Warum der Weihnachtsmann lieber im Dunkeln arbeitet
Berlin ist zur Weihnachtszeit ein Lichtermeer. Egal ob man am Schlossplatz vom blinkenden Riesenrad hypnotisiert wird oder unter den Linden wie im Märchen zwischen illuminierten kahlen Bäumen entlangläuft – nicht nur in den Einkaufszentren blitzt und funkelt es, gerade auf der Straße entfaltet sich das Großstadtflair zur dunklen Jahreszeit.
Eine wunderschöne Sitte, die es auch nur in der Weihnachtszeit geben kann: Trotz nahender Klimakatastrophe, apothekenverdächtigen Strompreisen, Fünfminutenlichtausaktionen und dem normalen Level von gesellschaftlichem Neid, Missgunst und Ellbogendenken gibt man einmal im Jahr für einen Monat ein wenig von dem Licht und der Wärme nach draußen ab, die man sonst egoistisch in den eigenen vier Wänden behalten bzw. für den neuen, geilgeizigen Plasmafernseher verbraten hätte.
Die große Neuheit sind dieses Jahr Leuchtblumensträuße: kleine Leuchtsterne wie Blüten am Ende eines Blumenstiels, die bündelweise in leere oder verdörrte Balkonkästen gesteckt werden und so auch noch aus dem 10. Stock prima von der Straße aus gesehen werden können. Stärker durchsetzen konnte sich auch LED-Lichterschmuck: Mit seinen klaren, punktförmigen und grellen Lichtquellen versprüht er zwar keinen klassisch-weihnachtlichen Charme, wirkt aber so eisblau und intensiv, dass er einen trotzdem verzaubert.
Doch auch im Herzen Preußens schreitet die Amerikanisierung unaufhaltsam voran. Kaum ein Häuserzeilenbewohner begnügt sich noch mit einem schlichten Leuchtstern, einer Kerzenpyramide oder geheimnisvoll golden funkelnden Lichterketten an Fenster oder Balkon, sei es mithilfe von Wolfram oder Dioden. Nein, schlechter Geschmack ist auch in der weihnachtlichen Großstadt kein Grund, auf kitschige Beleuchtung zu verzichten: je bunter, desto besser. Lichtschläuche, die nicht aus mindestens vier verschiedenen Grundfarben bestehen? Undenkbar. Leuchtkränze mit nur einer Farbe und die sich nichtmal bewegen? Nicht möglich. Und so verwandeln sich nach und nach immer mehr Häuserschluchten statt in weihnachtliche Promenaden in spektrale Abbilder von Rummelpätzen.
Und falls man es noch nicht wusste, dann ist es auch dieses Jahr unübersehbar: Der Weihnachtsmann ist rot und es gibt ihn nicht nur einmal. Wenn man Glück hat, grinst er nur als Leuchtkörper, eingebettet in die quietschigen Lichterketten, von jedem dritten Balkon herab. Wenn man Pech hat, wollten alle Nachbarn wieder gleichzeitig gleichermaßen witzig sein und haben die Weihnachtsmannattrappe in Lebensgröße mit Sack und Leiter über den Balkon geworfen. Fatalerweise wird am dabei wichtigsten Weihnachtsmannmerkmal fast immer gespart: an der Weihnachtsmannfüllung. Und so hängen die Männer in ihren roten Kutten dann schlapp und kraftlos an den Wänden herunter und überbringen eigentlich nur eine Botschaft: Der Weihnachtsmann hat sich dieses Jahr bei Maiers, Müllers und Schulzes nebenan im Fenster eingeklemmt und ist qualvoll verhungert.
Wenn wir Glück haben, hat er sich doch noch rechtzeitig befreien können und es sind in Wirklichkeit nur seine zerfetzten Klamotten, die da im Wind herumbaumeln. Wenn Sie also am 24. Dezember einen alten weißhaarigen Mann in Ihrem Wohnzimmer erwischen, der sich nackt unter dem Weihnachtsbaum zu schaffen macht: zeigen Sie Verständnis.
Ein schönes, fröhliches und umweltbewusst beleuchtetes Weihnachten!