Die nationale Abstimmung, wer zum ESC nach Kopenhagen fahren darf, erreichte nicht die Ausmaße der wochenlangen Castings nach Raab’scher Manier, der deutsche Vorentscheid blieb für den Zuschauer übersichtlich. Denn vom reinen Castingprinzip rückte man ab, neben sieben etablierten Künstlern trat nur eine neue Band an, die im separaten Entscheid bereits zuvor erwählt worden war – und gewann prompt den deutschen Vorentscheid.

Barbara Schöneberger ist keine begnadete Stand-up-Komikerin, das wurde gleich zu Beginn des Abends deutlich. Ein unpassender und nicht zündender Witz mit dem Holzhammer über Uli Hoeneß („er ist ja schon in Sing-Sing“) war nicht gerade ein gelungener Auftakt des deutschen Vorentscheids zum diesjährigen Eurovision Song Contest – peinliches Fremdschämen bereits in der Anmoderation. Man konnte das erstickend-gequälte Lächeln des – beim Grand Prix traditionell eher unpolitischen – Publikums förmlich hören.

Auch ansonsten war die ARD-Show dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gerade würdig, es gelang fast spielend, die Sendung auf Privatfernsehniveau zu senken („Sie allein entscheiden heute…!“, „Anrufen lohnt sich!“, „Unter allen Anrufern verlosen wir…“, „Gibt’s sonst nirgends, nur hier in der ARD!“). Inklusive psychologischer Spielchen mit Countdown, um Anrufe zu generieren.

Einblendung der Telefonnummern
Aufruf zum Anruf im ARD-Fernsehen

Die Zuschauer konnten den Eindruck gewinnen, dass Schönebergers Job einzig darin bestand, bei jeder Zwischenmoderation erneut auf die Vorzüge der Telefonabstimmung hinzuweisen. Dabei kam sie zumindest im ersten Viertel der Sendung nicht über Warm-upper-Stil hinaus. Schöneberger, die man sich am ehesten immer in eleganter Garderobe beim Moderieren einer großen Gala vorstellen kann, die als intelligente Kumpel-Moderatorin („keine dirndltragende Tusse“) ihre Stärken ausspielt, grölte zunächst nur marktschreierisch durch die Show.


Alle Macht dem Wähler

Doch es passte zum Tempo der Veranstaltung, die sehr flott über die Bühne ging und die Interpreten regelrecht über die Bühne scheuchte. Alles war straff choreografiert. Die Machart – das Vorstellen der jeweiligen Gruppe in kurzen Einspielern vor der eigentlichen Darbietung, ganz ESC-like, gefiel. Dabei wäre jede Show besser als keine Show, denn wohin es beim ESC führt, wenn man eine Kommission im stillen Kämmerlein den Grand-Prix-Vertreter auswürfeln lässt, hat Deutschland in den letzten Jahren zur Genüge bewiesen. Letztes Jahr war es Cascada, die – von einer Jury auserwählt – in Malmö dank Promibonus immerhin noch Vorvorvorvorvorletzte wurden. Nahezu ausschließlich landete der deutsche Beitrag beim ESC auf den hintersten Plätzen, wenn das nationale Publikum im Vorfeld nicht beteiligt war.

Bei den Zuschauerabstimmungen, die Stefan Raab populär machte und im Sieg von Lena gipfeln ließ, sah das anders aus. Nun also kehrte die ARD in diesem Jahr wieder zum Prinzip Zuschauerwahl zurück. Als Stargast hatte man sich die Gewinner des Vorjahres, Emmelie de Forest, eingeladen. Schöneberger schien sich mit zunehmender Sendungslänge wohler zu fühlen und wirkte immer dann gut, wenn ihre Gags wie improvisiert wirkten (über Unheilig: „Sie können nicht ohne Kerzen!“).


Lieber dreimal anrufen

Das Abstimmungsprocedere war interessant ausgetüftelt, denn die insgesamt 8 antretenden Sänger/Gruppen wurden in 3 Runden immer wieder halbiert, wobei die 4 Zwischengewinner einen zweiten Titel vortragen durften, für den ebenfalls abgestimmt werden konnte. Auf diese Weise wurden dem Volk 12 Titel zur Auswahl angeboten, man hielt die Anzahl der Sänger dabei aber trotzdem übersichtlich. Die 4 Finalisten wurden dann abermals dividiert, sodass am Ende zwischen 4 Liedern von 2 Interpreten gewählt wurde – und dabei praktischerweise der Impuls geschaffen wurde, während der Sendung insgesamt 3 Mal anzurufen.


Das Grundmuster für den ESC-Erfolg

Es gibt vier verschiedene Erfolgsgaranten für einen Sieg beim Eurovision Song Contest. 1. Gute-Laune-Partyhit-Ohrwürmer, 2. junge, authentisch wirkende Damen, am besten mit weißer Gitarre oder Notenschlüsseltattoo am Oberarm, 3. ein fescher Auftritt mit Romantikkitsch-Foklore-Verkleidung, 4. Balladen.

