Vor gerade einmal 30 Jahren war es noch Science-Fiction, heute ist es fast schon Alltag. Während es bei Raumschiff Enterprise noch Captain Picard und Kollegen vorbehalten war, Texte auf einer Art elektronischem Pad zu lesen, statt dicke Bücher wälzen zu müssen, sieht man heute die Leute in Bahnen und Bussen, die entweder auf ihre Smartphones oder aber Lesegeräte starren. Das elektronische Buch ist Wirklichkeit geworden, das gedruckte Taschenbuch oder die unhandliche Zeitung auf dem Rückzug.
Das elektronische Lesen wird en vogue, früher oder später kommt man auf den Geschmack oder wird zumindest neugierig. Was ist dran am E-Book und wo liegen die Vor- und Nachteile? Für den Einzelnen, der sowieso seine Bücher über Amazon ordert, ist der Kindle derzeit der bequemste und günstigste Weg, zum elektronischen Lesevergnügen zu gelangen. Daher sahen wir uns dieses Gerät einmal genauer an. Wir entschieden uns für die günstigste Lösung, für den Standard-Kindle ohne Touchscreen oder Tastatur, denn das Anwendungsgebiet soll hier Belletristik sein – dafür tut es auch ein simples Gerät ohne Farbe oder die Möglichkeit der Texteingabe und mit klassischer Bedienung über Knöpfe statt direktes Wischen über den Bildschirm. In einen normalen Roman muss man nicht hineinschreiben können.
Größenvergleich: Clarke, Amazon, Vermes
In der Science-Fiction scheint das Lesen auf einem Reader das Einfachste auf der Welt – ein kleines Gerät ist verbunden mit dem Zentralcomputer und hat somit Zugriff auf die Literatur der gesamten Galaxie. In unserer Zeit ist elektronisches Lesen hingegen noch mit Einschränkungen verbunden. Der Zentralcomputer ist in diesem Falle nicht das Internet, sondern die Server von Amazon, die exklusiv den Kindle mit Inhalten versorgen.
Personalisierte Geräte
Die erste Falle lauert schon beim Kauf: wer einen Kindle einfach so bestellt, erhält ein Gerät, das bereits dem eigenen Benutzerkonto bei Amazon zugeordnet ist. Möchte man ein blankes Gerät ohne Verknüpfung mit persönlichen Daten erwerben, dann muss man den Kindle als Geschenk ordern. Doch auch in diesem Fall lässt sich das Gerät nicht einfach so nutzen oder vom Fleck weg mit Büchern befüllen: ein Kundenkonto bei Amazon ist zwingende Voraussetzung, um Bücher von Amazon auf das Gerät zu bekommen.
Bei der ersten Inbetriebnahme verlangt auch ein „Geschenk-Kindle“ eine Registrierung bei Amazon – das Gerät soll einem Kundenkonto zugeordnet werden, damit Bücher direkt bei Amazon gekauft und auf den Kindle geladen werden können. Zwingend vorgesehen ist dafür eine WLAN-Verbindung. Wer kein WLAN hat oder eine individuelle Zuordnung nicht möchte, schaut in die Röhre. Ein Zugreifen auf digitale Inhalte wie in der von der Science-Fiction vorweggenommenen Zukunft ist dann nicht möglich. Der Weg führt dann nur über den Umweg PC: Buchdateien können bei Amazon auch zum Lesen auf den Computer heruntergeladen werden, hierfür ist dann allerdings die Installation einer Amazon-Software erforderlich. Über diesen Umweg bekommt man E-Books dann auch auf einen nichtregistrierten oder nicht mit WLAN verbundenen Kindle: man kopiert die AZW-Dateien dann einfach aus dem Speicherordner der Software auf den des Kindles.
Kindle fordert zur Registrierung auf
Dies funktioniert allerdings nur mit ungeschützten Dateien, mit Büchern, die nicht zusätzlich durch digitales Rechtemanagement geschützt sind. In allen anderen Fällen beschwert sich der Kindle dann darüber, dass für die Anzeige nicht die nötigen Rechte vorhanden seien, da die entsprechende Datei bereits der Kindle-PC-Software zugeordnet ist bzw. keiner bestimmten Person, und verweigert die Darstellung. Mit DRM geschützte E-Books können nur auf registrierten Kindle-Geräten gelesen werden – oder eben am PC.
Ob ein Buch DRM-geschützt ist oder nicht, ist zwar nicht Sache von Amazon, sondern die Entscheidung des jeweiligen Verlages, in der Regel lässt sich jedoch im Vorfeld nicht erkennen, ob man ein technisch geschütztes E-Book erwirbt oder nicht. In den meisten Fällen sind die AZW-Dateien von Amazon jedoch mit Kopierschutz versehen. Kundenfreundliches Verteilen auf verschiedene Lesegeräte, abseits der Softwarelösungen von Amazon, ist somit nicht möglich.
