Neben dem bissigen Spott, der beim diesjährigen Song Contest allerdings homöopathisch ausfiel, sind es die Verhaspler von Peter Urban, die jeden Grand Prix zu einem Highlight machen. In der ersten Vorentscheidung sprach er diesmal von einem „Haschtag“ statt von einem Hash-Tag (mit dessen Hilfe sich die Zuschauer via Twitter beteiligen sollten). Und benebelnder Drogen hätte es durchaus auch am Finaltag bedurft, um das ESC-Einerlei ertragen zu können.

Musiknoten in Form der EuropaflaggeDas Motto „we are one“ hatte man aus der Science-Fiction-Serie „Star Trek“ entlehnt: hier sind es gefühllose Mensch-Maschinen-Wesen namens Borg (Filmzitat aus Star Trek 8: „Klingt schwedisch!“), die im Weltall andere Zivilisationen erobern und auf diesen Wahlspruch hören. So viel Selbstironie hätte man den Schweden niemals zugetraut. Ähnlich individuell wie die Science-Fiction-Wesen waren dann auch die Beiträge im Wettbewerb. Durchschnittlicher Mainstream dominierte noch stärker als sonst schon wie in jedem Jahr, durchsetzt von wenigen Ausnahmen. Estland, Italien und Island sorgten für Gänsehautstimmung, doch der Rest war im Großen und Ganzen unter dem Begriff Eurotrash gut aufgehoben. Auch der Gewinnertitel „Only Teardrops“ aus Dänemark nahm sich davon nicht aus, wenn auch zusätzlich durchsetzt mit Pseudo-Folklore. Norwegen führte Techno im Wettbewerb ein und Deutschland hatte zwar seelenlosen, aber immerhin ohrwurmverdächtigen Discopop im Angebot. Den bizarrsten Beitrag des Abends dürfte Rumänien abgeliefert haben mit seinem transilvanischen Countertenor. Doch wie man als Mann kraftvoll in hohen Tönen singt und dabei Vampir-Look glaubwürdiger rüberbringt, hatte Aserbaidschan schon 2008 bewiesen.

Weniger Englisch, mehr Mainstream

Bei den Sprachen der Beiträge fiel auf, dass die Landessprachen eine kleine Renaissance zu erfahren schienen. Deutschland musste seine kosmopolitische Attitüde natürlich auf Englisch zur Schau stellen, auch Russland und Weißrussland ließen englisch singen, doch unübersehbar waren auch die heimischen Sprachen wieder en vogue: Frankreich und Spanien singen traditionell in Landessprache, doch auch Island, Moldawien, Estland, Italien, Ungarn, Aserbaidschan, Griechenland – und Großbritannien – trugen in ihren Nationalsprachen vor. Schön, um die europäische Vielfalt widerzuspiegeln, aber für einen erhofften Sieg vielleicht doch keine gute Idee, denn in den letzten 20 Jahren schaffte es sage und schreibe drei Mal ein nicht-englisches Lied aufs Siegertreppchen (Serbien 2007, Israel 1998 und Norwegen 1995). Auch dieses Jahr gewann mit Dänemark wieder ein auf Englisch gesungener Titel.

Punktevergabe aus Frankreich

Nachdem der Wettbewerb in den letzten Jahren immer größer, immer bombastischer wurde (das Maximum wurde bislang in Düsseldorf und Baku erreicht), hatten sich die schwedischen Ausrichter nun dafür entschieden, wieder einen Gang runterzuschalten. Ohne Fußballarenen, ohne Superlative. Schweden brachte das Menschliche wieder zurück in den ESC. Eine kleinere Halle, weniger Zuschauer – und nur eine Gastgeberin. Aber die hatte es in sich und avancierte zum eigentlichen Star und Gewinner des Abends. Die in Schweden als Comedian bekannte Petra Mede bewies ihr Multitalent, sie moderierte, parodierte, imitierte und intonierte gleichermaßen professionell durch die Veranstaltung und stahl den eigentlichen Interpreten damit fast die Show. Schweden, als ABBA-Nation prädestiniert für eine glanzvolle Ausrichtung des ESC, machte aus der Veranstaltung tatsächlich eine wahrhaftige Unterhaltungsshow, die die stocksteifen, ernsthaften Ausrichtungen der Vorjahre vergessen machte. Stellenweise war es mehr Comedysendung als Musikwettbewerb, mit plüschelchgeweihschwingenden Tänzerinnen und tanzenden Köttbullars auf der Bühne. Diese Art von Selbstironie stellte sich in eine Reihe mit der aus lauter Lenas bestehenden Eröffnung in Düsseldorf, mit der Raab’schen und Engelke’schen Darbietung, wobei es diesmal vor allem das Land Schweden selbst war, das sich durch den Kakao zog. Dagegen erschien der deutsche ESC schon wieder bieder mit seinen typischen, das Land vorstellenden Einspielfilmchen. Malmö hat es endgültig gezeigt: Comedy funktioniert wunderbar im Song Contest.

