Das Radio, wie wir es seit nun fast 100 Jahren kennen und nutzen, ist auf dem Weg zum Abstellgleis, doch noch merkt niemand etwas vom Wandel, der sich allmählich, aber unaufhaltsam vollzieht. Das liegt nicht unbedingt an der heutzutage oft unbefriedigenden inhaltlichen Qualität, nein, es ist der technische Wandel, der das Radiohören gravierend verändert und weiter verändern wird.
Der UKW-Funk ist vorerst gerettet – schätzungsweise mindestens noch 10 bis 20 Jahre lang wird man mit seinen jetzigen Radiogeräten, egal ob Autoradio, Küchenradio oder Stereoanlage, Radio wie bisher auch empfangen können. Was danach kommt, steht noch in den Sternen. Es wird davon abhängen, wie sich die Verbreitung digitaler Radiosignale bis dahin entwickelt hat. Zu einer Abschaltung der analogen Radiosender wird es erst dann kommen, wenn entweder deutlich mehr Hörer digitale Radiogeräte verwenden – oder aber der UKW-Funk muss abrupt eingestellt werden.
Doch warum genau eigentlich verschmäht das radiohörende Volk den digitalen Wandel, der ihm seit Jahrzehnten offeriert wird? Weil es derzeit schlicht keine nennenswerten Vorteile für den Radiohörer gibt, von analog auf digital umzuschalten. Die Vorteile entstehen für die Programmmacher, für die Betreiber und Sendeanstalten, in Form von Kosteneinsparungen. UKW-Plätze sind begrenzt und teuer, digitales Radio macht das Senden langfristig günstiger. Der gemeine Radiohörer hat von der Umstellung bislang keine Vorteile, denn solange nicht genügend Sender Interesse an der digitalen Verbreitung haben, bleibt das Argument des größeren Programmangebots auf der Strecke. Ein Henne-Ei-Problem besteht bezüglich des digitalen Radioempfangs. Ohne breites Interesse der Sender gibt es keine überwiegenden Vorteile (dadurch besteht auch kein dringendes Erfordernis für den Ausbau der technischen Infrastruktur), was wiederum die Hörer ausbleiben lässt, was wiederum die Senderauswahl klein hält. Somit schließt sich der Kreis.
Faktisch sind es derzeit fast nur Nachteile, die den Hörer beim digitalen Radioempfang erwarten: Weniger Auswahl, schlechterer Empfang, keine flächendeckende Verfügbarkeit, schlechtere Tonqualität. Gerade die Tonqualität wurde eigentlich stets als Vorteil des digitalen Radios genannt, doch da die technischen Möglichkeiten hierzu nicht ausgereizt werden, sondern stattdessen möglichst kostengünstig („platzsparend“) gesendet wird, bleibt auch dieser theoretische Vorteil auf der Strecke. Dazu kommt das Erfordernis des Geräteneukaufs, denn mit dem bisherigen Arsenal an analogen Radiogeräten lässt sich natürlich kein digitales Radio empfangen.
Als Haupthindernis gilt, dass der analoge Radioempfang nach wie vor den größten Teil am Radioempfang ausmacht. Anders als beim Antennenfernsehen, das mit DVB-T relativ schnell komplett auf digitalen Empfang umgestellt werden konnte, sind UKW-Hörer keine Minderheit, sondern stellen die große Masse. Es gibt quasi keine Fahrzeuge und keine Haushalte, die nicht mindestens einen UKW-Empfänger in Betrieb haben. Eine harte Abschaltung hätte also zur Folge, dass schlagartig Millionen von Radiogeräten über Nacht unbenutzbar würden, Radioempfang würde damit praktisch in Deutschland nicht mehr stattfinden. Es kommt zum jetzigen Zeitpunkt daher nur ein langsamer, allmählicher Übergang in Frage. Die Verbraucher zum Kauf von digitalen Radiogeräten zu bewegen, das scheint nach wie vor eine nicht zu lösende Aufgabe zu sein. Die Abschaffung des analogen Radioempfangs war ursprünglich für das Jahr 2015 angepeilt. Davon könnte man nicht weiter entfernt sein. Eine echte Alternative zum UKW-Radio ist bislang nicht in Sicht. Die Politik konnte daher gar nicht anders, als wieder zurückzurudern. Die angestrebte Analogabschaltung ist nun erst einmal wieder auf Eis gelegt. Analoges Radio wird uns daher in Deutschland noch viele Jahre erhalten bleiben.