Bleibt noch das individuelle Umwandeln: Der Kindle lässt sich trotz vieler Hürden eingeschränkt auch als ganz normales Lesegerät nutzen, ohne irgendeine Verbandelung mit Amazon. Doch wer E-Books anderer Anbieter auf das Gerät bringen will, muss die meist im EPUB-Format vorliegenden Bücher zuerst in das Amazon-Format umwandeln, etwa mit der kostenlosen Open-Source-Software Calibre. Auch dies ist wiederum legal nur möglich, wenn die Bücher keinen Kopierschutz aufweisen.
Lesen mit dem Gerät
Wenn der Kindle jedoch wie vorgesehen eingerichtet und „personalisiert“ ist, dann ist das Bücherlesen eine angenehme Sache. Direkter Zugriff auf den Warenbestand von Amazon, Kauf direkt über das Gerät – und somit stets verfügbaren Lesestoff in Hülle und Fülle dabei. Ein ganzer Buchladen in Rucksack und Handtasche immer dabei. Die Bedienung gestaltet sich dabei ausgesprochen intuitiv: Der Kindle kommt mit lediglich einem Steuerkreuz, fünf Buttons (Zurück, Tastatur, Auswahl, Menü und Home) und je zwei Navigationsschaltern zum Vor- und Zurückblättern an beiden Seiten aus. An der Geräteunterseite befindet sich zusätzlich ein Aus-/Einschalter. In der Haupt-Menüansicht werden die vorhandenen Inhalte ausgewählt, seitenweise umgeblättert wird mit den Seitentasten. Sowohl links als auch rechts am Gerät kann vor- und zurückgeblättert werden, je nach Handhaltung. Praktischer wäre jedoch ein Blättern über das Steuerkreuz im unteren Bereich gewesen, da hier in der Regel der Daumen liegt. Das Blättern mit den seitlichen Kippschaltern ist gewöhnungsbedürftig, gelingt aber nach einer Weile problemlos. Eine echte Buchseite würde man schließlich auch nicht mit dem Daumen umblättern.
Etwas umständlich ist jedoch die Lesezeichenverwaltung. Unter dem Punkt „Clippings“ steht im Hauptmenü eine Übersicht der angelegten Lesezeichen bereit, direkt anwählen und so an eine bestimmte Stelle im Buch springen lässt sich damit jedoch nicht. Um zu einem bestimmten Lesezeichen zu gelangen, muss man sich bereits im jeweiligen E-Book-Inhalt befinden und dort im Menü die Verweise aufrufen. Das Anlegen von Lesezeichen ist ähnlich umständlich, auch hier führt der Weg über mehrere Menüpunkte. Immerhin merkt sich der Kindle die zuletzt angezeigte Seite eines Buches. Die Möglichkeit, Anmerkungen zu erstellen, ist auch bei diesem Kindle-Modell ohne Tastatur möglich (über eine virtuelle Tastatur, die rudimentär mit dem Steuerkreuz bedient wird), ein Vergnügen ist dies jedoch nicht, sondern eine Notlösung. Wer regelmäßig mit seinem Reader auch schreiben muss, wird mit dem touch- und tastaturlosen Modell nicht glücklich werden, Romanleser werden jedoch nichts vermissen.
Kontrastreich ohne Hintergrundbeleuchtung, doch der Blocksatz zeigt Aussetzer
Einstellung der Schriftdarstellung
Am Kontrast ist nichts auszusetzen, das E-Ink-Display stellt die Buchstaben gestochen scharf dar, verschiedene Schriftgrößen und -arten lassen sich in den Einstellungen auswählen, ebenso wie die Breite der Anzeige und der Zeilenabstand. Das Neuzeichnen des Inhalts ist deutlich träger als von TFT-Bildschirmen gewohnt, aber ausreichend. Das für E-Ink-Monitore typische Flackern beim Umblättern stört kaum, es erinnert an die frühen Monochrome-LCD-Displays. Unschön wirkt jedoch der automatische Blocksatz. Der Kindle stellt Texte automatisch im Blocksatz dar, wenn die jeweilig angezeigte Datei selbst keine anderen Vorgaben macht. Eine automatische Silbentrennung existiert jedoch nicht. Das führt dazu, dass die Abstände zwischen den Wörtern sehr uneinheitlich ausfallen und der Blocksatz zeilenweise sogar aufgehoben wird, was zu störenden Einrückungen führt. Das Standard-Schriftbild des Kindles ist nichts für Ästheten und Typographen. Eine generell linksbündige Ausrichtung wäre sinnvoller, sähe aber wahrscheinlich nicht genug nach Buchdruck aus, und ist daher über die normalen Menüs nicht einstellbar.
