Der Buchmarkt befindet sich in einer kritischen Phase. Das elektronische Lesen kommt immer mehr in Mode, bedrucktes Papier zwischen zwei Buchdeckeln ist nur noch eine Möglichkeit unter anderen. Dabei nimmt ein Anbieter am Markt derzeit eine Vorreiterrolle ein, der sich mit der Kombination aus Marktmacht, Reichweite und technischem Vorsprung anschickt, den elektronischen Buchmarkt von Anfang an zu vereinnahmen.

Der riesengroße Vorteil, den Amazon im Internetvertrieb hat, ist der, dass fast jeder Konsument mit Internetanschluss schon einmal bei Amazon gekauft hat. Der Kundenstamm des einstmals reinen Buchhändlers, der es mittlerweile auf ein Vollsortiment bringt und zu so etwas wie dem Internetkaufhaus schlechthin geworden ist, ist immens. Bei der Suche nach einem bestimmten Produkt kommt man an Amazon meist nicht vorbei, der Onlineshop, der in den letzten Jahren sukzessive zur Handelsplattform umgebaut wurde, ist erste Anlaufstelle und meist Referenz für die Konkurrenz. Die Preise liegen durch das Einrechnen von Versandkosten zwar meist deutlich über denen alternativer Onlineshops, doch bei Kundenservice und Versandzeiten hat Amazon einen fast blütenweißen Ruf. Dieser Umstand zahlt sich nun aus, da es in diesen Zeiten um nichts anderes geht als um die Vorherrschaft bei der Digitalisierung des Buches und dessen Vertrieb.

Amazon verschenkt E-BooksAmazon schickt sich an, mit seinen E-Book-Readern in diversen Ausführungen die Marktführerschaft zu übernehmen. Da der Kundenstamm bereits riesig ist, scheint es ein Leichtes, die Amazonkunden auch für die eigene E-Book-Produktlinie zu begeistern, wenn es um den Erwerb von elektronischen Büchern geht. Wenn man ohnehin schon Amazonkunde ist, entfällt die Anmeldung bei einem weiteren Portal, die Hürde zum Einstieg liegt niedrig. Dazu kommt, dass Amazon mit der Kindle-Familie diverse Reader im Angebot hat, die technisch auf der Höhe der Zeit sind und die dazu noch subventioniert verkauft werden. Aktuell wird das einfachste Kindle-Modell für unter 80 Euro vertrieben.


Die Verführung des Kunden

Im Vergleich zur Konkurrenz zählen die Kindles zu den günstigsten E-Book-Readern, die man mit der für das Lesen optimal geeigneten E-Ink-Technik erwerben kann. Für technisch gleichwertig ausgestattete, aber nicht subventionierte Reader zahlt der Kunde deutlich mehr. Andere Geräte hingegen, etwa Alternativen aus dem Buchhandel, die sogar stellenweise mit klassischer TFT-Technik arbeiten, fielen bei Akkulaufzeit, Lesekomfort und Darstellungsgeschwindigkeit bei den Kunden bislang überwiegend durch. Es kommen also drei Dinge zusammen: ständige Berieselung der Bestandskunden mit günstigen Preisen (der meist günstigere Preis für E-Books wird auch bei der Suche nach klassischen Büchern mit eingeblendet), die Anpreisung der hauseigenen Geräteflotte (selbst wenn ein Buch nicht als E-Book verfügbar ist, blendet Amazon geschickt Hinweise auf den Kindle ein) und das bereits bestehende Kundenkonto.

Kindle-Hinweise auf einer Buchproduktseite
Kindle-Hinweise allerorten

Amazon bietet dabei auch noch die beste Auswahl: Während die Konkurrenz meist nur ein Modell oder allenfalls noch verschiedene Versionen ein und desselben Geräts im Angebot hat, hält Amazon eine ganze Produktreihe von Lesegeräten im Angebot: Neben dem Ur-Kindle der ersten Generation (mit Tastatur), der inzwischen unter dem Namen „Kindle Keyboard“ angeboten wird, sind das der aktuelle „Kindle“ in schwarz (zuvor silberfarben) mit Tastenbedienung, der „Kindle Paperwhite“ mit zusätzlicher Beleuchtung und Touchscreen und der „Kindle Fire“, schon mehr Tablet-Computer als nur bloßes Lesegerät.

Die Ironie an der Geschichte ist, dass Amazon dadurch wieder zu einem guten Stück zu seinen Wurzeln zurückkehrt – zum Buchverkauf. Anders als noch vor zehn Jahren geht es um mehr als nur das bloße Verkaufen von gedruckten Wörtern. Es geht um die Umwälzung eines ganzen Vertriebszweiges, um die Schaffung eines Quasi-Monopols, um das man in Zukunft immer schwieriger herumkommen wird. Denn die Kindles sind nicht einfach irgendein Lesegerät für elektronische Bücher, sie sind das einzige Lesegerät, das für das Lesen von über Amazon verkaufte E-Books in Frage kommt. Wer elektronische Bücher bei Amazon kaufen will, kommt um den Erwerb eines Kindles kaum herum. Umgekehrt können Besitzer eines anderen Lesegerätes mit den bei Amazon erworbenen Büchern nicht viel anfangen.