Eine digitale Umstellung wird sich daher wohl nur über eine politische Lösung erreichen lassen, etwa über die Verpflichtung der Gerätehersteller, keine reinen UKW-Empfänger mehr zu verkaufen, die Subventionierung von Neugeräten oder eben schlicht die Anordnung der Abschaltung bzw. die Nichtverlängerung der UKW-Frequenzvergabe, der sogenannte „harte Umstieg“. All dies erscheint jedoch unrealistisch, solange der Bedarf für digitales Radio einfach nicht vorhanden ist oder die Nachteile die Vorteile überwiegen.
Die Wege zum digitalen Radio
Die Versuche, digitales Radio in Deutschland auf Erfolgskurs zu bringen, endeten bislang stets verheerend:
DSR
Das „Digitale Satelliten-Radio“ war der erste Versuch, digitales Radio in Deutschland zu etablieren. 1989 gestartet, wusste dennoch jahrelang nur eine Minderheit, dass es dies überhaupt gab. Zu empfangen war es über die Satellitenschüssel oder den Kabelanschluss. Akustisch war es eine enorme Verbesserung zu UKW, der Empfang erreichte CD-Qualität, rauschfrei und klar. Mehr Sender als im UKW-Äther gab es jedoch nicht, und auch der größte Vorteil des Radios, die Mobilität, war dahin, da DSR ein permanentes Kabel zur Antennensteckdose benötigte. Nötig war zudem noch ein neues Empfangsgerät, das nicht gerade billig war. DSR wurde demnach meist nur in teuren Hi-Fi-Anlagen empfangen, es war das Radio für den ambitionierten Heimstereoanlagenbenutzer im Wohnzimmer. Bereits in der Küche oder im Badezimmer dudelte dann wieder das klassische UKW-Gerät, im Auto sowieso. DSR blieb daher ein Nischenprodukt, nach nur knapp 10 Jahren war es 1999 wieder vorbei damit. Die Verbraucher saßen auf wertlos gewordenen DSR-Empfängern.
ADR
Das „Astra-Digital-Radio“ füllte die Lücke, die DSR hinterließ. In schlechterer Klangqualität, aber mit deutlich mehr Sendern bot es in den Zeiten, als Internet noch unbekannt war, erstmals die Möglichkeit des Empfangs von wirklich vielen verschiedenen Sendern. Doch auch hier blieb der Nachteil der Ortsgebundenheit: ohne Kabel (zur Satellitenschüssel) ging nichts. Heute ist ADR ein Auslaufsystem, als Folge der Abschaltung des analogen Satellitenfernsehens 2012 wird auch das darauf aufbauende ADR sein Ende finden. Die ADR-Empfangsgeräte werden Elektroschrott.
DAB
DAB war der erste ernsthafte Versuch, das UKW-Radio durch digitales Radio zu ersetzen. In den 90er Jahren wurde DAB zum Synonym für Digitalradio. Es sollte die Programmvielfalt erhöhen und gleichzeitig die Klangqualität verbessern. Doch aufgrund halbherziger Umsetzung wurde es schnell zum Rohrkrepierer. DAB war nicht flächendeckend zu empfangen, die Sendeleistung und damit der Empfang schwach, die Klangqualität oft sogar schlechter als bei UKW und die neu anzuschaffenden Radiogeräte viel zu teuer. DAB sendete für eine Handvoll Hörer, meist Radio-Enthusiasten, die aufgrund der tatsächlichen Einschränkungen im Verhältnis zu den versprochenen Vorteilen sehr schnell enttäuscht waren. Der einzig verbleibende Vorteil der größeren Programmvielfalt wurde mangels Interesse der Radiosender gar nicht erst erreicht. DAB wurde durch Fördergelder künstlich am Leben gehalten, doch sprangen Privatsender und sogar viele öffentlich-rechtliche Anstalten sofort wieder ab, als kein zusätzliches Geld mehr floss – und gingen zurück zum analogen UKW. Derzeit wird DAB-Programm noch ausgestrahlt, ist selbst in Ballungsgebieten jedoch oft nicht gut zu empfangen und wird in absehbarer Zeit von DAB+ abgelöst werden. Die für DAB angeschafften Digitalradiogeräte sind dann – wer hätte es gedacht – wieder einmal Elektronikmüll.
