Dieser Tage erzeugte Microsoft gehörig Aufsehen mit der Vorstellung einer ersten Vorschau auf das kommende Windows-8-Betriebssystem. Das Aufsehenerregende dabei ist einerseits, dass die Touchscreentechnik samt Fingergesten nun (womöglich) auch auf dem Desktop-PC Einzug halten soll, andererseits – und das ist die eigentliche Sensation – verschwindet (womöglich) der eigentliche Desktop als Hauptebene des Systems.
Stattdessen rücken wie an einer Litfaßsäule Flächen in den Fokus, die dem Anwender Informationen oder Funktionen offerieren. Optisch und funktional also etwas in der Art, wie es der kommende Opera-Browser mit seiner Speed-Dial-Funktion in neu geöffneten („leeren“) Tabs macht.
Nun muss man Microsoft-Vorschauen stets mit Vorsicht genießen, die Vergangenheit hat gezeigt, dass viele hochtrabende und ambitionierte Ideen aus Entwicklerversionen am Ende dann doch wieder verworfen wurden und es nicht ins fertige Produkt geschafft haben. Auch ist anzunehmen, dass die gezeigten Features nur auf bestimmter Hardware aktiviert werden, der Desktop an sich auf „normalen“ Computern also bleibt, wie gehabt. Denn vor allem die Vorstellung, dass man mit den Händen senkrecht auf dem Schreibtisch-Monitor herumschmieren soll, wäre befremdend. Die Richtung hingegen ist klar, künftige Windowsversionen sollen universal auf diversen Gerätetypen lauffähig sein. Der klassische PC oder das Notebook sind nur noch eines von mehreren Anwendungsbeispielen, Maus und Tastatur werden deswegen aber natürlich nicht abgeschafft.
Bald nur noch Computergeschichte?
Icons auf dem Desktop
Vor allem dürfte auch der klassische Desktop nicht abgeschafft werden, jedoch immer mehr an Bedeutung verlieren. Diesen Bedeutungsverlust sieht man seit Windows XP: Waren Windows 95/98/2000 noch mit diversen Symbolen auf der Arbeitsfläche Standard, kamen XP, Vista und Windows 7 lediglich noch mit einem Papierkorb auf dem Desktop daher. Auch durch die Vorauswahl der Ordnerhierarchie (vorangelegte Order für Videos, Bilder usw.) versuchte man zunehmend, den Nutzern die „schlechte Angewohnheit“, erst einmal alles auf dem Desktop abzulegen, abzugewöhnen. Auch beim Mac wurde immer mehr versucht, den Desktop freizubekommen.
Diese Vorgehensweise hat man bei „Linux“ übernommen: Ein Ubuntu z.B. kommt in Sachen Arbeitsfläche absolut aufgeräumt daher, nicht mal den Mülleimer hat man als Symbol auf dem Desktop. Und auch hier findet man voreingestellte Ordner für Downloads, Mediendateien usw. im Dateimanager.
Dennoch: Die einzige systemübergreifende Konstante ist – der Desktop, mit seinen Programm- und Datei-Symbolen als primäre Zugriffsfläche für den Computer. Das Konzept des Desktops hält sich seit Jahren als praktisches und etabliertes Instrument der Dateiverwaltung auf allen gängigen Betriebssystemen und die meisten Nutzer machen regen Gebrauch hiervon – bislang. Windows 8 könnte das Konzept über den Haufen werfen, und bei Linux ist man sogar schon einen Schritt weiter.
Denn beim „Linuxdesktop“ scheint sich eine Entwicklung in Richtung eines desktoplosen Systems abzuzeichnen. Jedenfalls meinen und meinten Entwickler immer wieder, der Nutzer könne ohne den üblichen Desktop mit den darauf ablegbaren Dateien auskommen. So verzichtet das neue Gnome 3 völlig auf Symbole auf dem Desktop – die „Arbeitsoberfläche“ dient nur noch zur Anzeige eines Hintergrundbildes. Interessanterweise hat man jedoch das Verzeichnis „Desktop“ an sich nicht entfernt. Ubuntus „Unity“ hingegen hat die Desktop-Funktionalität beibehalten; in der Standardeinstellung befinden sich aber auch hier keine Icons auf der Arbeitsfläche.
Auch die ersten Versionen von KDE 4 versuchten, den klassischen Desktop abzuschaffen (nur die auch jetzt noch standardmäßig voreingestellten Ordneransichten ohne freie Positioniermöglichkeiten von Icons waren möglich), die heute wieder vorhandene Desktop-Ansicht kam optional erst später wieder hinzu. XFCE ging einen umgekehrten Weg: Lange Zeit bestand XFCE nur aus Panel und Fenstermanager. Erst seit Version 4 ließen sich Dateien auf dem Desktop ablegen. LXDE wiederum setzte von Beginn an auf den Desktop mit Dateien. Fenstermanager wie Fluxbox, IceWM oder Openbox ohne eigenes Dateimanagement haben sowieso keinen – wer hier einen Desktop will, muss basteln.