Inkompatibilitäten

Als Beispiel sei der Sony-Reader genannt, der nahezu alle üblichen E-Book-Formate unterstützt – ausgenommen das Amazon-Format. Die Kindle-Geräte wiederum unterstützen nur das hauseigene Format, reinen Text und PDFs – nicht hingegen das Konkurrenz-Format EPUB, mit denen fast alle übrigen Buchhändler operieren. Theoretisch lassen sich die Formate natürlich untereinander austauschen, doch dies ist bisweilen eine fummelige Angelegenheit, geht mit Darstellungsstörungen einher und macht den Komfort der Symbiose von elektronischer Datei und Gerät zunichte. Bei mit digitalem Rechtemanagement geschützten Buchdateien ist es legal in Deutschland derzeit gar nicht möglich, diese in ein alternatives Format umzuwandeln. Es besteht kein Rechtsanspruch darauf, eine digital verschlüsselte Datei in einem bestimmten, bevorzugten Format zu erhalten. Amazon verkauft oder verschenkt auch Bücher, die frei sind von digitalen Beschränkungen, doch der Großteil der über Amazon bezogenen E-Books lässt sich nur auf dem Kindle lesen.

Die Auswirkungen sind klar: Da sich wohl kaum ein Konsument mehrere Lesegeräte für E-Books zulegen wird, muss er sich bei Interesse von Anfang an für ein System entscheiden: und das wird im Zweifel jenes sein, zu dem er am einfachsten Zugang erhält und das preislich wie qualitativ zu überzeugen vermag. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Amazon derzeit alle Trümpfe in der Hand hält. Die weitere Veramazonisierung des E-Book-Marktes wird sich kaum aufhalten lassen.

Kindle-Hinweise auf einer Buchproduktseite
Amazon forciert die E-Book-Verfügbarkeit

Auch wenn Amazon durch sein hauseigenes AZW-Format für E-Books dafür sorgt, dass es zum Rest der E-Book-Welt inkompatibel wird, wäre es unfair, Amazon allein den Schwarzen Peter zuzuschieben. Selbstverständlich hat Amazon ein berechtigtes Interesse daran, dass die Kundschaft elektronische Bücher für den Kindle auch bei Amazon kauft, würde Amazon doch sonst der Konkurrenz mit den subventionierten Lesegeräten in die Hände spielen. Auch für den lästigen Kopierschutz, der Bücher auf bestimmte Geräte beschränkt und eine Konvertierung verhindert, ist nicht Amazon verantwortlich, auch wenn es die Möglichkeiten dafür schafft – es sind die Verlage, die über den Einsatz des digitalen Rechtemanagements entscheiden. Trotz aller Kritikpunkte ist es Amazon zu verdanken, dass der E-Book-Markt und mit ihm das digitale Lesen insgesamt einen Aufschwung erfährt. Davon profitieren auch die Mitbewerber und der Markt als solcher.


E-Books sind unverkäuflich

Bewusst sein muss sich ein Käufer jedoch stets darüber, dass er beim Bucherwerb über Amazon in diesem Falle kein Buch kauft, sondern nur die Nutzungsrechte an einem solchen: Ein Kindle-Nutzer darf ein Buch lesen, es aber nicht besitzen. Das bedeutet, dass wenn das Amazon-Konto oder der Kindle nicht mehr existiert, auch die Bücher bzw. deren Inhalte verloren sind. Selbst lokales Speichern hilft nicht, wenn die Dateien digital geschützt und damit zwingend an das Bestehen eines Kontos gebunden sind. Ein Zugriff auf die digitalen Inhalte ist dann nicht mehr möglich. Dass ein solches Szenario nicht nur im Bereich des Theoretischen liegt, sondern schneller passieren kann, als man denkt, ist dokumentiert.

Amazons Nutzungsbedingungen zum Kindle sind eindeutig, hier heißt es u.a.:

„(…) gewährt Ihnen der Anbieter von Inhalten ein nicht-ausschließliches Recht, diese digitalen Inhalte (…) zu nutzen und anzuzeigen, und zwar ausschließlich auf dem Kindle, einer Lese-App oder wie dies im Rahmen des Service anderweitig zulässig ist und nur auf so vielen Kindle-Geräten oder Unterstützten Geräten, wie dies im Kindle Store angegeben wurde.“

Es scheint ein Phänomen dieser Tage zu sein, dass sich der mündige Konsument ohne Not gern in Abhängigkeit von einzelnen Anbietern begibt, dass er sogar auf den Besitz der von ihm gekauften Daten verzichtet. Bei MP3s hat dies allerdings schon einmal nicht funktioniert, digitale Musik, die mit Abspielbeschränkungen versehen ist, hat sich nicht behaupten können. Es wird sich zeigen müssen, ob dieser Versuch bei Büchern funktionieren wird. Am Ende hat es wiederum der Verbraucher in der Hand, ob er sich von Anbietern für „seine“ Bücher mit einem Nutzungsrecht abspeisen lässt oder ob er seine digitalen Bücher irgendwann auch wird besitzen können.

Artikelende

Weiterführendes

E-Book Reader – Die Regalwand der Zukunft?

Rechtelos durch Amazons Kopierschutzsystem (englisch)

Noch mehr Kindle-Nutzer ohne Konto

Lizenzierungsproblematik und DRM bei E-Books

Kommentare


  • Elion sagt:

    Danke für den sehr informativen und sachlichen Artikel.

  • Steffen sagt:

    ich hoffe nur, dass es mit eBooks nicht irgendwann so kommt wie mit Musik. Schließlich sind MP3s ja mittlerweile (angeblich) auf dem Rückzug und Streamingangebote schießen wie Pilze aus dem Boden. Vielleicht lesen wir irgendwann Bücher auch nur noch im Browser? Bleibt nur zu hoffen, dass die Kunden irgendwann erkennen, in welche Abhängigkeit sie sich da steuern.

  • […] merken jetzt zum ersten Mal, dass sie die Bücher für ihren Kindle gar nicht gekauft haben. Sondern nur Nutzungsrechte zum Lesen […]

  • […] zuletzt besitzt ein Kindle-Nutzer seine bei Amazon gekauften Werke nicht einmal, er hat nur die Nutzungsrechte […]

  • © Copyright 2007–2024 Knetfeder Magazin — ImpressumRSS