Die Kollegen von Virtualpixel beklagten neulich die mangelnde Verfügbarkeit von funktionierenden Programmen unter Linux. Eine Antwort.
Ich finde Windows toll. Man muss sich nicht mehr für eine von Dutzenden Oberflächen entscheiden, sondern bekommt eine schöne Startleiste, schicke Symbole auf dem Desktop und kann sogar ein paar Einstellungen vornehmen.
Aber die ganzen netten Programme … ich würde sogar dafür bezahlen, dass mir jemand die unter Linux verfügbaren Sachen gescheit unter Windows anbietet … doch die lachen alle nur und entwickeln stur für Linux weiter.
Warum stürzt Evolution unter Windows immer ab und wieso gibt‘s das nichtmal in ‘ner aktuellen Version? Wieso sieht Geany unter Linux besser aus? Wieso laufen die ganzen Terminalprogramme da nicht? Warum muss ich für virtuelle Desktops ein Extra-Programm installieren? Wieso muss ich Zusatzprogramme kaufen, wenn ich ein anderes Theme möchte?
Wieso muss ich für das Office mehr bezahlen, als das ganze Betriebssystem kostet? Und wieso muss ich erst zweimal bei Microsoft anrufen, um sowohl das Office als auch das System überhaupt benutzen zu können?
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Ernsthafter: Als Linux vor ein paar Jahren allmählich desktoptauglich wurde (genau genommen in dem Moment, als es mit OpenOffice eine ernstzunehmende Bürosoftware gab und der Mozilla-Browser auch für Linux entwickelt wurde), war man froh über jedes Programm, das eine Funktionalität übernahm, die man auch von Windows-Programmen kannte. Vor allem KDE leistete hier Pionierarbeit.
Inzwischen ist es oft umgekehrt. Man ist froh, dass man viele nützliche oder gar alternativlose Programme aus der Linuxwelt mittlerweile auch unter Windows nutzen kann – und das ohne Lizenzkosten (so mancher z.B. hält OpenOffice heute ja sogar für eine Linux-Erfindung, die es nun auch für Windows gibt): GIMP, Pidgin, Geany, Sylpheed, Claws-Mail, Gedit, Evolution, Abiword, NVU/Kompozer, Evince, Scribus. Nicht zu vergessen auch Safari und alle Webkit-Klone einschließlich Google Chrome, die ohne Vorarbeit von KDE wohl kaum das Laufen gelernt hätten.
Das hat kurioserweise dazu geführt, dass man heutzutage fast jede Aufgabe unter Windows auch mit GPL-Software erledigen kann, wenn man es darauf anlegt.
Auf der anderen Seite stimmt die Kritik natürlich: viele Windows-Programme, vor allem die populären, großen, kommerziellen, gibt es nicht für Linux, was angesichts des Nischendaseins von Linux auf dem Desktop aber auch nicht verwundern darf. Aufwand und Nachfrage stünden in keinem akzeptablen Verhältnis, gerade auch weil die Linux-Community für die meisten kommerziellen Programme Alternativen bereithält. Das hat auch die Vergangenheit gezeigt: Corel WordPerfect gab es z.B. schon einmal für Linux, wurde aber wieder aufgegeben.
Optimisten hoffen weiterhin, dass sich das irgendwann in naher Zukunft einmal ändern wird – und Ansätze wie die von Ubuntu mit dem „Software-Center“ bieten vielversprechende Voraussetzungen für eine Entwicklung in diese Richtung. Wirklich ändern dürfte sich in dieser Hinsicht jedoch erst etwas, wenn Linux tatsächlich eine größere Verbreitung findet. Ob das realistisch ist, ist jedoch eine andere Frage.
Doch wenn man Windows-Programme möchte oder benötigt, dann ist Linux derzeit leider tatsächlich immer noch eine schlechte Wahl, außer man tut sich Basteleien mit Wine an. Wer eigentlich ein „freies Windows“ will, sollte ReactOS in ein paar Jahren eine Chance geben, statt zu beklagen, dass es Programm X oder P nicht für Linux gibt. Wenn man jedoch die Zeit und Bereitschaft aufbringt, sich ggf. mit Alternativen anzufreunden (sofern möglich oder nötig), dann ist Linux auch für den nichtprogrammierenden Anwender ein regelrechtes Computerparadies: das komplette System inklusive riesigem Programmpool gibt es fast immer kostenlos – und das sogar noch von Dutzenden „Herstellern“ und in verschiedenen „Geschmacksrichtungen“; für Einsteiger, Fortgeschrittene, Privatnutzer, Firmen, Server, Desktop, alte oder neue, kleine oder große Rechner.