Das Unity der 90er Jahre – Window Maker im Test

24. September 2014

Als eine der Reaktionen auf die Veröffentlichung des Desktop Choosers kam der Hinweis, dass Window Maker fehlen würde. Window Maker? Gibt es den wirklich noch? Tatsächlich. Und er sieht immer noch so aus wie vor vielen Jahren. Und wie zum Hohn wird ausgerechnet der am traditionellsten wirkende Fenstermanager am aktivsten betreut. Während bei IceWM, Openbox oder Fluxbox nicht mehr viel los zu sein scheint, ist Window Maker gerade mal wieder in einer neuen Version erschienen.

Die Mac-OS-X-Bedienphilosophie erfreut sich auch unter Linuxanwendern einiger Beliebtheit, davon zeugt etwa die Nachfrage nach Dock-Nachbauten wie Docky, wbar oder GLX-Dock (vormals Cairo-Dock). Das bei opendesktop.org am häufigsten heruntergeladene Theme ist eine Aqua-Imitation. Mac-Stil ist auch bei Linux populär, spätestens seit Ubuntus Unity und die Gnome-Shell standardmäßig ebenfalls auf ein Dock als Panel setzen. Dabei schlummert die Mac-Philosophie schon länger in den Tiefen der Linux-Oberflächen: bei Window Maker.

Das Apple-Vorbild

Window Maker ist als Nachbau der Oberfläche von „NeXTStep“ konzipiert, ein System, das Apple kaufte und als Grundlage für die Entwicklung des späteren Mac OS X nahm. Aqua-Feeling kommt mit Window Maker daher nicht auf, da es älter ist als OS X, aber die typischen Bedienmuster, die man auch heute noch beim Mac findet, sind unübersehbar vorhanden. Das Dock, das laufende Anwendungen und Programmstarter vereint, und die Mac-artige Fensterverwaltung gibt es auch bei Window Maker.

Window Maker hat sich in den nunmehr 17 Jahren seines Bestehens nicht wesentlich verändert, aber es ist nach einer Durststrecke vor einigen Jahren wieder in aktiver Entwicklung. Die aktuelle Version ist gerade einmal vier Wochen alt. Auf die Windows-Welt übertragen wäre es ein Windows95, das immer noch gepflegt wird. Wie aus dieser Zeit gefallen sieht Window Maker in der Tat auch aus. Die Fensterelemente sind kastig, dunkelgrau und zeigen die übertrieben plastische Gestaltung der 90er Jahre, mit starken imitierten Schatten und Erhebungen. Die Fensterleiste kommt mit zwei Knöpfen aus, für Schließen und Minimieren, und wirkt ebenfalls schlicht-archaisch.


Window-Maker-Desktop mit Dock und geöffneten Einstellungen

Die Oberfläche strahlt etwas sehr Eigenes, Linux- bzw. Unix-Artiges aus, es ist einmal kein Abklatsch von Windows oder Mac, und auch kein CDE, die einst mit Unix oft verwendete Oberfläche, an der sich KDE oder XFCE orientiert haben. Als einziger der für Linux verfügbaren reinen Fenstermanager hat Window Maker ein eigenes Kontrollzentrum an Bord, mit dem sich nahezu alle Einstellungen auch graphisch mit der Maus erledigen lassen. Textkonfigurationsverwöhnte können die Einstellungen natürlich ebenso in Textdateien vornehmen.