DRM
Das „Digital Radio Mondiale“ war quasi der Versuch, digitalen Hörfunk auf die Kurz-, Lang- und Mittelwellenfrequenzen zu bringen. Vor allem die „kleine Schwester“ von UKW, die Mittelwelle, die im Vergleich zu UKW kein Stereo oder gute Qualität ermöglicht, wird praktisch von kaum einem Radiohörer genutzt, obwohl nahezu jedes Radio auch Mittelwelle empfangen kann. Die Mittelwelle wird daher fast nur als Ausweichmöglichkeit genutzt, um zusätzlich zur begrenzten Kapazität des UKW-Bereichs Programme unterbringen zu können, etwa Infosender, die damit auch Landstriche ohne guten UKW-Empfang erreichen, oder aber Programmbestandteile, die für den Großteil der normalen UKW-Hörer uninteressant sind, wie etwa Ausländerprogramme. Der NDR nutzt die Mittelwelle z.B. für die Ausstrahlung des Seewetterberichts. DRM nun sollte der Mittelwelle (und auch der Lang- und Kurzwelle) auf digitalem Wege zu neuer Blüte verhelfen. Doch im Vergleich zu DAB waren die Startbedingungen für DRM in Deutschland noch schlechter. Die Geräte dafür waren nicht nur zu teuer, sie waren oft nicht einmal erhältlich, da noch gar nicht gebaut. Die Tonqualität kam nicht an UKW heran, auch an DAB nicht. Ein Ersatz für das UKW-Radio hätte DRM daher nie sein können, es wäre wieder nur eine schlechtere Alternative zu einem anderen Digitalsystem gewesen. Die wenigen Sender, die in Deutschland DRM-Radio ausstrahlten, sendeten somit auf diesem Wege fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mittlerweile haben alle deutschen Sender den regulären Betrieb via DRM wieder eingestellt. Wer es geschafft hat, ein DRM-Radio zu ergattern, kann es daher getrost zum Recycling bringen.
DVB
DVB ist eine aktuelle Möglichkeit, digitales Radio vor allem über Satellit zu empfangen. Die Sendervielfalt ist im Vergleich zu den Konkurrenten überwältigend, die Klangqualität gut. Daneben gibt es DVB-Radio auch via Kabelanschluss (DVB-C) und auch über die normale klassische Antenne (DVB-T), benötigt werden jedoch jeweils unterschiedliche Empfangsgeräte. DVB könnte also das digitale Radio schlechthin sein – wenn es denn genutzt würde. Doch außer in Berlin (im Pilotprojekt als Alternative zum erfolglosen DAB) und Leipzig wird DVB-T (über Antenne) nicht für die Ausstrahlung von Radioprogrammen eingesetzt. In Hamburg und Schleswig-Holstein war die Einführung für 2010 geplant, wurde mangels Interesse der Radiosender letztendlich jedoch nicht realisiert. Aber auch in Berlin war DVB-T-Radio kein Erfolg. Obwohl DVB-T-Fernsehen seinen Platz erobert hat, gilt dies nicht für das Radio. Der Kreis der Hörer ist gering, zu umständlich ist der Empfang, für den man einen DVB-T-Empfänger, also einen Receiver, benötigt – denn wer hört schon Radio am Fernseher oder koppelt den Receiver an seine Musikanlage? Immer mehr Sender sprangen ab, von den ehemals über 30 ausgestrahlten Sendern sind aktuell gerade noch 7 Programme übrig geblieben. DVB-T für digitale Radiosignale darf seitdem ebenfalls als gescheitert gelten.
