Firefox 6 ist erschienen, alle Welt erwartete Neues, doch beinahe unbemerkt hatte Firefox-Hersteller Mozilla unterdessen den Zähl- und Erscheinungsrhythmus für neue Versionen umgestellt: Bei Firefox 6 handelt es sich aus bisheriger Sicht daher quasi allenfalls um „Firefox 4.2“.
Der vor allem in Deutschland nach wie vor sehr beliebte Browser Firefox erscheint mittlerweile regelmäßig alle 6 Wochen, klassische „Hauptversionen“ gibt es dabei nicht mehr, jede neue Version erhält, sofern sie nicht nur minimalste aktuelle Sicherheitskorrekturen mit sich bringt, einfach die nächste Nummer in der Liste. Bezeichnungen wie Firefox 3.0, 3.5 oder 3.6 gehören der Vergangenheit an. Nun gibt es also Firefox 5, 6, 7 und 8 in einem Rutsch nacheinander – und das auch noch innerhalb eines Jahres.
Der alte Reflex war aktuell jedoch noch vorhanden: sobald eine neue Firefox-Hauptversion erscheint, stürzen sich klassische und Online-Medien auf das Ereignis und berichten in aller Ausführlichkeit über die frische Version mit ihren Neuigkeiten. Auch dieses Mal waren die Portale und Zeitungen noch ganz in ihrem alten Berichterstattungs-Schema verhaftet. Große Artikel kündigten das brandneue Firefox-6-Release an, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine Art Mogelpackung handelte, da die Veröffentlichungspolitik nun eben eine andere ist, es sich bei Firefox 6 (und ebenso auch dem Vorgänger 5) nicht um eine große neue Hauptversion handelt, sondern um eine Version mit nur geringfügigen Änderungen und Fehlerbeseitigungen.
Entsprechend ernüchternd fielen die Beurteilungen aus, waren doch wenigstens bei Firefox 6 größere Änderungen erwartet worden, wenn diese doch schon bei Firefox 5 fehlten. Kein Wunder, denn die neue Versionierung ist eher ungewöhnlich, eher unpraktisch (keine Unterscheidbarkeit mehr zwischen großen Änderungen und Sicherheits-Updates) und führt in die Irre. Aber sie sorgt dafür, dass man bei Mozilla häufiger eine neue große Version ankündigen kann als bisher.
Ihr Browser ist abgelaufen. Schon wieder.
Die neuen Veröffentlichungszyklen bedeuten nicht nur, dass Neuentwicklungen nun sehr viel schneller vom Nutzer genutzt werden können – es bedeutet auch, dass das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eines jeden Fuchses drastisch verringert wurde. Waren Firefox-Versionen bislang gar über mehrere Jahre hinweg aktuell (durch Updates wurden nur Fehler und Sicherheitslücken beseitigt), so endet die Gewährleistung nun bereits nach nur 45 Tagen. Alle 6 Wochen muss man also eine neue Browser-Version installieren, wenn man weiterhin ohne offene Sicherheitslücken im Netz unterwegs sein möchte.
Das leidige Problem mit den Erweiterungen
Die häufigeren Neuerscheinungen stellen zumindest für den privaten Firefoxnutzer kein größeres Problem dar, hält sich der Browser doch quasi im Hintergrund von selbst auf dem neusten Stand.
Erhebliche Probleme bringt dies jedoch mit sich, wenn man nicht nur den nackten Browser nutzt, sondern auch viele Erweiterungen im Browser installiert sind. Erweiterungen werden nun mit jedem Erscheinen einer neuen Version ungültig. Die Anbieter der Erweiterungen müssen ihrerseits dafür sorgen, dass die Ergänzungen und Helferlein zum Browser jedes Mal wieder neu passen. Erweiterungsautoren sind also gezwungen, ihre Erweiterungen alle 6 Wochen erneut zu modifizieren, zu prüfen und zu veröffentlichen, wenn sie ihre Nutzerschaft nicht enttäuschen wollen. Bis dahin verweigern bereits installierte Erweiterungen in einem aktualisierten Firefox einfach ihren Dienst. Bis sie wieder funktionieren, kann einige Zeit vergehen. Zwar werden auch die Erweiterungen im Hintergrund automatisch aktualisiert – doch es kann durchaus einige Zeit dauern, bis dies geschieht, denn Änderungen an Erweiterungen, die über die Mozilla-eigenen Server ausgeliefert werden, werden zunächst auf Unbedenklichkeit überprüft; und das kann sich hinziehen.
Keine zuverlässige Plattform
Die Erweiterungsautoren selbst trifft oft also gar keine Schuld, wenn ein eigentlich schon für die nächste Firefox-Version freigegebenes „Add-on“ noch nicht verfügbar ist. Dennoch müssen sie sich dann mit der Kritik der Anwender, die ihre Lieblingserweiterungen schmerzlich vermissen, auseinandersetzen. Angesichts der neuen Geschwindigkeit, mit der der Browser erscheint, dürften viele Programmierer von Erweiterungen schlicht die Lust verlieren, sich dem zeitlichen Diktat von Mozilla zu unterwerfen. Denn der Aufwand für Ersteller von Erweiterungen erhöht sich enorm, wenn sie ihre Browserergänzungen stets aktuell halten wollen. Die eigentlich große Stärke des Firefox, die unzähligen Erweiterungen, wird damit künstlich ins Aus geschossen.
