Das Märchen vom Link-Urteil
_












ratloser Paragraph



auf dieser Seite:
Linkurteil-Märchen
Beispiele
das Urteil
Zusammenfassung


Unterseiten:
Chronologie
Kuriositäten
Alternativen
Anti-Disclaimer
  Links/Literatur
Impressum






Das Märchen vom „Link-Urteil“

Unzählige Webmaster und -mistressen distanzieren sich in Deutschland auf ihren eigenen Seiten mit typischen Standardklauseln pro forma von anderen Netzangeboten - und erreichen damit das Gegenteil: über Sinn und Unsinn allgemeiner Distanzierungen von Inhalten fremder Internetseiten.

_


Das Netz der Netze ist bekannt für eine Eigenart, die der Volksmund seit jeher als „Klatsch & Tratsch“ bezeichnet: Nachrichten verbreiten sich über das Internet in Windeseile - und mit der Nachrichtenübermittlung verbunden ist oft auch ein Effekt, bekannt unter dem Namen "Stille Post": Durch die vielfache Weitergabe ein- und derselben Nachricht wird ihr ursprünglicher Informationsgehalt immer weiter variiert und mitunter sogar verfälscht. Schlimmer ist eigentlich nur noch, wenn die ursprüngliche Meldung selbst schon eine Fälschung war. Fatalerweise scheint sich gerade diese Art von Information mitunter besonders schnell und vor allem weit zu verbreiten. Manchmal mischen sich auch Halb- und Unwahrheiten, so dass man am Ende gar nicht mehr so richtig weiß, was denn nun eigentlich stimmt oder ob eine Geschichte überhaupt ein Körnchen Wahrheit beinhaltet. Und das ausgerechnet im Internet, denn gerade hier ließen sich Falschinformationen doch relativ leicht entlarven und widerlegen; denn das weltweite Netz ist doch geradezu das Recherche-Werkzeug, bei dem die Wahrheit nur einen Klick entfernt ist - zumindest wenn man sich die Mühe macht, die Fülle an Informationsquellen gegeneinander abzugleichen und so doch zu einem einigermaßen überzeugenden und seriösen Ergebnis gelangen sollte.

Fast nicht mehr zu erklären ist daher folgende Begebenheit: Im Jahre 1998 urteilte das Landgericht Hamburg in einem Fall, bei dem sich der Kläger durch die Zusammenstellung einer Linksammlung, die Texte fremder Seiten in offenbar verleumderischer Absicht bündelte, in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Das Gericht entschied, dass sich der Beklagte durch die Verweise auf die Fremdtexte schuldig gemacht habe und stellte zugleich fest, dass sich dieser nur dadurch hätte schützen können, wenn er sich von den von ihm verlinkten Seiten ausdrücklich distanziert hätte, gewissermaßen eine Gegenmeinung zum Schutze des Diffamierten gebildet hätte. Ein klares, verständliches Urteil, welches der Situation gerecht wurde und die Interessen des Klägers angemessen zu schützen versuchte.

Doch was nun folgte, war ein Paradebeispiel, ein einzigartiges Lehrstück für das bereits oben Gesagte: Plötzlich - so schien es - bekamen es die Webmaster in Deutschland mit der Angst zu tun, sie könnten für Links auf andere Seiten jederzeit und willkürlich haftbar gemacht werden. Eine Initiative bildete sich und es entstand die Idee, sich durch einen Haftungsausschluss auf den eigenen Seiten abzusichern. Wer kennt diese Zeilen nicht:


_
Mit dem Urteil vom 12. September 1998 - 312 0 58/98 - „Haftung für Links“ hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Anbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seiten ggf. mit zu verantworten hat. Dieses kann - so das Landgericht - nur dadurch verhindert werden, indem man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Hiermit distanziere ich mich ausdrücklich von allen Inhalten der von mir verlinkten Seiten.
_


So oder so ähnlich kann man es mittlerweile auf vielen Seiten lesen, deren Basis im bundesrepublikanischen Hoheitsbereich angesiedelt ist. Und die Verfasser von privaten wie geschäftlichen Seiten meinen, sich damit jeglicher Verantwortung entzogen und den doofen Juristen ein Schnippchen geschlagen zu haben - ein Irrtum.