DAB+
Nach dem Misserfolg mit dem alten DAB wird dieses System derzeit noch einmal „neu gestartet“. Mit verbesserter Technik, die einen besseren Empfang ermöglichen soll, wird DAB+ gerade als das neue digitale Radio für Deutschland propagiert. Mit derzeit nur einer Handvoll Sendern vor allem in Ballungsräumen vertreten, wird für die Zukunft eine größere Reichweite und Sendervielfalt versprochen. Ob es dazu tatsächlich kommen wird, oder DAB+ in ein paar Jahren wieder von einem anderen, noch besseren System abgelöst werden wird, das ist kaum vorherzusagen. Weshalb das sehr ähnliche DAB+ sich nun stärker durchsetzen sollte als das bisher äußerst erfolglose DAB, ist nicht einleuchtend. Wer sich auf dieses Risiko einlassen möchte, benötigt für den Empfang von DAB+ schon wieder neue Radiogeräte. Zwar lassen sich mit DAB-Plus-Geräten auch DAB-Programme empfangen, umgekehrt funktioniert dies jedoch nicht. Neukauf ist also Pflicht, wer in DAB+ hören möchte. Immerhin agieren nun zumindest die Hersteller besonnener: aktuelle DAB-Plus-Geräte empfangen neben DAB+ auch noch das ältere DAB und auch die analoge Ultrakurzwelle, müssen also nicht komplett entsorgt werden, wenn das Format mal wieder wechselt – was jedoch nichts daran ändert, dass die Verbraucher in großer Mehrheit weiterhin lieber zum sehr viel günstigeren, reinen UKW-Gerät greifen und DAB-Geräte links liegen lassen, wenn sie ein Radio brauchen.
Bislang haben sich alle digitalen Radioempfangswege als unbeständig erwiesen. Nach ein paar Jahren wird das System geändert oder aufgegeben, neue Geräte müssen gekauft werden, die alten werden nutzlos. Im Vergleich zum analogen Radioprogramm, das seit nun bald 100 Jahren (in qualitativ gutem UKW seit 60 Jahren) kontinuierlich mit demselben Gerät gehört werden kann, ist dies ein schlechter Witz. Die ständig miteinander konkurrierenden digitalen Systeme tun ein Übriges, um den Verbraucher vollends abzuschrecken, das Wirrwarr an Möglichkeiten ist buchstäblich verwirrend. Hinzu kommt, dass fast jedes Land seine eigene Lösung für digitales Radio umsetzt. Selbst wenn dasselbe technische Format genutzt wird, wird es von Land zu Land oft unterschiedlich implementiert – die Systeme sind untereinander seltenst kompatibel, kurz hinter den Ländergrenzen ist jeweils Schluss mit dem Radioempfang. Was für den Fernsehempfang weniger problematisch ist, erweist sich beim oft mobil genutzten Radio als fatal. Statt eine gesamteuropäische oder gar internationale Lösung anzustreben, verfällt die Welt in Sachen Digitalradio zurück in die Kleinstaaterei. Für eine Europarundreise würde ein Tourist womöglich künftig ein Dutzend Geräte benötigen, statt wie heute einen einzelnen UKW-Empfänger, wenn er unterwegs Radio hören möchte.
Es wirkt nicht nur wie ein Anachronismus, dass die Digitalisierung beim Fernsehen so gut wie abgeschlossen ist, das Internet in alle Lebensbereiche vordringt – nur das Radio sendet nach wie vor analog vor sich hin. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis es analogen Rundfunk über Antenne nicht mehr geben wird. Die Digitalisierungswelle rollt und bislang hat nur das Radio es geschafft, ihr erfolgreich zu trotzen: CDs statt Schallplatten und Musikkassetten, DVD statt Video, digitales statt analoges Fernsehbild. Sogar das Buch schickt sich nun an, endlich digital zu werden. Nur Radio wird noch genauso gehört wie vor 50 Jahren. Da kommt der Gedanke auf, ob denn wirklich alles digital sein muss, nur um des Digitalseins willen. Doch selbst den größten Analoganhängern dürfte klar sein, dass sich die Technikrevolution letztendlich nicht aufhalten lassen wird. Denn die Vorteile überwiegen letztlich doch, wenn denn der optimale (Verbreitungs-)Zustand irgendwann tatsächlich einmal erreicht sein sollte. Rauschfreiheit wird es kaum sein (selbst das schönste Digitalkonzept geht klanglich den Bach runter, wenn im Studio mal wieder ein Telefoninterview geführt wird), Sendervielfalt und Kostenersparnis werden dem digitalen Radio langfristig gesehen jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach zum Durchbruch verhelfen. Es fragt sich jedoch, ob wir es dann überhaupt noch Radio nennen werden.
Das Internet als moderne Kurzwelle?