Balladen und anspruchsvollere Titel haben es eher schwerer in jüngster Vergangenheit gehabt, ebenso wie die Prominenten Künstler. Beim Vorentscheid waren alle Facetten vertreten, nur die große klassische ESC-Ballade war erst gar nicht im Angebot.

Der verkappte Chantychor Santiano in Seefahrerkulisse fiel in die dritte Kategorie und hätte mit ihrem englischsprachigen Titel doppelt gute Chancen auf einen ESC-Sieg gehabt, doch das deutsche Publikum wählte ihre ESC-kompatiblen Auftritte nicht in die Finalrunde. Die Baseballs mit einem ordinären Rock-n-Roll-Auftritt und Madeline Juno (Kategorie 2!), die wie die kleine Schwester von Lena wirkte, kamen erst gar nicht in die Halbfinalrunde. MarieMarie bot harfespielend musikalisch mit das Überzeugendste, traf mit kieksiger Stimme aber nicht den Massengeschmack. Für den ESC wirkte sie fast schon zu professionell.

Am Ende lief es auf ein Duell zwischen Elaiza – die völlig unbekannten quereinsteigenden Publikumslieblinge – und Unheilig – etablierter Künstler mit großer Anhängerschaft – hinaus. Ein schöner Kontrast: Witzig, authentisch – und die Sängerin auch noch ukrainischstämmig. Der Einspieler war genauso überzeugend wie der erste Wettbewerbsbeitrag. Unheilig dagegen mit betont deutschem, aber absolut banalem Titel. Vielleicht hätte er auf Englisch sogar weniger platt gewirkt. Eine großartige Wahl hatten anglophobe Zuschauer da nicht.

„Wir sind alle wie eins“ lautete der grafschaftliche Refrain, doch für den Sieg beim Vorentscheid sind dann aber doch nicht alle die Eins. Unheilig wurden nur die Zwei, trotz Promibonus und großer Fangemeinde. Damit hat sich Unheilig wahrscheinlich die Blamage der hinteren Plätze beim ESC erspart, denn die Kategorie internationaler Künstler und auch noch deutschsprachig – das wäre aller Wahrscheinlichkeit nach noch schiefergegangen als bei Cascada. Die Sympathien der Halle jedenfalls gehörten Elaiza – ihnen gegenüber wurde der Graf fast ausgebuht.

Mit Elaiza fahren dieses Jahr nun gleich drei junge Mädels zum ESC. Sie hätten von Raab entdeckt sein können – das passt. Doch schwierig wird es dort trotzdem mit dem gewählten Titel. Elaiza werden den ESC nicht gewinnen. Zu ambivalent zeigt sich der Song, zwar prägnant, mit Wiedererkennungswert, aber mit wenig Ohrwurmpotential, nicht sehr flott, aber auch nicht sehr getragen. Eine eigenartige Mischung aus polkadurchsetztem Pop und frechem Tango. Musikalisch differenziert und vielschichtig.

Am Ende wird es keine Rolle spielen, und Elaiza werden mit „Is it right“ irgendwo im Mittelfeld landen. Am Ende sind die Deutschen dann eben doch wieder alle eins.

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Kommentare


  • Ralle sagt:

    Das sehe ähnlich kein Charisma wie bei Lena,Nicole oder ABBA da hätten sie mit Peter Maffay und Karat wenn sie gemeinsam auf englisch Über 7 Brücken mußt du gehn gesungen hätten oder Udo Lindenberg und Baseballers ist kein schöner Rocken Roll

  • Ralle sagt:

    Ich würde Neil Young ins Rennen schicken er hätte besser den Vorentscheid gewinnen können oder Karat mit Albatros das würde sogar legal funktionieren sei den es dürfen beim ESC nur Lieder gesungen die noch nie in den Hitparaden waren und nur fürn ESR sind

  • Ralle sagt:

    Wenn der ESC nur im Internet übertragen wird ist es schlecht für die Interpreten sich auf den deutschsprachigen Boden sich zu vermarkten aber vieles wird gdrdosselt,versteckt sieht man an Sotschi Olympia 2014 Putin ließ kaum Publikum rein..

  • Ralle sagt:

    Und bei den Paralympics wurde ganz auf Livesendung verzichtet oder nur Ausschnitte dafür lohnt sich nicht Sendezeit zu merken das war in Vancouver anders wurde alles übertragen wenn bei Olympia der olympische Gedanke zählen würde.. Aber Sport ist Kommerz

  • Ralle sagt:

    Dieser Liveaustragungsverzicht trifft den Rundfunkbeitragzahler und den Sportler es ist ein nationales,internatioles Ereignis auch wenn manche kein Sport mögen sollte sowas übertragen werden auch die Bundesliga wird Live nur über Sky früher wars in ARD

  • […] So bleibt die Hoffnung, dass in Zukunft vielleicht tatsächlich wieder der Gesang entscheidet und nicht das schrille Outfit oder die politische Zugehörigkeit eines Landes. […]

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