Nun stellt sich die Frage: ist der Weg von Gnome (oder evtl. dem künftigen Windows) wegweisend, den bisherigen Arbeits-PC auch funktional in etwas wie ein Handydisplay zu verwandeln – oder befindet man sich damit auf einem Irrweg? Die Daten sind ohnehin in der „Cloud“ oder dem USB-Stift. Braucht der Nutzer also überhaupt noch einen klassischen Desktop mit Dateien und Startern oder gibt es passablere Lösungen, die die Arbeitsfläche überflüssig machen?
Richtig ist, dass der Desktop während der PC-Nutzung die meiste Zeit verdeckt ist – vollständig oder teilweise mit den Fenstern der Programme, mit denen man eigentlich arbeitet. Den freien Desktop sieht man eigentlich nur direkt nach dem Einschalten. Für dieses Problem haben die verschiedenen Systeme den Desktop-anzeigen-Button erfunden. Dieser minimiert bekanntlich alle verdeckenden Fenster auf einmal und gibt die Sicht auf den Desktop frei. Doch ist das nicht nur eine Notlösung, ein Workaround für eine schlechte Designphilosophie? Es gibt eigentlich keinen Vorteil, den Desktop anzuzeigen, um an die darauf liegenden Dateien zu gelangen, anstatt einfach das Desktop-Verzeichnis im Dateimanager aufzurufen. Letzteres macht nur niemand. Sollte man die Nutzer also zu ihrem Glück zwingen, wie es Gnome nun versucht?
Ein weiterer Punkt ist, dass ein Desktop tatsächlich schnell „zumüllt“. Wird er ständig zum „Parken“ zwecks Späterbearbeitens von Dateien genutzt, geht die ursprüngliche Übersicht schnell verloren, bestimmte Dateien lassen sich auf einem vollen Desktop dann schlechter wiederfinden als etwa im Dateimanager. Allerdings muss bedacht werden, dass auch ein alternatives Verzeichnis, das man anstelle des Desktops zum Sammeln von aktuellen Dateien nutzen würde, ebenso schnell anwachsen und unübersichtlich werden würde. Features wie Listen „zuletzt benutzter Dateien“ verdecken das Problem ebenfalls nur. Der Desktop erinnert einen quasi ans Aufräumen, erzwingt es sogar, wenn die Übersichtlichkeit nicht völlig verlorengehen und die Arbeitsfläche überlaufen soll. Ein schlichtes Verzeichnis, das anstelle des Desktops zur temporären Dateiablage genutzt wird, füllt sich deutlich unauffälliger.
Der einzige wirkliche Vorteil, den der klassische Desktop bietet, ist das freie Positionieren von Dateien auf der gesamten Bildschirmfläche. Manchmal ist es einfach praktisch, Dateien in Grüppchen zusammenschieben zu können während des Arbeitens oder Sortierens. Der Windows-Desktop bietet dies, auch der KDE-Desktop und das bisherige Gnome 2. Die LXDE-Arbeitsfläche wird es demnächst können, bei XFCE lassen sich die Desktopsymbole hingegen nur grob gerastert verschieben. Doch auch hier kommt wieder ein Aber: Auch einige Dateimanager ermöglichen das freie Positionieren, z.B. Nautilus und der Windows-Explorer. Dolphin, Thunar und PcmanFM können es hingegen nicht, hier ist der Desktop die einzige Möglichkeit zum Dateienjonglieren.
Davon abgesehen bleibt für den Desktop noch der Vorteil, dass man seine aktuell zu bearbeitenden Dateien auf den ersten Blick bei Hochfahren des Rechners sieht (falls man nicht mit Sitzungen arbeitet) – oder eben auch nicht, wenn zu viele davon den Desktop verstopfen. Unterm Strich spricht für das Vorhandensein der Dateimanagementfunktionen auf dem Desktop also nichts wirklich Überzeugendes, es gibt keinen Punkt, den der Dateimanager nicht auch zufriedenstellend übernehmen könnte. Sind Icons auf dem Desktop also wirklich nur eine schlechte Angewohnheit? Jeder kann es selbst ausprobieren: Entweder gleich Gnome 3 nutzen – oder die Desktopsymbole bei KDE, XFCE, Windows usw. einfach testweise einmal abschalten. Und beobachten, ob und wie sich die eigene Arbeitsweise verändert.