Seitdem bei der Europawahl eine junge schwedische Partei einen Parlamentssitz erlangte, ist auch in Deutschland die Aufbruchstimmung deutlich zu spüren. Auf einmal erscheint es möglich, dass demnächst eine neue Partei im Parlament vertreten ist. Im Bundestagswahlkampf 2009 fallen weder CDU/CSU, noch SPD, Grüne oder die Liberalen besonders auf – von sich reden macht eine kleine Schar moderner Störtebeker, die Bürgerrechte, Datenschutz, Privatsphäre und freien Zugang zu Wissen nicht nur im Internet als Galionsfigur vor sich herträgt: die Piratenpartei.
Piraten? Kann man so was wählen?
Die Frage, ob man Piraten wählen darf oder lieber die Küstenwache rufen sollte, dürften sich nicht Wenige stellen, die zum ersten Mal von der Piratenpartei hören. Dabei ist die junge Partei auch nicht gefährlicher als die übrigen Vertreter in der politischen Landschaft. Der provozierende Name ist dem schwedischen Vorbild entliehen: hier organisierte sich 2006 zum ersten Mal eine „Piratpartiet“, die sich so nannte, wie sie vom politischen Hauptgegner, der Unterhaltungsindustrie, diffamierend bezeichnet wurde: Piraten. In Deutschland hingegen war eher selten von Piraten die Rede, hierzulande hat man, vor allem durch Kampagnen in Kino und Filmvertrieb, einen anderen Begriff geprägt – der deutsche Ableger hätte sich daher genaugenommen „Raubkopiererpartei“ nennen müssen, um auf demselben Witz aufzubauen.
Trotz der gefährlich klingenden Selbstbezeichnung stellen sich die Piraten nicht neben das politische System, bilden keine neue Inkarnation einer außerparlamentarischen Opposition, sondern segeln ganz brav in Richtung der Institutionen. Der politische Auftritt unter dem augenzwinkernden Schwenken der Totenkopfflagge hat unterdessen einige Vorteile: die Maskerade bietet den idealen Boden, um sich bewusst von den etablierten Parteien abzugrenzen, sich modern und unverstaubt zu geben. Und es beflügelt die Kreativität der Mitglieder und Sympathisanten. Statt spröden Ortsvereinen gibt es „Crews“, statt am Kanzleramtszaun zu rütteln, soll der Bundestag „geändert“ werden. Piratensprache und -symbolik begleiten fast alle Bereiche und Auftritte der Piratenpartei und schaffen wie von selbst eine Corporate Identity mit hohem Wiedererkennungswert. Zudem machen sie die Piraten damit äußerst interessant – die Medien stürzen sich derzeit geradezu auf die neue Partei, Rundfunk und Presse haben genau wie die Piraten selbst ihren Spaß am modernen Freibeutertum.
Eine Spaß- oder Protestpartei?
Nun könnte man ob dieses Gebarens auf die Idee kommen, hier reihe sich jemand in die Riege aus Pogopartei, „Die Partei“, „Chance 2000“ oder gar der „Horst-Schlämmer-Partei“ ein. Bei öffentlichen Auftritten wird die schwarze Fahne geschwenkt, auf Berlins Potsdamer Platz „Killerschach“ gespielt und mit einem Motorboot im Regierungsviertel gekreuzt. Doch hinter der amüsanten Fassade stehen ernste Ziele und Anliegen: Schutz der Bürgerrechte, Datenschutz, Informationsfreiheit oder etwa die Reform von Urheber- und Patentrecht.