Neuerdings trifft man bei vielen Seiten oft auch auf eine leicht modifizierte Variante, die zwar etwas gemäßigter klingt, dem Inhalt nach aber genauso widersinnig ist:


_
In der deutschen Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, der Betreiber einer Homepage mache sich durch die Anbringung von Links auf fremde Internet-Seiten die dortigen Äußerungen zu eigen und sei damit unter bestimmten Umständen zum Schadensersatz verpflichtet (Landgericht Hamburg, Urteil vom 12.5.1998, 312 O 85/98). Dies könne nur durch die ausdrückliche Distanzierung von Inhalten dieser Seiten verhindert werden. wir betonen hiermit ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf Gestaltung und Inhalt dieser Seiten haben (...)
_


Solche Distanzierungen sind inhaltlich schlicht falsch und verkehren die ursprüngliche Bedeutung des Urteils des Landgerichts Hamburg ins absolute Gegenteil.

Aber der Reihe nach: Davon abgesehen, dass dieser „Disclaimer“ sprachlich schon einmal nicht besonders geglückt ist („gelinkte Seiten“, „Anbringung“ - das ist weder normales noch amtliches Deutsch) ist erstens das zitierte Aktenzeichen in den meisten Fällen schon mal falsch. Die korrekte Schreibweise der Entscheidung, auf die hier so häufig verwiesen wird, lautet 312 O 85/98 - in die Mitte gehört ein „O“ und nicht etwa eine Null. Meistens stimmt sogar nicht einmal die Jahreszahl. Manchmal soll das Gericht 1999 entschieden haben, manchmal sogar 1997 oder 1996 und die Krönung der Gefühle ist, wenn die Jahresangabe 1998 zwar auftaucht, dann aber am Ende des Aktenzeichens eine andere Zahl steht - auch dieses Phänomen lässt sich vielerorts bewundern.

Des weiteren sollte man sich schon einmal die Mühe machen, sich die Entscheidung, mit der man sich da schützen will, überhaupt einmal näher anzusehen, z.B. bei JurPC oder auf den Seiten von Netlaw.de (die Urteile des Landgerichts Hamburg sind direkt erst ab 2003 online zugänglich). Denn im Urteil heißt es u.a.:


_
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts [...] überschreitet der Text [...] an mehreren Stellen die von Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit, indem die durch Güterabwägung zu ermittelnde Grenze zum Ehr- und Persönlichkeitsrechtsschutz nicht eingehalten ist.
_


Man sieht recht deutlich, worum es in diesem Urteil im Kern ging: um spezifische Meinungen im Rahmen des Persönlichkeitsrechts.

Das Gericht spricht zwar von der Möglichkeit, (eben durch Distanzierung von einer bestimmten Meinung) eine Haftung abwenden zu können (und übrigens nicht, sie dadurch völlig auszuschließen!) - aber in keiner Silbe des Urteilstextes wird behauptet, man könne „nur“ durch eine unbestimmte Distanzierung von fremden Inhalten jedes Haftungsrisiko ausschließen. Wer das glaubt oder so auf seine Seiten schreibt, der zeigt, dass er das Urteil entweder nicht gelesen oder fehlinterpretiert hat.

Das heißt im Klartext: Durch das Anbringen eines allgemein formulierten Haftungsausschlusses wie oben bewirkt man im Grunde überhaupt nichts. Denn eine Banane bleibt eine Banane, auch wenn man sie als Apfel bezeichnet: Distanzierungssprüche wie oben sind in dieser Form eben pauschal, auch wenn sie von sich selbst behaupten, sie wären ausdrücklich.

Sich pro forma von anderer Leute Arbeit zu distanzieren hat nicht viel Sinn. Wie denn auch? Wie kann man sich (rechtsverbindlich) von etwas distanzieren, was man ggf. überhaupt nicht kennt? Schlimmer noch: Durch das Anbringen eines solchen Hinweises könnte man gerade das Gegenteil erreichen: ein Gericht würde im „Ernstfall“ bei Vorhandensein einer derartigen Klausel vielleicht genau das Entgegengesetzte des ursprünglich Beabsichtigten annehmen (inzwischen wohl aber nicht mehr, da sich dieses „Haftungsausschließen“ schon zu sehr verbreitet hat): eine solche Vorgehensweise könnte im Zweifelsfall durchaus als Indiz dafür ausgelegt werden, dass der Betreffende wusste, dass er auf z.B. ehrverletzendes Material verweist.

