden Sie in der U-Bahn
übrigens seltener - wem macht es schon Spaß, museumsreife Züge aus
den 50er Jahren zu beschädigen - halbwüchsige Chaoten haben auch
ihren Stolz.

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Ein Berliner S-Bahnhof
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Allerdings
hat nun auch die S-Bahn damit begonnen, ihre Bahnhöfe auf die
"automatische Abfertigung" durch die Zugführer selbst umzustellen
und spart sich zunehmend das Personal auf den Bahnhöfen.
Automatische Ansagen ersetzen den klassischen Befehlston der
Zugabfertiger "Einsteigen
bitte, zurückbleiben bitte" (meistens ohne nennenswerte Pause in
der Satzmitte - wenn Sie nicht topfit sind, haben Sie in Berlin keine
Chance, auf legalem Weg eine S-Bahn zu erreichen).
Beim S- und U-Bahnfahren sollten Sie als Nicht-Berliner noch Folgendes beachten:
echte Berliner sind grundsätzlich immer in Eile und hetzen jeder
Bahn hinterher. Daran ändert nichts, dass in Berlin die Bahnen mindestens
alle 10 Minuten, oft sogar alle 5 Minuten fahren, während weniger verwöhnte Land(s)leute schon mal eine
Stunde im Regen auf ihre Bahn nach Hintertupfingen warten müssen - es
ist eine persönliche Katastrophe, wenn man als Großstädter seine U-Bahn/S-Bahn verpasst.
Daher sollten Sie aufpassen, wenn Sie aus einer Bahn aussteigen und die Treppe
zum Ausgang nehmen wollen: eine Horde zu allem entschlossener Einheimischer
stürmt Ihnen bereits entgegen.
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