Das Dock

Die Bedienung ist schnell erklärt: Jede gestartete Anwendung erzeugt ein Kästchen auf dem Desktop, das an den Rand an das Dock-Symbol geschoben werden und so im Dock verankert werden kann. Durch das Verankern bleiben sie auch nach dem Schließen dauerhaft sichtbar. Laufende Anwendungen erkennt man am Fehlen der 3 Pünktchen bzw. an vergrößerten Symbolen. Die gerade im Fokus befindliche Anwendung wird aufgehellt dargestellt. Das Dock erscheint zunächst nur als einzelnes Feld, nämlich das mit dem Treppenstufen-Symbol (das Logo von GNUstep). An dieses Icon lassen sich alle anderen “andocken”. Ein Doppelklick darauf öffnet zudem die Einstellungen. Ein Klick auf die Kästchen bringt alle Fenster einer laufenden Anwendungen in den Vordergrund. Klicken bei gedrückter Strg-Taste öffnet ein neues Fenster der bereits laufenden Anwendung. Minimierte Fenster werden als zusätzliche Kacheln auf dem Desktop abgelegt. Desktop-Icons für Dateien kennt Window Maker ansonsten nicht.

Anders als beim Mac ist das Dock also zunächst „unsichtbar“, es wirkt optisch wie eine Ansammlung von Anwendungs-Quadraten. Neben- oder untereinander angeordnet bilden die vielen Kästchen schließlich das gemeinsame Dock. Im Gegensatz zu anderen bekannten Docks kann ein Quadrat nicht nur Programmstarter aufnehmen, sondern auch komplette Anwendungen. Somit können im Dock Programme ablaufen. Dazu zählen etwa Kalender, Uhren oder etwa Systemmonitore. Window Maker bot damit also bereits eine Art Widget- bzw. App-Container an, lange bevor diese Schlagworte allgemein bekannt wurden oder Desktops wie KDE sie zum festen Bestandteil der eigenen Oberfläche machten. Die ursprünglichen sogenannten „Dock-Apps“ sind unter Linux jedoch stark in Vergessenheit geraten, neben Window Maker werden sie z.B. auch von Fluxbox und Openbox noch unterstützt.


Beispiel für ein Dock-App: Der Systemmonitor Bubblemon, der die CPU-Auslastung als Wasserstand darstellt – plus Quietscheentchen.

Abseits des Docks verhält sich Window Maker wie ein typischer Fenstermanager auch. Das Hauptmenü liegt auf der rechten Maustaste, wird über den Desktop oder auch ein Tastenkürzel erreicht und kann beliebig editiert werden – auch graphisch, indem neue Elemente während geöffneter Einstellungen einfach hineingeschoben werden. Auch eine arbeitsflächenübergreifende Fensterliste gibt es selbstverständlich.

Die Fensterverwaltung ist ebenfalls Mac-artig: Maximieren führt in der Regel nicht zu einem bildschirmfüllenden Fenster, sondern das Programm vergrößert sich nur relativ entsprechend des freien Platzes in der Breite. Wer ein Fenster tatsächlich in Fast-Vollbild möchte, muss es sich selbst entsprechend zurechtziehen. Nur eine globale Menüleiste, die gibt es nicht, denn als reiner Fenstermanager überlässt Window Maker das Befüllen der Fenster den eigentlichen Anwendungen – die können in diesem Fall von KDE, Gnome oder sonstwoher stammen. Bei Verwendung eines Themes wie z.B. Qtcurve bekommen sie auf Wunsch auch ein einheitliches Erscheinungsbild.

Einige Besonderheiten gibt es jedoch auch bei Window Maker. So werden Programme im Dock standardmäßig mit Doppelklick ausgewählt, den Einfachklick wie ansonsten üblich kann man im letzen Reiter der Einstellungen aktivieren. Eigene Tastenkürzel erstellt man Windows-like im Bereich der Anwendungsmenükonfiguration, nicht in den Tastenkürzel-Einstellungen. In letzteren werden nur die vorgegebenen Kürzel zur Fensterverwaltung geändert.

Arbeiten mit Window Maker

Window Maker besticht durch die Simplizität der Bedienweise, ohne dabei Einstellungen zu verstecken. Die Gefahr, dass man sich zu viel mit der Oberfläche beschäftigt, besteht aufgrund des relativ starren Konzepts nicht, man kann relativ zügig durchstarten. Das Konzept ist durchdacht, intuitiv, simpel und übersichtlich, nicht ohne Grund wird es Apple zur Grundlage seines Desktop-Betriebssystems gemacht haben. Optisch ist Window Maker eine Mischung aus Retro- und zeitlosem Design. Verschiebt man das Dock vertikal auf die linke Seite, sieht Window Maker zudem frappierend nach Unity aus.