Auf Wiedersehen, Ländermarketing!

SchmetterlingsdesignAuf die das Gastgeberland zitierenden Einspieler hat man in Malmö verzichtet, es bleibt zu hoffen, dass dies eine generelle Abkehr von dieser ESC-Tradition einläutet. Stattdessen wurden – was ohnehin viel näherliegt und von den Fans seit Jahren gewünscht wurde – die Interpreten selbst skizziert. Doch auch das übrige Rahmengerüst, das Formatdesign, stimmte einfach. Die europareisende Raupe, die in Malmö zum Schmetterling wird, als Projektionsfläche für die jeweiligen Farben der Nationen dient, um am Ende zu einem in allen Farben schillernden, europaverbinden „We are one“-Wappentier zu mutieren – zauberhaft sympathisch. Mehr Völkerverständigung, die ursprüngliche Intention des Wettbewerbs, hätte man kaum visualisieren können.

Nicht mit Ruhm bekleckert hat sich hingegen mal wieder die ARD beim Festlegen der Sendeplätze. Der erste Vorentscheid wurde auf dem Digitalkanal Eins Festival versteckt, der zweite Vorentscheid lief auf Phoenix. Heutzutage braucht man fast schon zwingendermaßen das Internet, um den kompletten Grand Prix verfolgen zu können, denn im „normalen Fernsehen“ wird er faktisch nicht mehr übertragen. Eine Bankrotterklärung bei einer ureigensten Fernsehshow.

Peter Urban bemühte sich nach der Entscheidung, die Niederlage von Deutschland zu relativieren, es sei doch alles nur ein Spaß und nicht so wichtig zu nehmen. Das verwundert nicht, saß er doch selbst in der Jury, die dafür sorgte, das Cascada nach Malmö fuhr und nicht jemand anders. Dabei kann der 21. von 26 Plätzen durchaus als beachtlich gelten, jedenfalls wenn man berücksichtigt, mit welchen Plätzen sich Germany in den vergangenen Jahren teils zufriedengeben musste. Cascada konnte sich noch vor Frankreich, Irland und Spanien platzieren. England, ebenfalls mit Promibonus, kam auch nicht viel weiter.

Ohnehin war Deutschland der heimliche Gewinner des ESCs 2013. Denn nichts war permanent derart auffällig im Bild präsent wie das deutsche Schwarz-Rot-Gold – in Form eines im Publikum hochgehaltenen Staubwedels.

Artikelende

Weiterführendes

ESC in Echtzeit
Live-Bloggen zum Eurovision Song Contest 2013 in Malmö

Ach was
Cascada waren im Vorfeld mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert

Kommentare


  • Anonymous sagt:

    Kann ich bis heute nicht nachvollziehen, wie 2013 so eine furchtbare penetrante Frau durch den Abend führen konnte!
    Zum Glück hat man sich letztes Jahr wieder dazu entschlossen drei richtige Moderatoren durch den Abend führen zu lassen, anstelle einer aus der Kasperletheater entsprungen Witzfigur den ESC gegen die Wand zu fahren.

  • […] auswürfeln lässt, hat Deutschland in den letzten Jahren zur Genüge bewiesen. Letztes Jahr war es Cascada, die – von einer Jury auserwählt – in Malmö dank Promibonus immerhin noch […]

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