Der Schwerpunkt der Piraten ist jedoch – trotz aller Beteuerung, keine reine Internetpartei zu sein – das Internet. Das Internet erst hat die Lücke in der Parteienlandschaft entstehen lassen, die die Piratenpartei nun besetzt. Hier hat die Piratenpartei ihre Wurzeln und hierin liegen auch die Beweggründe der Piraten, sich für ihre Ziele einzusetzen. Die Piraten haben sich in kürzester Zeit zur Partei der Generation Internet entwickelt. Doch das ist kein Malus, ganz im Gegenteil. Für die jüngeren Generationen ist das Internet kein bloßes weiteres Medium wie einst Radio oder Fernsehen, es ist ein integraler Bestandteil ihres Lebens. Das Internet als Informationsquelle ist fast nur noch ein Teilbereich einer neuen Kulturtechnik. Studiert, gearbeitet und Geld verdient wird im und über das Netz, Freundschaften werden virtuell gepflegt und geschlossen, die Freizeit wird im virtuellen Raum verbracht – oder koordiniert. Nicht nur, aber auch. Und das in einem zunehmenden Maße. Internet ist längst ein großer Faktor in der Welt Vieler geworden, ein Umstand, der sich in den Zielsetzungen etablierter Parteien praktisch kaum wiederfindet. Was bislang fehlte, war eine politische Interessenvertretung, die sich auch gezielt und speziell um die Bedürfnisse einer virtuellen und digitalen Lebensweise kümmert.
Ziele und Klientel
Die Frage, ob Deutschland nun wirklich noch eine weitere Kleinpartei benötigt, erübrigt sich damit. Eine neue politische Kraft scheint überfällig, nicht nur, wenn man sich den Verfall der Bürgerrechte in den vergangenen Jahren vor Augen hält. Solange die etablierten Parteien bestenfalls moderne Entwicklungen ignorieren oder schlimmstenfalls eine Politik machen ausgehend von der Annahme, das Internet sei vor allem etwas Bedrohliches, das die Jugend verdirbt, Arbeitsplätze vernichtet, Amokläufer inspiriert, Terroristen vernetzt und überhaupt schlecht zu überschauen oder gar zu kontrollieren ist, wird sich die Piratenpartei keine Sorgen um weiteren Zulauf machen müssen. In den letzten Wochen sammelte die Piratenpartei fast spielend Anhänger, nicht zuletzt wegen der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetztes (das vermeintliche Anti-Kinderpornographie-Gesetz, das „Stoppschilder“ im Internet ermöglicht) durch den Deutschen Bundestag. Die Piraten werden weiterhin Viktualienbrüder und -schwestern einsammeln, solange den Protagonisten der übrigen Parteien der Wille oder schlicht das Wissen fehlt, sich kompetent mit derlei Politik auseinanderzusetzen. Exemplarisch legendär geworden ist die Antwort von Bundesjustizministerin Zypries auf die Frage eines ARD-Kinderreporters, ob sie wisse, was ein Browser ist.
Die Existenz der Piratenpartei resultiert damit auch aus einem Generationenkonflikt: Jüngere Wähler können das Wort „Verbot“ allmählich nicht mehr hören. Sie fühlen sich von der Politik behandelt wie von Eltern, die ihren unmündigen Kindern alles Unverstandene verbieten, statt sich für ihre Welt zu interessieren. Beispielhaft hierfür die Reaktionen nach Amokläufen an deutschen Schulen. Statt eine signifikante Verschärfung des Waffenrechts zu fordern oder den Waffenbesitz strenger zu reglementieren, wird regelmäßig das Verbot von „Killerspielen“ gefordert. Die Piraten machen sich somit vor allem auch für die jüngeren Wähler interessant, die sich von „den Etablierten“ weder verstanden noch ausreichend vertreten sehen.
Die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien verdienen aus Sicht der Piraten einen Schuss vor den Bug, insbesondere die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU, unter der die Bürgerrechte in jüngster Zeit in einem Ausmaß beschnitten wurden, wie man es sich vor einigen Jahren noch nicht hätte vorstellen können. „Bundestrojaner“ (heimliche Durchsuchungen von ans Internet angeschlossenen Computern), biometrische Pässe (Fingerabdruck im Personalausweis), elektronische Krankenversichertenkarte („Gesundheitskarte“), Vorratsdatenspeicherung, wie selbstverständliche Überwachung auf öffentlichen Plätzen und an Orten und im öffentlichen Nahverkehr und nicht zuletzt nun das „Zugangserschwerungsgesetz“, das zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Aufbau eines staatlichen Zensurapparates zielt und nur aufgrund der Verzögerungstaktik des Bundeswirtschaftsministeriums wohl nicht mehr zur Ausfertigung zum Bundespräsidenten durchkommt.