Das Menü von Window Maker

Trotz der spartanisch und kantig wirkenden Oberfläche gibt es eine Menge pfiffige Funktionen zu entdecken. Wer keine Desktop-Icons braucht, findet hier einen schnellen und stabilen Fenstermanager, der sich bei der Fensterverwaltung stark wie Mac anfühlt – und eine gehörige Portion Charme mitbringt. Mit Window Maker erhält man einen flinken Fenstermanager, der bei gefülltem Dock etwas bunter daherkommt als die schnörkellosere Konkurrenz, bei dem man auf die typischen Fenstermanagervorteile aber nicht verzichten muss. Window Maker versöhnt Fenstermanager-Minimalismus mit Mausbedienung.

Auf Neulinge wirkt Window Maker zunächst abschreckend und veraltet, ist aber auch für Fenstermanager-Einsteiger aufgrund der graphischen Einstellungen intuitiv zu konfigurieren. Als erfahrenerer Fenstermanager-Fan muss man sich wiederum zunächst daran gewöhnen, dass bei Window Maker sehr viel mit der Maus möglich ist, z.B. das Umbenennen der Menüeinträge durch simplen Doppelklick.

Mit einer moderneren Optik versehen hätte Window Maker die Chance gehabt, das Mac OS der Linuxwelt zu werden – was mit dem Étoilé-Projekt sogar versucht wurde, welches sich nun letztendlich aber für einen anderen Fenstermanager entschieden hat und etwas andere Ziele verfolgt. Window Maker wird daher das bleiben, was es ist: ein schneller, ressourcenschonender Fenstermanager für alle, die Geschwindigkeit, einen guten Schuss Retro und dabei komfortable Bedienung zu schätzen wissen und etwas Extravaganteres suchen, als es die Platzhirsche KDE, Gnome & Co. bieten.


aus der Kategorie: / Tests /

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Kommentare

Schade, dass étoilé so unbekannt ist, quasi der Nachbau eines NeXT-Nachbaus mit noch deutlicheren OSX-Anleihen. Allerdings läuft die Entwicklung dort, freundlich ausgedrückt, anscheinend wesentlich behäbiger.

Als einziger der für Linux verfügbaren reinen Fenstermanager hat Window Maker ein eigenes Kontrollzentrum an Bord

Was ist mit enlightenment? Und hat Openbox mit obconf (optional) nicht auch so was?

tux. · 24. September 2014, 14:25

Verschiebt man das Dock vertikal auf die linke Seite, sieht Window Maker zudem frappierend nach Unity aus.

Andersrum. ;-)

tux. · 24. September 2014, 14:29

Wer die aktuelle Version von Window Maker einfach mal ausprobieren möchte, kann das mit einem Live-System auf Basis von Debian Stable tun. Die aktuelle Version dieser Distribution ist tatsächlich auch erst ein paar Tage alt. Siehe: Window Maker Live

Interessant dass immer noch aktiv daran entwickelt wird. Wie aber schon in diesem schönen Artikel festgehalten, fehlt es einfach an einer optisch ansprechenderen bzw. zeitgemäßeren Präsentation des Projekts um eine Anwenderschaft wirklich anzusprechen. Das Schreiben eigener Themes scheint ziemlich simple zu sein. Sieht man sich bspw. ShikiBlack oder Porcelaine an, scheint Potential durchaus vorhanden. Selbst die DockApps ließen sich mit ein wenig Pixelschubsen auf eine einheitliche Darstellung anpassen. Vielleicht eine unterhaltsame Beschäftigung für das kommende Wochenende ;)

Sehr gelungener Artikel, Danke dafür!

