Die koordinierte Aktion mehrerer großer Tageszeitungen und Magazine im Netz hat es dieser Tage wieder ins Bewusstsein gebracht: die Selbsthilfe der Internet-Zeitungsleser gegen aufdringliche Werbeformen bringt die Zeitungsverlage finanziell in Bedrängnis und gefährdet die Unabhängigkeit qualitativer Berichterstattung. Doch es zeigt auch die Widersprüche zwischen analogen und digitalen Verbreitungswegen. Während am klassischen Briefkasten die Bitte-keine-Werbung-einwerfen-Schildchen beachtet werden (und werden müssen), soll der Internetnutzer angeblich unmoralisch handeln, wenn er sich über den überquellenden virtuellen Briefkasten mokiert, der ihm zwar nicht die Wohnung blockiert, dafür aber die Konzentration auf dem Bildschirm raubt.

Werbung im Internet, und dabei insbesondere im Umfeld von Verlagsangeboten, verkennt seit jeher, dass man im Internet nicht werben kann wie im Fernsehen. Während Fernsehwerbung in der Regel alternierend zum Programm konzipiert ist, wird Werbung im Netz in der Regel inhaltsbegleitend platziert. Doch nur weil es technisch möglich ist, heißt es noch lange nicht, dass diese Werbeform auch geeignet ist oder gar akzeptiert wird. Ebenso, wie Standbilder als Fernsehwerbung undenkbar scheinen, sollte sich bewegende, zappelnde, tönende Werbung neben Texten, auf die man sich beim Lesen konzentrieren muss, undenkbar scheinen. Die Realität sieht indes völlig anders aus.


Werbeformen im Internet

Kein größeres Magazin, keine größere Zeitung verzichtet auf animierte, maximal aufmerksamkeitsheischende Werbeformen auf ihren Seiten. Würde das Papier der klassischen Printprodukte wahrscheinlich gerollt und den Herausgebern um die Ohren gehauen werden, würde es auf diesen Seiten andauernd blinken und wackeln, wird im Internet genau dieses den Lesern zugemutet. Es ist gleichsam nach wie vor ein Beweis, dass die Verlage die Onlineveröffentlichung nicht wirklich ernstnehmen und auch im Jahre 2013 noch immer nicht gleichberechtigt zu ihren Printprodukten behandeln.


Beim Tagesspiegel fährt die Werbung über den Bildschirm


Bei der Taz wird der Text regelmäßig mit der Aufforderung zum Spenden überdeckt


Focus überdeckt die Inhalte mit Bettelei um Facebookbeitritt

Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Drittwerbung oder Eigenwerbung handelt, ob auf Versicherungen, Automarken oder den nächsten Zeitungsartikel aufmerksam gemacht wird. Es bleibt nicht dabei, dass die Werbung blinkt und flackert. Sie schiebt sich auch über Texte, überlagert Inhalte, öffnet zusätzliche Browserfenster oder andere Elemente. Die technischen Möglichkeiten machen Werbung im Internet vielseitig, doch statt verantwortungsvoll damit umzugehen, werden die Techniken ohne Rücksicht auf Verluste ausgereizt.


Böse Werbung – gute Werbung

Dass sich die Anwender bei dieser überbordenden Belästigung irgendwann zu wehren anfangen, sollte nicht verwundern. Auf Papier könnte der User die Werbung theoretisch ausschneiden – auf seinem PC kann er das auch, aber eben ohne eine Schere dazu benutzen zu müssen. Die Schere heißt hier Werbeblocker. Fortgeschrittene User bekommen das Blockieren von Werbung auf Internetseiten sogar mit Bordmitteln hin, der durchschnittliche User – aber nicht nur – bedient sich dazu fertiger Lösungen, Browser-Erweiterungen, die das Ausfiltern unerwünschter Inhalte komfortabel fast automatisiert erledigen. Mittlerweile sind es nicht nur die „Poweruser“, die auf unnötige Werbung verzichten. Auch Otto Normalsurfer fühlt sich zunehmend belästigt – und findet Gefallen am Filtern von Inhalten, das spielerisch gelingt. Hier noch eine Werbefläche weg, da noch ein Banner auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen – Werbungentfernen wird zum Sport.