Die Privatsphäre schwindet rapide, nicht einmal in den eigenen Vier Wänden ist man noch unter sich – solange man Telefon und Computer benutzt. Das ist längst kein Alptraum mehr von Schriftstellern oder Paranoikern, es ist Realität geworden. Doch das Volk hat nichts zu verbergen – und will gerade deswegen nicht vollumfassend überwacht werden. Bei den Piraten formieren sich nun diese Stimmen.
In welche Richtung segelt ein Pirat?
Die Partei selbst betont, sie sei insofern „unpolitisch“, als dass sie sich nicht in eine bestimmte politische Richtung einordne, sie stehe Interessierten aus allen politischen Lagern offen; die Piratenpartei sei weder „links“ noch „rechts“, wenn überhaupt, dann steuer- oder backbord. Das ist zwar wunderbar opportunistisch formuliert, doch bei selbst nur oberflächlicher Betrachtung natürlich Unsinn, denn selbstverständlich lässt sich die Partei anhand ihrer Forderungen und Ziele recht gut in das klassische politische Spektrum einsortieren. Demnach pendelt sie je nach Themenpunkt irgendwo zwischen ganz links und ganz liberal. Schnittmengen bestehen jeweils zur Linkspartei, zur FDP und den Grünen. Der einzige schwedische Europaabgeordnete etwa hat sich in Straßburg der Grünen-Fraktion angeschlossen.
So machen die Piraten im Netz Politik: übersichtlich, transparent und zum Mitmachen; unten rechts: So „verkaufen“ die Grünen ihre Politik
Basisdemokratie hat bei den Piraten dabei einen besonderen Stellenwert. Die Piratenpartei gibt sich fast basisdemokratischer als die Grünen: Man muss nicht einmal Mitglied sein, um sich einzubringen. Parteitreffen sind unkompliziert öffentlich und laden zur Beteiligung ein. Im Internet gilt dies sowieso. Während die klassischen Vorzeige-Basisdemokraten mit einem agenturgefertigten, einem IKEA-Katalog gleichenden Webauftritt abschrecken, fordern die Piraten mit einer schlichten und funktionalen Seite zum direkten Mitmachen auf: Wiki, Kommentare und Mailinglisten stehen allen Besuchern offen.
Löcher im Kiel – Piratenprobleme
Das Hauptproblem der Piraten ist sicherlich, dass sie sich ziemlich viel und dabei noch Hochkomplexes auf die schwarzen Fahnen geschrieben haben, dass sie sich für Sachverhalte einsetzen, die ohne genauere Beschäftigung damit und Verständnis für die Hintergründe selten auf Anhieb zu verstehen sind. Sie packen viele schwierige Themen auf einmal an, die den typischen „kleinen Mann“ von der Straße ersteinmal wenig interessieren. Unglücklicherweise verheddern sich die Piraten bisweilen auch in ihren Anliegen. In einer Interviewrunde des Senders n-tv Phoenix gelang es beispielsweise dem ehemaligen Vorsitzenden der Piratenpartei, Dirk Hillbrecht, kaum, dem Laien die Ziele und Forderungen der Piraten verständlich zu machen.
Vorgeworfen wird den Piraten bisweilen – hauptsächlich von politischen Gegnern – dass sie nur eine Handvoll Programmpunkte verfolgt, eine Ein-Themen-Partei sei und mit keinem vollständigen Parteiprogramm antritt, das alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens abdecke. Das ist unumstritten richtig, doch führt gerade die Konzentration auf wenige Spezialgebiete dazu, dass man die Piraten als authentische Partei wahrnimmt. Einen Anspruch, andere Parteien voll ersetzen zu können, stellt die Piratenpartei auch gar nicht, sie tritt bewusst und gezielt nur für ihre speziellen Anliegen ein. Der Verzicht auf den typischen politischen Gemischtwarenladen schärft hierbei ihr Profil deutlich – und es wirkt glaubwürdiger, als wenn man nun auch noch mit Außen- Familien- oder Rentenpolitik an den Start gehen würde.