Wirklich kurios ist, dass der damals Beklagte auf seiner Homepage, zu der die beanstandete Linksammlung gehörte, angeblich einen Haftungsausschluss hatte (!), der seine Verantwortlichkeit bezüglich der fremden Ansichten ausschließen sollte. Eine rechtliche Relevanz besaß dies für das Landgericht Hamburg nicht:


_
Hinsichtlich des klagweise weiterverfolgten Schadensersatzanspruchs ist auszuführen, daß entgegen der Auffassung des Beklagten die Aufnahme des Link weder von der „Haftungsfreizeichnungsklausel“ - so sie denn am 17.2. 1998 überhaupt aufgenommen gewesen ist - noch von dem ohnehin erst im nachhinein erstellten sog. „Markt der Meinungen“ gerechtfertigt wird. [...] Eine [...] ausreichende Distanzierung hat der Beklagte jedenfalls nicht dadurch vorgenommen, daß er auf die eigene Verantwortung des jeweiligen Autors verweist. Dies ist keine Distanzierung sondern vielmehr eine nicht verantwortete Weitergabe und damit eine eigene Verbreitung.

(aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12.5.1998)

_


Man stelle sich dieses paradoxe Geschehen einmal genau vor: Das LG Hamburg sagt mit seinem Urteil, eine Freizeichnungsklausel (so der fachliche Ausdruck) reiche nicht aus, um sich 'aus der Verantwortung zu stehlen', sondern man hätte sich speziell von den fremden Meinungen distanzieren müssen - und was macht Rest-Deutschland? Es setzt eine Klausel auf jede zweite Homepage, die genau das Gegenteil macht, was dieses Urteil für den 'Ernstfall' verlangt und behauptet dann zu guter letzt auch noch, genau dies hätte in dem Urteil gestanden. Absurder geht es nicht mehr.

Bei allen Überlegungen sollte einem doch allein schon der gesunde Menschenverstand [unbedeutende Anekdote am Rande: Person A zu Person B: „Warum läufst Du nicht unter der Leiter durch? Bist Du abergläubisch?“ - „Nein, das ist gesunder Menschenverstand!“] sagen, dass es so nicht funktionieren kann; dass derart sinnfrei formulierte Hinweise keine rechtliche Relevanz besitzen können.

Man übertrage die Situation doch einmal ins nicht-virtuelle Leben: „Ich habe vorher gesagt, ich hafte nicht für Diebstahl, also lasse ich den Diamantring jetzt einfach mal mitgehen...“ - zugegeben, das Beispiel ist überspitzt, aber im Prinzip verhält es sich so. Der Glaube, sich durch einen unbestimmten Hinweis pauschal jeglicher Verantwortung entziehen zu können, erscheint geradezu naiv. Es wäre ja auch zu einfach, wenn man dies allein durch das Anbringen eines einzigen kleinen Satzes erreichen würde. Eine solche Praxis wäre allein schon deshalb fraglich, wenn man sich überlegt, weshalb denn derjenige, der über keinen solchen Hinweis auf seinen Seiten verfügt (und vielleicht versehentlich auf fragwürdige Inhalte linkt) schlechter gestellt sein sollte als derjenige, der zwar eine Notiz auf seiner Homepage stehen hat, aber bewusst auf problematische bzw. rechtswidrige Inhalte verweist. Und noch ein Aspekt sollte gegen einen solchen  Haftungsausschluss sprechen: Wenn man sich von vornherein von allen verlinkten Seiten distanziert, wieso setzt man dann überhaupt Verknüpfungen zu ihnen? Nur weil irgendein Gericht dies angeblich so verlangt?

Fakt ist: wenn man absichtlich die Persönlichkeitsrechte anderer verletzt, hat man ggf. die Konsequenzen zu tragen - egal ob man selbst auf der eigenen Seite durch eigene Texte dies bewirkt oder dies zu umgehen versucht, indem man nur fremde Texte (per Linksammlung) „zusammenstellt“. Auch in Zukunft wird die deutsche Gerichtsbarkeit bei Anzeigen aufgrund einer möglichen Persönlichkeitsrechtsverletzung im Einzelfall entscheiden, in wie weit sich jemand spezifisch schuldig gemacht hat und nicht etwa nur darauf achten, ob jemand auch schön brav eine Haftungsfreizeichnungsklausel auf seine Seite geschrieben hat. Es wird auch künftig immer auf den Grad der eigenen Verantwortlichkeit und Schuld ankommen. Nur, weil einmal ein Gericht einen Sachverhalt entschieden hat, gilt die dort getroffene Entscheidung nicht prinzipiell nun auch für andere und unabänderlich für alle Zeiten, sofern es sich nicht gerade um eine hochrangige Instanz handelt (dieses Rechtsverständnis findet man eher in anderen Rechtskreisen, vor allem im angelsächsischen Raum). Anmerken kann man daher noch, dass den Urteilen eines Landgerichts normalerweise keine sogenannte "Grundsatzwirkung" zukommt - d.h. vereinfacht, dass selbst wenn das LG Hamburg tatsächlich entschieden hätte, dass man generell für fremde Links verantwortlich zeichnet, ein anderes Gericht jederzeit hätte ein gegenteiliges Urteil fällen können. Umso erstaunlicher, dass sich trotzdem halb Deutschland ausgerechnet bei der rechtlichen Beurteilung von Links auf ein Hamburger Urteil beruft.