PDF-Dateien, die der Kindle neben reinem Text ebenfalls beherrscht, sollte man ebenfalls meiden. Da PDFs unkonvertiert abgebildet werden, ist man beim Lesen jener andauernd am Verschieben des Bildausschnittes, da man das gesamte PDF als ganze Seite auf dem kleinen Display natürlich nicht sinnvoll darstellen kann. PDFs auf dem Kindle sind daher ebenfalls nur eine Notlösung.
Papierersatz
Die Haptik eines echten Buches fehlt selbstverständlich, beim Lesen kommt zu keinem Zeitpunkt das Gefühl auf, man habe es hier mit einem Buchersatz zu tun. Der Kindle ist ein Miniaturcomputer, ein Gameboy für Bücher. Ohne Menüs kommt man nicht aus, man bedient eine Benutzeroberfläche, statt ein Buch durchzublättern. Buchseiten spielen keine Rolle mehr, der E-Book-Reader verschmilzt sämtliche Seiten zu einer einzigen, die sich je nach Lesestand aktualisiert. Konsequenterweise verzichtet der Kindle somit auch auf die Anzeige von Seitenzahlen. Die aktuelle Position im Buch erfährt der Kindle-Nutzer über eine Prozentbalken-Fortschrittsanzeige am unteren Bildschirmrand. „Ich bin auf Seite 100“ wird zu „ich bin bei 30 Prozent“.
Seitenzahlen adé
Die Übersichtlichkeit eines Buches wird nicht erreicht, dafür spart man in der Regel ordentlich Gewicht und bekommt ganz neue Möglichkeiten mittels der Durchsuchbarkeit des Textes. Interessanterweise liegt das gefühlte Gewicht beim Kindle deutlich über dem tatsächlichen. Das massive, metallene Cassis lässt den Kindle schwerer wirken als er tatsächlich ist. Die kühle, feste Oberfläche verleiht dem Kindle subjektiv dasselbe Gewicht wie ein in Wirklichkeit doppelt so schweres Taschenbuch, das in Pappe und Papier daherkommt und sich weicher, wärmer und damit leichter anfühlt.
Gewichtsvergleich: Taschenbuch und Kindle wiegen jeweils exakt 156 Gramm, doch das Taschenbuch wirkt gefühlt deutlich leichter/luftiger
Wer allerdings denkt, dass mit dem elektronischen Buch endlich das Zerknitterte, Ausgelesene, mit Eselsohren und Knicken Versehene ein Ende habe, der behält nur teilweise Recht: Die Oberseite des Kindles ist kratzempfindlich und das matte, gummierte Schwarz der Rückseite des Gehäuses verschmiert schnell. Auch einem Kindle sieht man daher mit der Zeit an, ob sein Besitzer gerne liest oder das Gerät nur zu Dekorationszwecken nutzt.
Schnell speckig: die gummierte Rückseite erweist sich ebenso wie der hochglänzende Rand als Schmutzfänger
Kleinigkeiten und der Datenschutz
George Orwell rotierte vermutlich im Grabe, als Amazon vor einiger Zeit seine Werke nachträglich von den Kindles der Käufer löschte, weil man das Fehlen der Lizenzrechte für den elektronischen Vertrieb übersehen hatte. Seine Ruhe wird er aber auch weiterhin nicht finden, denn Amazons Nutzungsbedingungen lassen „1984“ und „Fahrenheit 451“ geradezu wie Pipifax erscheinen. Amazon weiß zu jeder Zeit, welche Bücher die Kunden für ihre Kindles gekauft haben, welcher Nutzer welche Bücher liest und bevorzugt. Nicht nur das, ein mit WLAN verbundener Kindle holt sich nicht nur automatisch neue Bildschirmschoner für den Ruhebetrieb, sondern sendet auch Statusinformationen wie Lesehäufigkeit und sogar die persönlich markierten Lesezeichen an Amazon. Dieses Recht nimmt sich Amazon in seinen Klauseln heraus:
Die Software stellt Amazon Daten über Ihren Kindle (…) bereit (…) z. B. verfügbarer Speicherplatz, Betriebszeit (…) zuletzt gelesene Seite (…) Archivierung von Inhalten (…). Informationen, die Sie Amazon zur Verfügung stellen, einschließlich Anmerkungen, Lesezeichen, Notizen, Markierungen oder ähnliche Kennzeichnungen (…) können auf Servern außerhalb des Landes (…) gespeichert werden.
Nicht zuletzt besitzt ein Kindle-Nutzer seine bei Amazon gekauften Werke nicht einmal, er hat nur die Nutzungsrechte erworben.