Möglich wird es, weil das World Wide Web ein Medium ist, bei dem der Nutzer sämtliche Inhalte aktiv anfordert – der Nutzer ist der Herr über die Inhalte, die er sich auf seinen Monitor bestellt. Was er (technisch betrachtet) nicht sehen möchte, braucht er nicht anzufordern, er hat theoretisch die volle Kontrolle über die angezeigten Inhalte. Dies wird in diesem Fall praktisch umgesetzt, wenn Werbung gezielt blockiert bzw. gar nicht erst geladen wird.

Solange im Web publiziert wird, wird sich daran auch kaum etwas ändern. Die Alternative, statische Publikationen wie PDF-Dokumente, ist in Wirklichkeit keine Alternative, nur ein schlechterer Ersatz, um den die Nutzer aus gutem Grund mehrheitlich einen großen Bogen machen.


Die Werbenden in der Zwickmühle

Das Dilemma der Verlage besteht darin, dass sie keine wirkliche Wahl haben. Gehen die Werbeumsätze zurück, bleiben nur fünf Möglichkeiten: Noch mehr Werbung, Quersubventionierung, Bezahlinhalte, Betteln um Spenden oder Kooperationen. Was wie eine Wahl aussieht, ist keine. Dauerhafte Subventionierung ist unwirtschaftlich, Bezahlinhalte praktisch nicht durchsetzbar, Spendenbereitschaft meist nicht von langer Dauer und auch Kooperationen haben ihre Grenzen, will man seinen Ruf nicht aufs Spiel setzen.

Der Axel-Springer-Verlag versucht es derzeit mit einem gemischten Modell: bei der Welt z.B. sind nur wenige Artikel gratis, dann schlägt eine Bezahlschranke zu, die Inhalte werden kostenpflichtig bzw. erfordern den Abschluss eines „Online-Abos“. Die Barriere ist jedoch nur halbherzig umgesetzt, der Ausgang des Experiments ist ungewiss. Gut möglich, dass die sogenannte „Paywall“ irgendwann sang- und klanglos wieder verschwindet, wenn die Nutzerzahlen einbrechen und noch weniger Werbung angesehen wurde.


Aufgebrachte Nutzerschaft
Spiegel mit Werbung

Nun also stattdessen der Aufruf an die Leser, sich freiwillig mehr Werbung zuzumuten. Ein Appell an moralisches Verhalten. Ein Appell, der jedoch an Glaubwürdigkeit verliert, wenn sich der Absender selbst unmoralisch verhält. Denn immer mehr und immer aufdringlichere Werbung lässt genau diesen Eindruck entstehen – den Eindruck vom raffgierigen Anbieter, dem die Rendite wichtiger ist als der Lesekomfort seiner Leser.

Die Bitte an die User, doch möglichst auf Werbeblocker zu verzichten, käme im Offline-Leben der Forderung gleich, die Zeitungsleser mögen doch bitte eine private Litfaßsäule in der Wohnung aufstellen, um noch mehr Werbung konsumieren zu können – und selbstverständlich auf den Bitte-keine-Werbung-Aufkleber an der Tür verzichten. Den persönlichen Plakatekleber müsste natürlich auch jeder selbst zahlen, denn die Anzeigen von animierter, großflächiger Bannerwerbung auf dem Monitor kostet auch das Geld der User: einerseits steigt die Stromrechnung bei aufwendig visualisierten Inhalten, die den Prozessor zur Höchstleistung treiben, den PC aufheizen und die Lüfter aufheulen lassen, andererseits wird die zur Verfügung stehende Bandbreite im Verhältnis zum gewünschten Inhalt überproportional beansprucht. In diesen Zeiten, in denen die großen Telekommunikationsanbieter gerade anfangen, ihre ehemaligen Flatrates bei großem Datenaufkommen einzuschränken, gewinnt dieses Thema wieder an Bedeutung.