Weniger Profil scheinen die Piraten bei der Frauenfrage zu haben: Die Kandidatenliste zur Bundestagswahl etwa ist ein reiner Männerverein und offenbart zugleich auch die Zusammensetzung der Piratenpartei: ein „Club der Technokraten“ – Mathematiker, Informatiker, Ingenieure, Softwareentwickler. Einen Arbeitslosen und einen Religionswissenschaftler findet man außerdem in der Liste. Immerhin. Vielleicht entwickelt sich da ja noch etwas.
Ankreiden kann man den Piraten jedoch, dass sie viel fordern, aber kaum Lösungen anbieten. Die offene Struktur, die gelebte Transparenz führt bisweilen dazu, dass die politische Auseinandersetzung und Diskussion unüberschaubar wird. Es wird viel geredet und zerredet. Es entstehen gute Ideen, aber auch äußerst Fragliches:
Verwässerung des Urheberrechts
Man bekommt bei den Piraten den Eindruck, als würden sie das geistige Eigentum am liebsten gleich ganz über die Planke springen lassen. Das wird so zwar nicht explizit gesagt, aber das Setzen des Begriffes „geistiges Eigentum“ in Anführungszeichen und ein Davorsetzen des Wörtchens „sogenanntes“ im Parteiprogramm sprechen Bände. Die Zurechtstutzung des Urheberrechtes stellt einen zentralen Programmpunkt der Piratenpartei dar, insbesondere soll das Urheberrecht bei nichtkommerzieller Nutzung faktisch nicht mehr gelten. Privatleute sollen fremde Werke frei kopieren – und vor allem auch verbreiten – dürfen. Gleichzeitig betont das Parteiprogramm, die Urheberpersönlichkeitsrechte zu achten. Worin dann aber das Recht z.B. eines Künstlers oder Autoren besteht, wenn er nicht mehr bestimmen darf, wo, wie und von wem sein Werk veröffentlicht wird, darauf geben die Piraten keine Antwort und verweisen nur schwammig auf „neue Konzepte“.
An dieser Stelle offenbart sich ein systematischer Widerspruch in der Parteipolitik der Piraten. Wenn es um die Rechte des Einzelnen geht, um dessen Datenschutz, um Internetzensur (um ungehinderten Netzzugang jedes Bürgers), dann soll das Recht möglichst allumfassend sein. Geht es hingegen um Urheber- und Patentrecht, ist die Freiheit des Einzelnen auf einmal nicht mehr soviel wert.
Im Ergebnis laufen die Pläne der Piraten auf eine Enteignung von Kulturschaffenden hinaus. Die Werke von Künstlern würden dadurch quasi gemeinfrei werden – Musiker dürfen Musik machen, Schriftsteller Romane schreiben, aber bitteschön für die Allgemeinheit, nicht für den eigenen Geldbeutel. Ob eine solche Politik tatsächlich zu der angestrebten „Freiheit des Wissens“ führen würde, wenn Künstler und Autoren aus Angst vor der Büchse der Pandora erst gar kein „Wissen“ mehr ins Internet einfließen lassen würden, ist fraglich. Die Entkommerzialisierung weiter Teile der Kulturlandschaft vermag in einem alternativen Wirtschaftssystem funktionieren, doch das ist wie vieles andere Utopie. Es drängt sich hier fast der Verdacht auf, als hätte mancher Pirat zuviel Star Trek geschaut.
Die Piratenpartei kapituliert somit vor dem Nichtvorhandensein einer Lösung der heutigen Probleme, ganz nach dem Motto „was man nicht schützen kann, kann man nicht schützen (ist nicht schützenswert)“. Plakativ formuliert gehen die Piraten den einfachen, bequemen Weg: man kann das illegale Kopieren (technisch) nicht effektiv verhindern, also solle man sich doch damit abfinden. Nach derselben Logik könnte man Schwarzfahren und Ladendiebstahl endlich legalisieren. Statt neue Lösungen parat zu haben, sollen die alten verschwinden, ohne dass sie adäquat ersetzt werden könnten.