Dies alles soll kein Plädoyer dafür sein, grundsätzlich auf Haftungsausschlüsse auf Webseiten zu verzichten - im Einzelfall und manchmal auch generell können sie durchaus sinnvoll sein. Den Hinweis auf das Urteil des Landgerichts Hamburg kann man sich jedoch auf jeden Fall sparen (außer, man möchte vielleicht gleich betonen, dass man eine Persönlichkeitsrechtsverletzung begangen hat oder plant). Und wenn schon, dann sollte man auch beachten, dass besagtes Urteil nur von 'Meinungen' im weiteren Sinne handelte - anderer „Content“ wie etwa Bild- oder Tonmaterial wurde überhaupt nicht erwähnt; anders gesagt: eine Klausel mit Hinweis auf dieses Urteil, die vor etwas anderem schützen soll als vor der möglichen Zurechnung fremder Meinungen und somit einer diesbezüglichen Mitverantwortlichkeit, ist an sich schon überflüssig. Natürlich kann man die Verantwortlichkeit für fremde Internetseiten ausschließen (was jedoch im Grunde selbstverständlich ist - aber manche Richter wissen das vielleicht noch nicht) aber man kann dadurch niemals eigenes (!) rechtswidriges Handeln bzw. eine mögliche Mitverantwortlichkeit legitimieren. Bestehende Gesetze lassen sich niemals durch Haftungsausschlüsse aushebeln.

Wer jedoch nicht gegen Gesetze verstößt und im guten Glauben auf fremde Seiten linkt, hat normalerweise nichts zu befürchten, selbst dann nicht, wenn sich später auf dieser Fremdseite etwas zu seinen Ungunsten ändert - eine Beobachtungspflicht für fremde verlinkte Webseiten existiert meines Wissens nicht. Wie schon gesagt: etwas anderes gilt nur, wenn das Verlinken mit böswilliger Absicht geschieht oder man Kenntnis von z.B. rechtswidrigem Material hat. Das Weglassen eines solchen „Disclaimers“ auf privaten Seiten führt aber keinesfalls zu einer generellen Verantwortlichkeit eines jeden für andere Angebote im Netz. Die Struktur des Internets beruht doch geradezu auf der Konstruktion des Link-Prinzips, dessen sollten sich auch die Gerichte bewusst sein - und sie sind es sich in zunehmendem Maße: mit Urteil vom 17. Juli 2003 hat z.B. der BGH (Bundesgerichtshof) mit dem „Paperboy-Urteil“ bestätigt, dass auch sog. „Deep Links“ (direkte Verknüpfungen zu fremden Unterseiten) legitim sind.

Einen Autor einer Webseite prinzipiell in Regress zu nehmen, nur weil sich am Ende einer Link-Kette, die vielleicht nur zufällig von seiner eigenen Seite ausging, illegales Material befindet, führt jegliches Verständnis der Materie ad absurdum (wenn man den Gedanken konsequent fortsetzt, könnte man so eine Verantwortung des Einzelnen für das gesamte Internet konstruieren - das macht die Unsinnigkeit einer pauschalen Haftung für Links relativ deutlich).

Man stelle sich noch einmal das oben gebrachte Beispiel vor: Nur, weil ich gesehen habe, wie jemand einen Diamantring eingesteckt hat, soll ich nun auch des Diebstahls strafbar sein, nur weil ich vergessen habe, die Haftung auszuschließen, für den Fall dass ich beobachte, wie jemand einen Diamantring einsteckt, der vorher die Haftung ausgeschlossen hat, für den Fall, dass er einen Diamantring einsteckt? Das kann es nicht sein.