Der Kindle als universelles Lesegerät
Mit dem Kindle ist man, auch wenn die Amazon-Funktionen allgegenwärtig sind, jedoch keineswegs auf Amazon festgelegt, ja noch nicht einmal auf E-Books. Es dürfte nicht gerade im Sinne Amazons sein, aber man kann den Kindle auch wunderbar als Offline-Lesegerät für alle möglichen Inhalte verwenden, ohne je eine Verbindung zu Amazon oder dessen Servern aufbauen zu müssen. Damit büßt man zwar den Komfort der direkten Anbindung an den elektronischen Buchladen ein und muss mit USB-Kabel hantieren, um den Kindle via PC mit Inhalten zu befüllen, aber möglich ist es durchaus. Denn E-Books sind auch nichts anderes als eine überlange HTML-Seite. Beispielsweise lässt sich der Kindle zum Zusammenstellen einer persönlichen Zeitung „missbrauchen“: Wer längere Zeitungsartikel nicht gerne am Computerbildschirm oder dem Smartphone liest, nimmt sie einfach mit auf den Kindle. Dazu installiert man sich idealerweise eine kleine Erweiterung für den Browser und speichert damit Webseiten im Kindle-Format ab. Neben Webdiensten, die auf diese Weise archivierte Webseiten auch direkt an den Kindle senden können, gibt es auch Erweiterungen, die die Umwandlung lokal auf dem Rechner des Benutzers vornehmen, z.B. die Firefox-Erweiterung GrabMyBooks. Diese nutzt dazu das Calibre-Programm, um Webseiten ins MOBI-Format umzuwandeln, das ältere Kindle-Format, und speichert sie als Dateien ab – direkt auf den mit USB-Kabel angeschlossenen Kindle oder auf die Festplatte zum Späterverschieben.
Die Lesezukunft ist da
Auch in den Science-Fiction-Serien der 80er Jahre gab es noch echte Bücher – aber nur noch als Liebhaberei oder Artefakt. So weit wird es in der Gegenwart nicht kommen, doch E-Book-Reader wie der Kindle sind eine bequeme Möglichkeit, schnell viele Inhalte lesefreundlich griffbereit zu haben. Selbst die größten Skeptiker der E-Books oder Kritiker speziell des Kindles dürften sich der Faszination der Technik nicht entziehen können, wenn sie einen solchen Reader erst einmal in Händen halten. Es bereitet überraschend viel Spaß, ein Buch papierlos auf diese Weise zu lesen, Klicken statt Umblättern wird zum Vergnügen. Der Charme des gedruckten Buches konkurriert nun mit dem Charme der Technik. Der einfache Kindle hat dabei genau die richtige Größe, um Texte angenehm lesen zu können – eben wie eine Buchseite. Nicht so winzig wie ein Smartphone und nicht so überdimensioniert wie ein Tablet.
Lesen mit dem Kindle ist im wahrsten Wortsinne leichter – wenn man ansonsten gewohnt ist, hardgecoverte Wälzer zu verschlingen. Ignoriert man die rechtliche Problematik und den Big-Brother-Effekt (oder verweigert man sich dem), dann kann man mit dem Kindle als E-Book-Reader nicht viel falsch machen. Den wahrscheinlich komfortabelsten Einstieg in die Welt der E-Books erhält man durchaus mit dem Kindle, der Komfort endet jedoch an den Grenzen des Amazon-Shops. Die Nutzung eines Kindle-Geräts abseits von Amazon ist möglich, hierbei wird es dem Nutzer jedoch unnötig umständlich gemacht, allein schon aufgrund der geringen Auswahl an möglichen Formaten.
Der Umgang mit MOBI/AZW-Dateien ist unabdingbar, um den Kindle sinnvoll nutzen zu können. Wer sich nicht daran stört, dass der Reader primär als Teil eines geschlossenen Systems konzipiert ist und auf Funktionen verzichtet werden muss, wenn das Gerät unabhängig von den Diensten Amazons genutzt werden soll, der erwirbt mit dem Kindle einen Betrachter, der technisch und im Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugt. Das Schönste am Kindle dürfte allerdings die Gewissheit sein, dass man von Amazon wahrscheinlich sogar dann Ersatz bekäme, wenn man es schaffen würde, ein Eselsohr in das Gerät zu bekommen.
Weiterführendes
Mit Amazon auf dem Weg zum Bucholigopol
E-Book Reader – Die Regalwand der Zukunft?
Standbild bevorzugt – Wie man beim Kindle den Bildschirmschoner abschaltet
Flattersatz bevorzugt – Wie man beim Kindle den Blocksatz abschaltet
Webseiten mit Firefox-Erweiterung in Kindle-Dateien umwandeln
Vielen Dank für die Empfehlung der Anleitung auf Elektrozeug.de, hat mich sehr gefreut!