Als „Entschädigung“ für die Enteignung sind bisweilen Modelle wie die „Kulturflatrate“ im Gespräch. Christian Hufgard, Vorsitzender der Piratenpartei in Hessen Mitglied der Piratenpartei und 1. Vorsitzender des Vereins „Musikpiraten“, postuliert, dass der Begriff „Kulturflatrate“ irreführend sei, „Entschädigungsmodell“ wäre zutreffender. Von der anderen Seite gesehen vernebelt jedoch auch der Begriff „Entschädigung“ die Tatsache, dass es sich in Wirklichkeit um eine Kollektivstrafe handeln würde, die jeder Internetanschlussinhaber zahlen müsste, weil die Mehrheit Musik und Filme lieber kostenlos genießen möchte. Die Piratenpartei jedenfalls nimmt keinen Bezug zur „Kulturflatrate“ im Wahlprogramm.
Die Forderung nach einem Umdenken ist dabei ebenfalls zwiespältig zu betrachten. Als Beispiel, wie Kulturschaffende in Zukunft weiterhin Geld verdienen können, werden gerne der unbekannte Musiker genannt, der ein Video bei Youtube hochlädt, im Handumdrehen berühmt wird und auf einmal eigene Konzerte geben kann. Oder der Schriftsteller, der seine Texte zuerst im Internet veröffentlicht, dadurch viele Leser findet, eine Fangemeinschaft aufbaut und erst dadurch Bücher wie warme Semmeln verkauft. Davon abgesehen, dass solche Beispiele eher unter der Überschrift Ausnahmen firmieren, sind sie selbstverständlich schon heute möglich, ohne dass sie vom derzeitigen Urheberrecht ver- oder behindert würden. Es steht jedem frei, alternative Konzepte und Vertriebswege auszuprobieren oder zu nutzen und es ist eine Sache, z.B. die häufigere Verwendung von freien Lizenzen zu fördern, aber diese deswegen de facto allen anderen Kreativen auch aufzuzwingen, indem man das Urheberrecht „neu auslegt“, das zeugt von einem merkwürdigen Verständnis von einer freien Gesellschaft.
Ei, der Tauss!
Zu allem Unglück kommen zu den programmatischen und strukturellen Schwachstellen der Piraten nun auch noch die Stolpersteine des Tagesgeschäfts: im bisherigen Wahlkampf lief bislang manches eher suboptimal. Den Anfang machte die Aufnahme von Jörg Tauss, der unter dem Verdacht des illegalen Besitzes von Kinderpornographie stehenden Bundestagsabgeordneten, in die Partei. Steht die Piratenpartei wegen ihrer strikten Ablehnung der Anti-Kinderpornographie-Internetsperren ohnehin unter argwöhnischer Beobachtung, tritt nun ausgerechnet ein unter diesem Tatbestand Verdächtigter in die Partei ein. Ob Tauss den Piraten damit einen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Immerhin können die Piraten dadurch nun medienwirksam verbreiten, sie wären mit einem Abgeordneten im Bundestag vertreten.
Aufmerksamkeit erregte auch die Wahl eines Mitglieds in ein Parteiamt, als die Runde machte, dass sich der Kandidierende in der Vergangenheit relativierend zur Vernichtung der Juden geäußert hatte – mit Aussagen, die man sonst nur aus der äußersten rechten Ecke hört. Ironischerweise ermöglichte erst die Transparenz des „nicht vergessenden“ Internets diese Aufdeckung. Die Reaktion der Piratenpartei beschränkte sich zunächst auf die Aussprechung einer Rüge, ansonsten nannte man die Meinungsfreiheit als Grund, weshalb es zu keinen weiteren Reaktionen kam. Die Meinungsfreiheit endete dann allerdings im Forum der Piraten, wo Diskussionsbeiträge zu diesem Thema kurzerhand gesperrt wurden. Einen offenen Brief an das betreffende Mitglied unterzeichneten knapp 100 Piraten, etwa 60 Piraten missbilligten diesen Brief. Eine Woche später wurde dem gerügten Mitglied das erworbene Parteiamt aberkannt, eine Sperre für eine erneute Kandidatur auferlegt sowie der Parteiausschluss beantragt.