Eine Analogie zur Digitalisierung des Radios bietet dieser Tage die Deutsche Welle, die sich am 30. Oktober 2011 quasi selbst überflüssig gemacht hat, indem sie auf ihr bisheriges Alleinstellungsmerkmal, die Verbreitung deutschsprachigen Programms über Kurzwellenfunk, verzichtete. Kurzwelle ermöglichte (wenn auch in schlechter Qualität) bislang den Empfang des deutschen Radioprogrammes mit einem simplen Kurzwellen-Radiogerät (landläufig als „Weltempfänger“ bekannt) weltweit, an fast jedem Ort, unabhängig von Kabeln, Satelliten oder Internet. Künftig nun sollen sich an Deutschland interessierte Ausländer und Deutsche im Ausland ihre Informationen im Internet besorgen – weshalb sie deshalb jedoch ausgerechnet auf den Seiten der Deutschen Welle landen sollten, das bleibt das Geheimnis der Deutschen Welle.
Ähnlich könnte das Schicksal des Radios als Gesamtes aussehen. Die Grenzen eines digitalen Radios verschwimmen in der digitalen Welt. Im digitalen Datenstrom ist das Radio nur noch eine Möglichkeit von vielen. Eine Möglichkeit, die durch ihre Austauschbarkeit an Bedeutung verliert, denn das Alleinstellungsmerkmal des analogen Empfangs, die stromsparende, vom Internet unabhängige, unkomplizierte weltweite Nutzbarkeit, fehlt. Das Radio der Zukunft wird, wenn es denn wirklich endlich einmal zu einer geglückten Digitalisierung kommen sollte, kaum noch die Rolle spielen, die es in Zeiten der analogen Ausstrahlung innehatte. Denn selbst ein DAB-Plus-Radio wird nie mit den Streaming-Angeboten im Internet mithalten können, wo der Hörer nahezu jedes beliebige Radioprogramm finden kann, nicht bloß eine regional oder landesweit zugeschnittene Auswahl von Sendern. Der Ausbau der Internet-Infrastrukturen wird weitergehen und womöglich mit dem terrestrischen Empfang gleichziehen können. Wer Internet „empfängt“, wird also auch Zugang zu jedem beliebigen Radioprogramm haben. „Insellösungen“ wie separat gesendetes digitales Radio werden dann schlicht überflüssig sein. Denn Internet-Radioempfang ist schon jetzt weitaus beständiger und kompatibler, als es die verschiedenen Digitalradioformate je waren.
Neue Möglichkeiten
Das Internet bietet dem Radio andererseits auch eine ganz neue Heimat. Neben den klassischen Sendern, die seit einigen Jahren endlich das Netz ernstnehmen und ihr Programm wie selbstverständlich auch in Echtzeit ins Netz übertragen („streamen“), spielt Audio-on-Demand eine immer größere Rolle. Während sich das alte Radiogerät für das gezielte Hören immer weniger eignet und zum Nebenhergedudel oder Stauansager verkümmert, erlebt das gesprochene Wort im Internet eine Renaissance sondergleichen. Aufmerksam zugehört wird auf Abruf, portabel auf den MP3-Player mitgenommen auch unterwegs. Dabei spielen Rundfunkanstalten nur noch eine untergeordnete Rolle, „Podcasting“ wird erfolgreich vor allem auch von Privatpersonen betrieben. Daneben erfreuen sich auch die privaten oder semiprofessionellen Webradios einer immer größeren Beliebtheit: Statt sich über das Einheitsprogramm der klassischen Radiosender zu ärgern, schließen sich Radiobegeisterte zusammen und machen einfach ihr eigenes Programm, mit ihrer eigenen Lieblingsmusik oder eigenen Inhalten, abseits vom Mainstream. Ein prominentes Beispiel bildet der „Computerclub2“: als die Moderatoren Wolfgang Back und Wolfgang Rudolph beim WDR mit ihrer Sendung „Computerclub“ nicht mehr weitermachen durften, gingen sie im Netz mit großem Erfolg einfach selbst auf Sendung. Zunächst als Podcast wie eine Radiosendung, später sogar mit demselben Konzept wieder im Fernsehen. Auch hier verschwimmen die Grenzen zunehmend.
