Der Eurovision Song Contest 2015 war ein Grand Prix der Bestätigungen: 1) Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung. 2) Ohne Stefan Raab läuft’s nicht. 3) Ohne Windmaschine geht’s nicht. 4) Liebe ist, nach Krieg, mal wieder das am häufigsten vorkommende musikalische Motiv. 5) Die großen Nationen des alten Europas kommen in der Regel auf keinen grünen Zweig mehr.

Seit Stefan Raab das Ruder übernahm, ging es für Deutschland aufwärts. Auch diejenigen, die ihn immer wieder als Metzgersohn titulieren, müssen eingestehen, dass er Musik im Blut und die richtigen Antennen dafür, was wie beim Publikum ankommt, hat. Dazu die richtige Portion Selbstironie. Er nahm sich nicht so ernst wie andere und brachte als Komponist für Guildo Horn Deutschland erstmals nach Jahren der Erfolglosigkeit wieder ins obere Mittelfeld, mit Wadde Hadde Dudde Da, selbst interpretiert, gelang ihm ebenfalls ein Achtungserfolg. Zögling Max Mutzke blieb hinter den Erwartungen zurück, doch zu Lena muss nichts weiter gesagt werden.

Musiknoten in Form der EuropaflaggeDoch auch dieses Jahr war die ARD wieder alleinverantwortlich bzw. der NDR federführend bei der Vorauswahl – doch auch wenn eine solche stattfindet, garantiert dies noch keinen Erfolg, wie auch die letzten Jahre gezeigt haben. Ann Sophie beschert Deutschland jedoch einen traurigen Rekord der letzten Jahre. Während es vor und nach der Raab’schen Ära zwar letzte Plätze, aber durchaus den ein oder anderen Punkt gab, holte „Black Smoke“ nicht mal einen Trostpunkt. Das gab es zuletzt 1965, und insgesamt nur 3 mal, Ann Sophie mitgezählt. Selbst „Miss Kiss Kiss Bang“ hatte mehr Erfolg. Ironischerweise musste neben Deutschland auch Österreich mit null Punkten auskommen, brennendes Klavier hin oder her. Bart zu tragen allein reichte diesmal nicht mehr für den Sieg. Doppelt bitter für die Gastgebernation, dass sie in der Niederlage mit dem traditionell verhassten Nachbarn (Deutschland vergibt in der Regel keine Punkte an Österreich, und umgekehrt) vereint waren.


Wiener Melange

Den Wienern gelang das Kunststück, die Pompösität, die der ESC in den letzten Jahren angenommen hatte, noch zu übertreffen. Die Wiener Philharmoniker, das ORF-Radiosymphonieorchester und der Chor mit den Wiener Sängerknaben verliehen der Veranstaltung ein Pathos, das es in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Ein würdevolleres Ambiente – trotz überbordender LED-Technik – hätte man sich kaum vorstellen können. Österreich nutzte das eigene Image, verband eindrucksvoll Tradition und Moderne und unterstrich mit der Ausführung seinen Anspruch als große Kulturnation.


Worauf es ankommt

Gewonnen haben die Schweden, deren banaler, aber eingängiger Song auch Tage nach dem Grand Prix noch immer im Ohr liegt – während der deutsche Beitrag, trotz emsiger Rotation bei den Radiosendern, schon wieder vergessen ist. Schade ist, dass wir nie erfahren werden, wie viel Punkte Andreas Kümmert, der eigentliche Sieger der deutschen Vorauswahl, der auf seinen Auftritt in Wien noch während der Vorauswahlshow live auf der Bühne verzichtete, geholt hätte. Doch auch er hätte, wie Mutzke, weit abgeschlagen landen können. Vielleicht ahnte er genau das auch.

Dem Siegertitel aus Schweden gelang hingegen das, worauf es beim ESC ankommt. Der EBU-Liederwettstreit war noch nie ein Sängerwettbewerb, und auch von einem Komponistenwettbewerb kann man inzwischen kaum noch reden, nicht erst, seit der Grand Prix ESC heißt und die Musik reines Playback ist. Heute zählt die Performance, gewonnen wird mit dem besten Auftritt, der spektakulärsten Choreografie, der am besten erzählten Geschichte und nicht zuletzt der Sympathie – Musik und Gesang sind zweitrangig. Måns Zelmerlöw brachte mit „Heroes“ genau die Mischung, auf die es ankommt: ein eingängiger Ohrwurm ohne zu viel Anspruch, die richtige Dosis Tanz, Sympathie. Hinzu kam, dass die Art der Choreografie ein Novum war und die seit einigen Jahren beim ESC fast obligatorische LED-Leinwandtechnik am geschicktesten ausnutzte. Das Spiel zwischen Akteur und animierten LED-Show-Männchen im Stile einer Laterna Magica, das Verschmelzen des Sängers mit der Leinwand, war nahezu perfekt, anrührend, und wurde von keinem anderen Interpreten übertroffen.