„Auch wir stören uns daran – deswegen verzichten wir bewusst auf aufdringliche Werbeformen“ schreibt Spiegel Online im Rahmen des Aufrufs zum Werbeblockerverzicht. Doch was aufdringlich ist, darüber gehen die Meinungen offenbar auseinander. Auch Spiegel Online glänzt wie viele andere Anbieter mit aufdringlichst animierten Anzeigen, die ein ruhiges, störungsfreies Lesen praktisch nicht zulassen. Das Verhältnis von Werbung zu Inhalt ist durchaus ausgewogen, aber die permanente Bewegung im, über und nebem dem Artikel schreit geradezu nach Selbsthilfe. Sämtliche Anzeigen im Beispiel oben links waren animiert.


Hintergründe

Interessanterweise fordern die Zeitungen vor allem dazu auf, einen bestimmten Adblocker zu deaktivieren, nämlich „Adblock Plus“. Der „Spiegel“ etwa zeigt deutlich, gegen wen es wirklich geht. Nicht gegen das Blockieren von Werbung an sich, sondern vor allem um das Konfigurieren einer Ausnahme innerhalb einer bestimmten Software – eben jenem Adblocker. Ein weiterer Punkt, der das Vorgehen selbst unmoralisch werden lässt. „Werbung blockieren kein Problem, aber bitte nur nicht bei uns“.


klare Ansage


Wie zum Hohn: bei der FAZ schiebt sich sogar ein Werbebanner über den Appell zum Zulassen von Werbung

Es geht letztlich nicht gegen die Leute, die Werbung blockieren. Es geht gegen die Software, die das Blockieren so einfach möglich macht. Zwar gehört Adblock Plus zu den großen Mitspielern bei den Werbeblockern, die simple Bedienung und die dahinterstehende Community haben es großwerden lassen und zur festen Größe werden in der Welt der Browser-Erweiterungen. Doch selbstverständlich ist es nicht die einzige Möglichkeit zur Vermeidung von aufdringlicher Werbung. Mittlerweile steht eine GmbH hinter dem ehemaligen Ein-Mann-Projekt, und es gibt auch ein Geschäftsmodell: das standardmäßige Durchlassen von unaufdringlicher Werbung für große Anbieter.

Die Verlage könnten sich mittlerweile schlicht „einkaufen“ bei Adblock Plus, gewissermaßen gegen eine Art Wegezoll den Weg exklusiv frei machen für die Anzeigen auf ihren Seiten. Ironischerweise würden sie damit von dem Wenigen, was Online-Werbung einbringt, auch noch etwas abgeben müssen, an diejenigen, die mittelbar dazu beigetragen haben, dass die Einnahmen schrumpfen. Auch müssten sie dazu auf aufdringliche Werbeformen verzichten. Da kommt es langfristig natürlich günstiger, wenn man die eigene Nutzerschaft einfach direkt auffordert, auf Blockiermaßnahmen zu verzichten. Man braucht keinen Wegezoll zu entrichten, kann weiterhin aggressiv werben und zeigt den Adblocker-Programmierern, die vom Werbekuchen indirekt selbst etwas abhaben wollen, den sie doch eigentlich bekämpfen, den Mittelfinger.

Die eingeblendeten Appelle der großen Nachrichtenseiten, die sich fast ausschließlich an die Anwenderschaft von Adblock Plus richten, sind also ein cleverer Schachzug. Psychologisch betrachtet ist es ebenso die bessere Wahl, denn wer bewusst Werbung zulässt, dürfte sich weniger von ihr gestört fühlen – im Gegensatz zu Anwendern von Adblockern, die sich veräppelt fühlen, wenn unverlangt dennoch Werbung auftaucht, ohne dass sie das bewusst erlaubt hätten.


Werbung für Adblocking

Mehr Werbung einzufordern mit Bannern, die in etwa so aufdringlich sind wie die übrige Werbung sonst auch, das ist psychologisch aber wieder eher unklug. Die Werbung gegen Adblocker wird so zur Werbung für Adblocker. Wer Adblock Plus noch nicht kannte, der kennt es jetzt – dank Spiegel Online und Co. Zwar sollten nur Nutzer die Aufforderung zu sehen bekommen, die bereits einen Werbeblocker verwenden, doch in der Praxis geht auch das schief, und die Einblendung erscheint auch dann, wenn man beispielsweise einen Proxy verwendet. Der Streisand-Effekt tut ein Übriges, um die Kunde vom Kampf Verlage vs. Adblock in die Online-Welt zu tragen.