Die Chancen 2009
Bei der Europawahl traten die Piraten bereits an, erzielten anders als in Schweden jedoch kein nennenswertes Ergebnis. Der Erfolg der schwedischen Schwesterpartei, die einen Abgeordneten ins Europaparlament schicken konnte, hat aber auch in Deutschland aufhorchen lassen. Dass es mit populistischen Forderungen möglich ist, aus dem Stand fast 20% bei einer deutschen Landtagswahl zu erreichen, hat die Schill-Partei einst in Hamburg bewiesen. Zur Bundestagswahl wird sich zeigen, ob man mit ehrlicher, frischer und witzig gemachter Politik ein vergleichbares Kunststück verwirklichen kann. Ein Erfolg der Piratenpartei liegt trotz der bedrohlichen 5-Prozent-Hürde nicht im Bereich des Unmöglichen. Zuträglich wird den Piraten auch sein, dass sie den einen oder anderen Protestwähler ins Boot holen dürften, der in den etablierten Parteien keine Alternative sieht.
Die anderen Parteien jedenfalls sind schon gehörig nervös. Die Jugendabteilung der FDP versucht, die Piraten totzuschweigen, die Grünen haben plötzlich die Kulturflatrate im Wahlprogramm stehen und die SPD fühlt sich sogar genötigt, selbst auf Piraten zu machen, indem sie auf ihrer Seite zur Internetpolitik den Totenkopf aufs Parteilogo pappt.
Selbst wenn sie nicht den Bundestag entern sollte – das Verdienst der Piratenpartei besteht schon jetzt darin, dass sie es geschafft hat, politikverdrossene Menschen wieder für das politische Geschehen zu begeistern; wie keine andere Partei schwimmt sie derzeit auf einer Welle der Sympathie. Sei es, weil sie der bisherigen Politik etwas entgegensetzt, sei es, weil sie sich selbst nicht so ernst nimmt – dafür jedoch ihre Ziele, und diese auch noch transparent und glaubwürdig präsentiert.
Es wird spannend, ob es den Seeräubern nun auch noch gelingt, ihre Wählerschaft zu mobilisieren und damit eine Prise frischen Wind in die Politik zu bringen – oder ob der gemeine Internetnutzer nur dann an einer Wahl teilnimmt, wenn er online mit der Maus abstimmen kann.
Quellen und Weiterführendes
Fragenkatalog Kulturflatrate (PDF)
Die Verbände der deutschen Übersetzer, Schriftsteller und Verleger wollten es wissen…Musikpiraten
…die Musikpiraten antwortetenAlle unwählbar
Ein Deutscher in der Schwedischen Piratenpartei beschreibt die AufbruchstimmungRettet den Wald (Video)
Der sachsen-anhaltinische Landesverband der Piratenpartei karikiert den Wahlkampf der Grünen
5 Irrtümer über die Piratenpartei
„Piratenparteien (…) mögen zuweilen schwach, übereifrig oder ungeschickt anmuten, aber die Probleme, die sie ansprechen, sind real“Piraten, Gender und Pragmatik
Felix Neumann über die Überparteilichkeit der Piraten aus philosophischer Sicht
Hi Daniel,
in dem Artikel ist ein kleiner Fehler. Ich bin nicht Vorsitzender der Piratenpartei in Hessen sondern 1. Vorsitzender des Vereins Musikpiraten und Pressesprecher vom Landesverband Hessen.
Und was die „Kollektivstrafe“ angeht, siehst du die sonstigen Pauschalabgaben auch als Strafe an? :)
Christian