— postlet · 24. September 2014, 15:30

Was ist mit enlightenment? Und hat Openbox mit obconf (optional) nicht auch so was?
Enlightenment darf inzwischen schon durchaus zu den Desktopumgebungen gezählt werden, er macht etwas mehr als nur Fenster zu verwalten.

Grraphische Einstellungen gibt es in der Tat auch für Openbox, aber Obconf ist eben nicht fest in Openbox integriert und wird auch nicht zwangsläufig gemeinsam mit Openbox installiert. Vor allem aber ist das Tool kein vollwertiges Kontrollzentrum, meist benutzt man es ja nur, um das Theme zu ändern. Menüs lassen sich z.B. damit nicht editieren und auch keine Tastenkürzel festlegen oder Fensterregeln erstellen. Es sind eher einige wenige graphische Einstellungen, ergänzend zur Textdatei-Konfiguration, ähnlich wie es auch Fluxbox partiell mit seinen Einstellungs-Menüs bietet. Auch da würde ich aber noch nicht von Kontrollzentrum sprechen. Um Openbox auszureizen, kommt man um die Beschäftigung mit den Textdateien nicht herum, das ist bei Window Maker anders. Da muss man bei Bedarf allenfalls die Autostart-Datei textbasiert einrichten.

Pinguinzubehör · 24. September 2014, 20:56

fehlt es einfach an einer optisch ansprechenderen bzw. zeitgemäßeren Präsentation des Projekts um eine Anwenderschaft wirklich anzusprechen.
Window Maker sollte und wollte immer ein Nextstep-Nachbau sein, und das schafft er ziemlich gut. Würde er sich mehr in Richtung Mac entwickeln, würde er das historische Erbe aufgeben – und wahrscheinlich die Retro/Nextstep-Fans, seine eigentliche Zielgruppe, verprellen. Ein Re-Design ist daher kaum zu erwarten. Sieht man auch schön an der Window-Maker-Live-Distribution, da werden sogar die GTK-Anwendungen in Nextstep-Look getaucht. Theming ist wirklich relativ simpel, aber es beschränkt sich hauptsächlich auf Farbverläufe, Hintergrundbilder und den Austausch von Symbolen. Die gewollt klobigen Grundstrukturen bekommt man mit Themes kaum weg, sie lassen sich höchstens kaschieren. Um einen Mac-Klon zu kreieren, müssen wohl andere ran, und das tun sie ja auch, eben bei Étoilé oder z.B. elementaryOS. Window Maker bleibt etwas für Retro-Fans. Bevor man Window Maker in etwas Mac-Artigeres umstylt, dürfte es einfacher sein, einfach Openbox o.ä. mit einem Panel auszustatten; selbst das wirkt dann moderner. Diese Nische wird außerdem bereits von Enlightenment besetzt – das wäre einen Blick wert, wenn einem Window Maker zu altbacken ist, man aber eine ähnlich strukturierte und flotte Umgebung sucht.

Pinguinzubehör · 24. September 2014, 21:27

So jetzt habe ich diesen Blog in meinem Feedreader drin.
Der Artikel ist sehr gelungen, dankeschön dafür.
Ich hoffe wmaker bleibt wie er ist, ganz grundsätzlich gesehen also ganz Nextstep like halt. :-)
Wenn es das Projekt étoilé ins Debianrepo schafft, werde ich es mir auf jedenfall ansehen.
Das einzige was ich derzeit wirklich vermisse ist wmakerconf, weil es einfach besser organisiert ist etwas flexibler und noch einfacher als WPrefs. Und nicht zu vergessen das wterm, aber das werden wohl nur die wenigsten kennen.
Und hier gibt es für interessierte noch einen Wiki-Artikel: https://wiki.debianforum.de/Wmaker
Noch ein Paar Screenshots:
https://gallery.debianforum.de/screenshots/wmaker-mac
https://gallery.debianforum.de/screenshots/wmaker-funare
Passend zum wmaker der wdm:
https://gallery.debianforum.de/screenshots/wdm2

— wmakerfan · 23. Oktober 2014, 16:01

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