Ubuntu als Distribution wirkte in den vergangenen Jahren wie ein Community-Projekt, mit all seinen Vorzügen wie Gratisvertrieb, Werbefreiheit und einer großen enthusiastischen Benutzergemeinde. Doch Ubuntu selbst war von Anfang an ein Produkt eines kommerziellen Unternehmens. Dies zeigt sich nun deutlicher.
Die Überschrift ist selbstverständlich irreführend, denn Ubuntu war noch nie wirklich werbefrei. Der Meilenstein ist jedoch, dass es bisher stets Eigenwerbung war, die dem Benutzer entgegenschlug: Bereits beim Installieren, später dann in der Browserstartseite, in den Menüs – es wurde und wird auf Canonical-Dienste und -Leistungen aufmerksam gemacht, etwa die Ubuntu-Cloud oder auch nur den zukaufbaren Support. Mit der Einführung des Software-Centers tat man den ersten Schritt hin zu mehr Kommerzialität, (auch) Bezahl-Software bekam einen prominenteren Platz eingeräumt, um sich dem Nutzer zu präsentieren. Nun jedoch plant Canonical, Sucherergebnisvorschläge von Amazon bei Benutzung der „Home-Linse“ einzublenden.
Noch ist die Werbung im Installer Eigenwerbung
Es spricht nichts dagegen, Werbung in Ubuntu aufzunehmen. Werbebanner oder Sponsoren im Bootscreen, Desktop-Hintergrundbild, beim Aufrufen der Suche, der Startseite des Browsers oder die auch schon von anderen Distributionen bekannten Verträge mit Suchmaschinenanbietern – warum eigentlich nicht? Canonical war von Beginn an ein kommerzielles Unternehmen, ein Unternehmen, das eine kommerzielle Distribution herausbrachte, die lange Zeit den Luxus hatte, nichtkommerziell zu wirken. Dass sich dies nun ändert, ist für manchen Nutzer sicherlich bedauerlich, doch musste man damit von Anfang an rechnen, für den Fall, dass es Canonical nicht gelingt, bei Unternehmenskunden Marktführer zu werden – was bei der vordergründigen Ausrichtung auf den normalen Nutzer gerade nicht nahelag, selbst wenn Canonical als eine der wenigen großen Anwender-Distributionen auch LTS-Versionen bereitstellt.
Einen faden Beigeschmack bekommt das Ganze lediglich dadurch, wie es Mark Shuttleworth zu verkaufen versucht, dass es sich dabei nämlich nur um integrierte Online-Suchtreffer handeln würde:
„Wir platzieren keine Werbung in Ubuntu.“
Natürlich ist es Werbung, wenn begriffsspezifische Suchmaschinentreffer eines bestimmten Unternehmens zu den Eingaben des Nutzers eingeblendet werden. Bezahlte Werbung, sogar kontextabhängig. Der Versuch, die skeptischen Teile der Community mit einer Umdeklarierung dieses Vorganges bei der Stange zu halten, dürfte somit eher nach hinten losgehen.
Blog von Shuttleworth: für ihn ist es keine Werbung
Fade ist auch, dass es gerade nicht offensichtliche Werbung ist, sondern diese praktisch versteckt durch die Hintertür kommt: Nicht mehr nur „neutrale“ Antworten einer Suchmaschine, sondern auch die Ergebnisse zu den Schlüsselbegriffen von Produkten eines bestimmten Anbieters werden zusätzlich angezeigt. Ausgerechnet dort, wo der Benutzer nicht damit rechnet, bei der Eingabe von Suchbegriffen auf seinem lokalen System mit speziell dazu passenden „Vorschlägen“ konfrontiert zu werden – in der „Home“-Linse. Suggestiver kann Werbung kaum sein und nichts anderes macht etwa Google, wenn man in der Suchmaschine einen Suchbegriff eingibt – das Anzeigen von kontextsensitiver Werbung. Der Unterschied ist: bei Google richtet man die Suchanfrage bewusst direkt an den Suchmaschinenbetreiber – bei der (auch) lokalen ubuntuueigenen Suche nicht zwangsläufig, sondern sucht evtl. nach privaten Dingen auf der Festplatte.
Dem deutschen Datenschutz dürfte es auch nicht genügen: die Daten werden in diesem Fall laut Aussage Shuttleworth’ zwar nicht direkt an Amazon übertragen – nur an Canonical selbst. Das spielt aber keine Rolle, ohne vorherige Einwilligung des Nutzers ist auch dies problematisch – es ist daher anzunehmen, dass die Lizenzbedingungen beim Installieren von Ubuntu entsprechend angepasst werden.
Pragmatisch betrachtet ist es tatsächlich jedoch eher ein Sturm im Wasserglas. Die Anzeige von Werbetreffern wird sich abschalten lassen können, und es betrifft zunächst auch nur Unity – in anderen Desktops bleibt man von derlei Anpassungen bisweilen verschont. Und wer z.B. GMail über das Webinterface nutzt, dürfte eigentlich auch nichts gegen die Umsetzung Canonicals haben. Aber Ubuntu verliert Reputation, wenn es den Nutzer mit Werbung gängelt, von der er auf anderen Systemen verschont bleibt.
Die Community, die bislang ein erstklassiges Linux ohne allzuviel Kommerz in Ubuntu erblickt hat, muss nun allmählich umdenken. Es scheint, als habe Ubuntu eine Verbreitung erreicht und sich auf eine Zielgruppe festgelegt, so dass man schlimmstenfalls das Vergraulen der strikt antikommerziell ausgerichteten Teile der Fan-Basis riskieren kann. Ubuntu soll sich irgendwann selbst tragen können, und nicht mehr von der Spendabilität seines Gründers Shuttleworth abhängig sein. Das wird ohne weitere Werbung und Kooperationen jedoch kaum möglich sein, der nun eingeschlagene Weg von Ubuntu wird sich fortsetzen.
Für all jene, die sich mit der zu erwartenden zunehmenden, nun auch sichtbaren Kommerzialisierung von Ubuntu nicht anfreunden können, bleibt ein Ausweg. Es gibt Ubuntu weiterhin auch in einer nichtkommerziellen Variante – sie nennt sich „Debian“.