Was nicht funktioniert

Mit aalglatter Professionalität gewinnt man keinen Blumentopf beim ESC. Die Story zählt. Keine Idee funktioniert zweimal. Länder, die lediglich die Optik und Elemente vergangener Jahre kopierten, scheiterten stattdessen. Schnelle Kleiderwechsel, überdimensionale Kostüme, wilde Showeinlagen, Schleppentanz, Trommler oder brennende Instrumente waren 2015 alte Hüte. Sogar die LED-Kleidung der Briten hatte Stefan Raab schon vor Jahren im Angebot, die sich zudem angesichts der übrigen immensen LED-Lichtshow kläglich machten. Die Hardrocker schieden bereits im Halbfinale aus. Gesetzt schienen neben Schweden – musikalisch und darstellerisch betrachtet – Serbien, Italien, Australien, Belgien, Ungarn, Russland und Aserbaidschan. Ungarn kam jedoch nur auf Platz 20, Aserbaidschan auf den 12. Platz. Die anderen landeten tatsächlich unter den zehn Erstplatzierten.


Für die Statistik: Hupfdohlen und Luftgitarrenspieler

Von den 27 im Finale antretenden Liedern wurden 12 von einer Frau dargeboten, 9 von einem Mann, 4 von einem Paar, 2 von einer Gruppe. 10 Lieder, bei denen die Interpreten eher herumhüpften als zu singen, der Siegertitel eingeschlossen. 17 konzentrierten sich eher aufs Singen. 13 Länder kamen nicht ohne zusätzliche Akrobaten respektive Tänzer im Hintergrund aus. Bei 9 Liedern wurde das Spielen von Instrumenten vorgetäuscht. 4 Lieder hatten das Wort „Liebe“ im Titel.


Singen mit Bauchnabeldekolleté

Auf Balladen, mit denen man traditionell ebenfalls keinen ESC gewinnt, setzten Norwegen, Serbien, Griechenland, Österreich, Ungarn und Italien. Die 3 Minuten, die kein Beitragstitel überschreiten darf, kamen einem beim Beitrag Englands sehr viel länger vor. Neben dem eigentlichen ESC schien zudem hinter den Kulissen ein zweiter Wettbewerb zu laufen, welche weiblichen Sänger den tiefsten Ausschnitt auf die Bühne bringen würden. Die Buhrufe waren bei der Punktevergabe für Russland deutlich zu vernehmen, doch auch die Länder ohne große Anteile russischer Minderheitsbevölkerung stimmten wohlmeinend für den russischen Titel. Russland kam auf den 2. Platz. Der Gag, dass Russland seine 12 Punkte zunächst an sich selber vergab, war schon ein Quentchen mehr als bloße Selbstironie. Beim europäischen Publikum konnte ankommen: Wir sind nicht von euch abhängig.


Neues Jahr, neues Glück

Barbara Schöneberger brachte es auf der anschließenden ESC-Party in Hamburg auf den Punkt – 0 Punkte, das ist so schlecht, dass es schon wieder Stil hat. Jedenfalls wäre es bedeutend besser als ein paar Trostpunkte. Deutschland scheint nur noch zu bleiben, von Russland zu lernen (die meisten Punkte haben wir Russland ja schon gegeben). Also, liebe Miteuropäer: 2016 mindestens einen Punkt, sonst annektieren wir großzügig befreundete Nachbarländer und lassen in den grenznahen Regionen korrekt abstimmen. Wir haben euch gewarnt.

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Kommentare


  • Ralle sagt:

    Das System beim ESC funktioniert nur so lange bis es ein Skandal wie bei der FIFA kommt es zur ESC-Krise und man muß noch mehr Gastländer einladen als nur Australien wo die Ukraine im ESC ja zurückgetreten sind wenn die Veranstaltung so teuer das arme Länder schon in die Halbfinale geschickt werden um wieder die lange Liste der Teilnehmer auszusieben, irgendwann sind wir im ESC nur noch 10 Teilnehmer weil die andern Länder die Piepen nicht bezahlen können und immer mehr im Halbfinale ausscheiden denn die Songproducer haben viel Geld in die Kandidaten gesteckt und die Kandidaten wollen auch nicht immer geschasst nach hause gehen bevors ins Finale geht, sag mal wird der ESC zum langweiligen Club der reichen Länder verkommen, wo es keinen gesunden Wettbewerb gibt, das war ja im kalten Krieg ja besser, da hatte jedes Land im Grand Prix de la Chasson zumindest bessere Chancen auch die kleinen Länder und heute man muß sich echt schämen fürn ESC das er so tief gesunken ist, irgendwann fällt der ganze ESC wie ein Kartenhaus zusammen, schade es ist fast schon nebensächlich das man nur mit teuren Hotline-Nr voten kann das gabs früher beim Gramd Prix nicht gut in den Anfangsjahren hatte nicht jeder Telefon wie wurde es da gemacht?

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