Doch nicht nur für den freiwilligen Programmierer, auch für den Nutzer ist Firefox somit keine verlässliche Basis mehr, auf der man mit Erweiterungen glücklich wird. Wer sich alle 45 Tage darum kümmern muss, dass seine Erweiterungen noch funktionieren, der verliert schnell die Freude an seinem Internet-Arbeitsgerät.
Tabu für Firmennutzer
Noch gravierender fällt es aus, wenn von zu häufigen Aktualisierungsintervallen die Produktivität im kommerziellen Bereich beeinflusst wird. Asa Dotzer, Marketingmitarbeiter und Koordinator bei Mozilla, brüskierte jüngst alle Firmenanwender, indem er deutlich werden ließ, dass sie für die Pläne von Mozilla überhaupt keine Rolle spielen würden. Denn auch für Firmen ist die neue Release-Politik quasi ein Super-GAU. Ein Browser, der alle 6 Wochen gegen eine neue Version ausgetauscht werden muss, um keine Sicherheitslücken zu riskieren – das ist im professionellen Umfeld in den meisten Anwendungsfällen schlicht nicht tragbar.
Ins Gespräch gebracht
Firefox-Macher bedienen in Zukunft damit vor allem eine Minderheit: die der Internet-Avantgarde, die möglichst schnell immer den neuesten Neuerungen hinterherhechelt. Der „normale Nutzer“ wird vor den Kopf gestoßen. Diese Politik ist vor allem eines: rücksichtslos. Rücksichtslos gegenüber den Anwendern, die einen Browser auch mit Erweiterungen bequem nutzen wollen – und rücksichtslos vor allem gegenüber den Anbietern von Erweiterungen, die oft in ihrer Freizeit und unentgeltlich dem Unternehmen Mozilla zuarbeiten und vor allem in der Vergangenheit für die hohe Popularität des Browser mitverantwortlich waren. Dies alles geschieht offenbar nur, um mehr Aufmerksamkeit und Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu erhalten – und der Konkurrenz voraus sein zu können.
Die Strategie, sich durch häufigere Veröffentlichungen wieder stärker ins Gespräch zu bringen, ist also durchaus aufgegangen. Wenn auch sicher zunächst nicht mit dem gewünschten Erfolg, Mozilla hat für die stiefmütterliche Behandlung von Firmennutzern und die nun schnellere Versionsfolge mit den damit verbundenen Inkompatibilitäten auf Add-on-Seite bereits viel Kritik einstecken müssen. Doch auch langfristig betrachtet dürfte ein solcher Plan nach hinten losgehen: im Laufe der Zeit werden auch die Uninteressiertesten merken, dass Firefox von Version zu Version überhaupt nichts gravierend berichtenswertes Neues enthält – das Interesse an einer ausführlichen Berichterstattung wird kontinuierlich abflachen.
Dass nun auch noch erwogen wird, die Versionsnummern völlig abzuschaffen bzw. vor dem Anwender zu verstecken, Firefox also künftig inkognito auftreten könnte, wird diesen Effekt noch verstärken. „Schon wieder ein neuer Firefox erschienen“ klingt eben bedeutend uninformativer als „Firefox 102 ist da“. Es wird spannend, wie die Berichterstattung künftig damit umgehen wird, ob neue Firefox-Versionen nur noch zur reinen Notiz verkommen – oder ob sie überhaupt noch stattfindet.
Dem Fuchs schwimmt das Fell davon
Für neue Firefox-Nutzer ist das alles sicher nicht problematisch. doch den Zenit scheint Firefox zumindest in Deutschland längst erreicht zu haben. Google Chrome ist ein ernstzunehmender Konkurrent und auch der Internet Explorer macht wieder Boden gut. Die Zeiten, in denen Firefox praktisch alternativlos war und trotz administrativer Probleme sogar auf Firmenrechnern als Standard fungierte, dürften damit vorbei sein.
Das bringt Firefox in eine Zwickmühle: alte Nutzer wandern zur Konkurrenz ab, neue Nutzer kommen aber auch nicht mehr so leicht hinzu, wie früher. Zu allem Unglück werden die verbleibenden, langjährigen Firefox-Nutzer mit immer neuen, als unnötig empfundenen Änderungen gegängelt.
Ob die Lösung darin besteht, einfach der neuen Konkurrenz aus dem Hause Google hinterherzuprogrammieren und „Chrome“ zu imitieren, darf ebenso bezweifelt werden.
Was kann man tun?
Kritik hagelte es bereits von vielen Seiten. Doch statt wieder einen moderaren Veröffentlichungskurs einzuschlagen oder zumindest die neue Zählweise wieder rückgängig zu machen, wird nun allen Ernstes erwogen, die Versionsnummern völlig vor den Anwendern zu verstecken. Was die beschriebenen Probleme natürlich nicht lösen würde, sondern sogar noch verschärfen.
Wer diesen Irrsinn nicht mitmachen will, dem bleibt nur eines: Weiterhin Firefox 3.6 nutzen, der bislang noch weiterhin unterstützt und mit Sicherheitskorrekturen versorgt wird – oder auf einen anderen Browser umsteigen.
Mehr zum Thema Firefox & Co. auch im
Dossier „Webbrowser“
Das spricht mir wirklich aus dem Herzen. Hab ich als Entwickler schon die Not mit alten Internet Explorer Versionen, so teste ich mir jetzt zusätzlich den Wolf mit Firefox 3.6 bis 6. Unglaublich.
Wenigstens scheint die 6er Version einen Fehler beseitigt zu haben, der mir seit Version 4 zu schaffen macht.