Wer in Sachen Linkhaftung trotzdem ganz sicher gehen möchte, ohne aber auf den Disclaimer-Unfug zurückzugreifen, schreibt auf seine Seiten, dass er sich Inhalte anderer Seiten nicht zu eigen macht. Aber normalerweise reicht es völlig aus, wenn man deutlich erkennbar werden lässt, wann es sich um eigene, und wann um fremde Seiten handelt (was meist ohnehin der Fall ist), denn grundsätzlich ist jeder Anbieter nur für eigene Inhalte verantwortlich. Eine pauschale Haftungsprivilegierung nach §§ 8 ff. TDG oder §§ 6 ff. MDStV, wie oft im Zusammenhang mit Linkdistanzierungen gelesen, ist dabei nach aktueller Rechtsprechung in Bezug auf das Setzen von Links allerdings genausowenig möglich wie eine pauschale Verantwortlichkeit des Linksetzenden für Fremdinhalte.

Zur Ehrenrettung des typischen „Linkurteil-Disclaimers“ ist zu sagen, dass zumindest eine spätere Gerichtsentscheidungen das Vorhandensein genau dieses Haftungsausschlusses zugunsten des Betroffenen ausgelegt hat: Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein sprach am 19. Dezember 2000 im „Swabedoo-Fall“ den Beklagten frei, und nahm auch Bezug auf den typischen Linkurteil-Haftungsausschluss, mit dem sich der hier Beklagte „ausdrücklich von anderen Seiten distanzierte“. Allerdings spielte die Klausel für die Urteilsfindung wohl eine eher untergeordnete Rolle und unterstützte offenbar lediglich die Gesamtauffassung der Richter, die ohnehin davon ausgingen, dass ein Anbieter von Links zu fremden Seiten sich deren Inhalte nicht zu eigen macht, wenn es sich um ganz „normale Links“ handelt und es offensichtlich ist, dass der Webmaster nicht für Fremdinhalte verantwortlich gemacht werden möchte (dem Disclaimer kam so nur eine Deklarationswirkung zu, d.h. er bewirkte nicht etwa einen Ausschluss der Haftung, sondern diente nur als Abgrenzungsmerkmal zu einer fremden Seite). Das Gericht stützte sich hauptsächlich auf § 5 Abs. 3 TDG a.F., das eine Zurechenbarkeit für fremde Inhalte ausschloss.

Das Oberlandesgericht führte das Hamburger „Linkurteil“ hier als ein weiteres Beispiel für seine eigene Argumentation an und betonte so auch noch einmal, dass es immer auf „zusätzliche Umstände“, also den Gesamteindruck ankomme, ob etwa ein Webmaster den Eindruck vermittelt, dass er sich für verlinkte Seiten mitverantwortlich zeigt (sich diese zu eigen machen will) oder aber eben nicht - d.h. somit im Umkehrschluss, dass das OLG indirekt hier ebenso aufzeigt, dass eine kleine Distanzierungs-Klausel allein keinesfalls ausreicht, um die Beurteilung einer Mitverantwortlichkeit für fremde Internetseiten zu beeinflussen.

Der Hinweis „Ich mache mir Inhalte fremder Seiten nicht zu eigen“ (statt des Zitierens des Hamburger Linkurteils oder der meist damit verknüpften „ausdrücklichen Distanzierung“) hätte also in diesem Fall wohl genauso seinen Zweck erfüllt - aber wäre nicht nötig gewesen und verzichtbar (da eben im Normalfall selbstverständlich): hier im „Swabedoo-Fall“ wäre es wohl auch dann nicht zu einer Niederlage des Beklagten gekommen, wenn dieser eben keinen „Disclaimer“ gehabt hätte.

Ein Aspekt noch am Rande: Was soll mit denjenigen geschehen, die bewusst auf rechtswidriges Material verweisen, weil sie etwa zu Dokumentationszwecken Quellen zu negativen Beispielen oder Gegenmeinungen anbieten möchten? Sollen diese Webmaster nun pauschal dafür verantwortlich sein? Geht man nach der derzeitigen juristischen Lage, bewegt man sich hier sicherlich in einer Grauzone, doch genau für solche Fälle könnte das Hamburger Urteil ausschlaggebend sein. Ich denke, hier bestünde bei offensichtlichem Zweck der Linksetzung die Möglichkeit, sich von den fremden Seiten ausdrücklich zu distanzieren, wenn es eindeutig geschieht. Denn man „distanziert sich ausdrücklich von fremden Seiten“ nicht, indem man diesen Satz irgendwo dazuschreibt, sondern indem man sich tatsächlich ausdrücklich von fremden Seiten distanziert. Wie das auszusehen hat, muss „bei Bedarf“ jeder selbst für sich entscheiden.