Die Zukunft des Radiogeräts
Das Radiogerät der Zukunft wird keines mehr sein, denn digitale Radioempfänger sind im Grunde keine Radios mehr, sondern kleine Computer. Geräte, mit denen man nicht nur digitale Radiosignale empfangen und dekodieren (= in akustische Signale umwandeln) kann, sondern die auch eine Art Videotext mit Begleitinfos zum Programm und Verkehrsnachrichten oder auch Bilder mitsenden – so zumindest die derzeitige Vision von DAB-Plus. Das jedoch wiederum mutet wie der Versuch an, die Möglichkeiten, die PCs, Smartphones und Handys via Internet schon heute bieten, künstlich in eine Form zu pressen, die am Ende wie ein Radio aussieht. Statt den Computer wie ein Radio aussehen zu lassen, kann man das Radio also auch gleich in den Computer integrieren. Viel wahrscheinlicher ist daher, dass sich „Radio“ zu einem Teil des Internets entwickeln wird, wie es heute bereits abzusehen ist. Radioempfang wird (auch) eine Teilfunktion der künftigen mobilen Geräte sein. Diese werden auch Radio empfangen können, so wie es Handys und Smartphones schon heute tun, aber eben nicht nur. Ob die Radiosignale dann digital über das Internet oder digital über einen separaten Weg ins Gerät gelangen, ist letztendlich egal. Sind die Signale erst einmal digital, können sie mit den unterschiedlichsten Geräten empfangen werden, nicht mehr nur mit einem speziell dafür entwickelten Gerät, wie es das Radiogerät bislang darstellt. Denn wenn das WLAN ohnehin schon durch die Wohnung wabert, wozu sollte man sich dann noch mit zusätzlicher Radiotechnik umgeben, die viel weniger kann?
Die Abschaffung des UKW-Verbreitungswegs bedeutet letztlich also auch die Abschaffung des Radios mit seinem bisherigen Stellenwert. Das Radio wandelt sich vom Medium zu einer bloßen Übertragungsform. Radio als eigenständiges Medium, das auch als solches wahrgenommen wird, wird es dann womöglich nicht mehr geben.
Weiterführendes:
ARD-Radionet
Alle öffentlich-rechtlichen Sender zum direkten Anhören im InternetDigitale Radiozukunft in Frage gestellt
Helmut Merschmann zu den Ursachen des Scheiterns von DAB-RadioRettet unsere Radios
Rainer Steinführ kämpft für den Erhalt des analogen RadiosRauschfreie, aber schrottreife Kisten
Im Jahre 2004 prognostizierte Wolf-Dieter Roth, dass DAB-Radios nicht so bald zu Elektronikschrott werden würden – immerhin erst 7 Jahre später ist es nun so weit.Erinnerungen an DSR
Hagen Kliemann über das erste digitale RadiosystemTelekommunikationsgesetz § 63
Zu voreilig: Das bisherige TKG sah noch die Abschaffung von UKW bis 2015 vorPausenzeichen-Datenbank
Allmähliche Abschaffung: Übersicht über eingestellte KurzwellensenderComputerclub 2
Die beiden Wolfgangs waren nicht zu stoppen: Nach der Absetzung ging’s in Eigenregie im Netz weiterRainbow-Stream
Eines von unzähligen Beispielen für gelungenes privates WebradioHör Mir zu!
Das traditionelle Radioprogramm sendet an den Hörern vorbei
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Nun ja, der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass es auch der UKW-Rundfunk am Anfang nicht gerade leicht hatte. Erste Versuche in den 20er und 30er JAhren fanden in den USA statt und resultierten u. a. darin, dass man eine erste Gerätegeneration wegen Verschiebung des Frequenzbereiches wegwerfen konnte. Oder man nehme Osteuropa, wo noch bis in die 90er Jahre hinein das sogenannte OERT-Band für den UKW-Rundfunk verwendet wurde, bevor dann in einem weichen Übergang der nahezu weltweit übliche Frequenzbereich eingeführt wurde.
Dass aber ein Übertragungsstandard wie DAB, der theoretisch ja schon seit Ende der 80er Jahre existiert, es bis heute zu keiner nennenswerten Akzeptanz geschafft hat, spricht tatsächlich nicht gerade für ein baldiges Aufblühen des terrestrischen Digitalradios. Da hilft es auch nichts, dem Kind einen neuen Namen zu geben und neue Übertragungsstandards zu entwickeln, die dann am Ende doch nur halbherzig genutzt werden.
Ach ja: es gibt durchaus auch auf der Mittelwelle Stereoübertragungen, allerdings nicht hier in Deutschland. In den USA wird das praktiziert, hier in Europa meines Wissens nur vom italienischen „Radio Studio X“. Da es aber hierzulande keine AM-Stereo-Empfänger gibt, sende(te)n sie ihr Stereosignal für ein nichtexistierendes Publikum.