Bildschirmfüllender AppellNoch muss sich ein Nutzer dafür bewusst entscheiden, Werbung blockierende Maßnahmen einzusetzen, fast kein Browser hat standardmäßig einen Adblocker integriert. Doch auch das ist längst nicht mehr der Standard. Der Opera-Browser etwa lässt das gezielte Blockeren von bestimmten Inhalten, und damit auch Werbebannern, seit vielen Jahren zu, und jüngst hat die weitverbreitete Linux-Distribution Debian Adblock Plus standardmäßig in den mitgelieferten Firefox eingebaut.

Adblocker, das ist Software, die erst dadurch überhaupt möglich wurde, weil die Werbetreibenden es übertrieben haben in ihrer Gier nach Aufmerksamkeit und Gewinn. Den Werbeblocker als solchen wird man nicht mehr in die Büchse der Pandora zurückbekommen. Wer erst einmal so weit ist, Werbung zu filtern, der hat bereits eine derart kritische Haltung entwickelt, dass er dazu neigt, Werbung generell abzulehnen. Die wenigen Nutzer, die sich bewusst für Ausnahmen entscheiden, dürften kaum ins Gewicht fallen. Insofern ist der Appell an die User von Adblockern nicht nur wenig sinnvoll, sondern dürfte deutlich nach hinten losgegangen sein.

Artikelende

Quellen und Weiterführendes

Adblock Plus filtert nicht sämtliche Werbung, sondern lässt die Werbung von Anbietern durch, die ggf. für das Whitelistung bezahlen.

Was nervende Werbung alles könnte, listet Golem in seinem eigenen Appell praktischerweise gleich mit auf.

RP Online erklärt seinen Nutzern immerhin auch, wie man die Tracking-Schutz-Funktion des IEs aushebelt.

Gute Gründe, keinesfalls auf Werbeblocker zu verzichten, drastisch formuliert

Kriterien für das Whitelisting von Adblock Plus

Kritisches zu Adblock Plus

Äh, Paper?

Auch die wohlwollendsten Leser schalten den Adbocker schnell wieder ein

Wer Werbung blockt, hat oft schon eine generell marketingkritische Haltung

Kommentare


  • Jochen sagt:

    Für die Verlage lautet die bittere Realität: Der Online-Werbe-Markt hat noch viel Potenzial – zu kollabieren. Ich bin immer wieder erstaunt, dass die große Mehrheit der „Normalnutzer“ große Augen macht, wenn ich ihnen ein Surfvergnügen ohne Werbung präsentiere.

    Die Aktion der Verlage ist wahrhaftig ein Schuss, der nach hinten losgeht. Erst gestern war die Aktion Gespräch im privaten Rahmen. Zitat:

    „Wie? Man kann Werbung im Internet blockieren?“

    Für die Verlage ist es tatsächlich ein Dilemma, denn sobald sie das Thema Werbeblocker aufbringen, steigt quasi automatisch die Zahl der Nutzer von Werbeblockern.

    Wir dürfen gespannt darauf warten, wann das erste Mal die Forderung von „Rettungsschirm“, „Solidarbeitrag“, „Qualitätsjournalismus-Pfennig“, „Demokratieabgabe“ o.ä. erhoben wird.

  • Ralle sagt:

    Dann holen sich die Verlage ihr Geld bei den Abos der Tageszeitungen auch sind die Anoncen zu teuer darum ist die Zeitung auch so dünn außer in der Adventzeit aber der Tagespreis ist gestiegen und wahrscheinlich wegen der fehlenden Anzeigen wenn die

  • Ralle sagt:

    Eine Frage gibts ein Geschwindigkeitsdrossel die besagt Sie schreiben zu schnell gibts eine Regel die Schnellschreiber ausschließt

  • ralle sagt:

    Ich habe ein Kreisblatt das hat sein Jahresabopreis in paar Jahren verdoppelt und die Seitenzahl um 3/4 verkürzen und bei gestiegenenen Druckkosten kommt da hat man gemerkt wie wenig Reportagen da drinn sind dafür mehr zahlen da ist kein Preisleistungsver

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