Die rechtliche Grauzone schwindet allerdings zusehends: Erstmals hat nun auch der BGH mit dem „Schöner wetten-Urteil“ vom 1.4.2004 diese Ansicht im Bereich des Presserechts bestätigt: Das Setzen eines Links zu einem rechtswidrigen Angebot kann dem Linksetzenden demnach nicht zur Last gelegt werden, wenn man davon ausgehen kann, dass er nichts von der Rechtswidrigkeit wusste und nicht anzunehmen ist, dass er den verlinkten Seiteninhalt gutheißt.

Die Kernaussage der hier gemachten Überlegungen lautet also: Ja, eine Haftung für fremde verlinkte Internetseiten ist im deutschen Recht selbstverständlich möglich (aber nicht „automatisch“ gegeben!), einen Schutz davor bietet jedoch nicht das Anbringen eines Haftungsausschlusses oder das (falsche) Zitieren von Urteilen, sondern nur das eigene, verantwortungsbewusste Handeln.

Entstehen konnte die Legende vom Linkurteil wohl nur, weil irgendwann einfach nur noch jeder vom anderen abgeschrieben hat ohne dies zu hinterfragen, geschweige denn zu überprüfen - und natürlich, weil das Ganze ja so schön eindrucksvoll aussieht. Ganz nach dem Motto „schaden kann es ja nicht, wenn ich das Geschreibsel auf meine Seiten setze...“ - stimmt, aber dafür sehen viele private Seiten im Ergebnis nun um einiges lächerlicher aus bzw. sie sahen aus: dass auch ich einmal zu bequem war, die grauen Zellen zu bemühen, erfuhr man, wenn man sich eine frühe Version meiner ersten Homepage ansah.

Peinlicher wird es nur noch, wenn selbst gewerbliche Internetangebote, Online-Publikationen oder kommerzielle Newsletter u.ä. diesem Märchen aufsitzen, vor allem bei solchen, von denen man denken würde, dass sie über eine adäquate Rechtsabteilung verfügen sollten.

Da fragt man sich schon, wie sehr man dem Internet als Informationsquelle bezüglich seines Wahrheitsgehaltes eigentlich vertrauen kann, wenn ein so kleiner Irrtum imstande war, sich zu solch einem Massenphänomen auszuweiten. Zwar ist es nach meinem subjektiven Empfinden mittlerweile schon besser geworden, aber noch immer erhält man eine stattliche Anzahl von Treffern, wenn man einmal nach „landgericht hamburg distanziere“ 'googelt'.

„Stille Post“ in Reinkultur. Aber wie immer bei jedem Märchen: auch in diesem steckt ein Körnchen Wahrheit. Nur hat dieses nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun.






Unterseiten
_

Chronik
Die Legende vom "Link-Urteil": Urteile anderer Gerichte, die sich seit der Entscheidung des Hamburger Landgerichts ebenfalls mit der Haftung für Hyperlinks beschäftigt haben

Kuriositäten
Das "Link-Urteil" treibt nicht nur auf Privatseiten seltsame Blüten...

Alternative: Anti-Disclaimer
Der Trend zur Gegenbewegung: Webschaffende, die sich ausdrücklich vom Distanzieren distanzieren

Links/Literatur
Verweise, Tipps und Interessantes rund um das Thema Linkhaftung
























andere Quellen:

Daniel Rehbein
entlarvt anschaulich die Absurdität der Disclaimer


Links & Law
Dr. Stephan Ott stellt die Widersprüche um den LG Hamburg-Disclaimer dar und gibt Tipps für den Webmaster


Subotnik
Distanzierung von der Distanzierung und Klärung der Frage: Wie verlinke ich „richtig“?


jendryschik.de
über die Schädlichkeit von Disclaimern für das World Wide Web


Internetrecht Rostock
Rechtsanwalt Johannes Richard über die Sinnlosigkeit typischer Distanzierungen


Schneegans.de

Kritische Anmerkung zum Disclaimer und Auflistung relevanter Urteile



Aktuelles und Nachbetrachtungen zum Thema Linkurteil-Märchen im Weblog













 Seiten:  1...  2...  3...  4...  5...  6...

powered by knetfederDaniel W. Schneider; Berlin, den 30. Oktober 2001; letzte Änderung am 4.8.2005
Seitenstandort: http://www.knetfeder.de/recht/linkurteil/