Ubuntu wird als Oberfläche künftig nicht mehr GNOME, sondern die Eigenentwicklung “Unity” einsetzen – diese Nachricht schlug in der Linuxwelt und darüber hinaus wie eine Bombe ein. Im Nachhinein betrachtet nimmt sich dagegen der Katzenjammer, als die Fenster-Buttons in Ubuntu 10.04 nach links wanderten, recht lächerlich aus.
Das wirklich Schöne an Ubuntu ist, dass es nie langweilig wird. Früher oder später kommt wieder ein kleinerer oder größerer Umbruch, der mit alten Gewohnheiten bricht. Das Brechen von Gewohnheiten war von Beginn an Teil der Philosophie Ubuntus. Kaum eine andere Distribution hat sich so konsequent getraut, alles anders zu machen als die anderen.
Statt auf das damals funktionell überlegene KDE 3 zu setzen, wurde GNOME als Standarddesktop gewählt, anstelle der typischen Computerfarben Blau und Grau kam braun-orange zum Einsatz, in jüngster Zeit wanderten die Fenster-Buttons von rechts nach links, Violett und Orange wurden die bestimmenden Farben. Es gab nie eine Trennung in Privat- und Unternehmensdistribution, dafür offizielle Derivate (Kubuntu, Xubuntu, Edubuntu), ausgerichtet nach verschiedenen Oberflächen und auf unterschiedliche Einsatzzwecke.
“Anders machen” ist bei Ubuntu also Prinzip und vielleicht sogar das Geheimnis seines Erfolges. Ubuntu traut sich weiterhin, “etwas anders zu machen”. Nichts anderes kann man daher von Mark Shuttleworth und Canonical erwarten – dass immer wieder Änderungen ins Haus stehen, mit denen keiner gerechnet hat oder die zunächst nicht populär sind.
Paradoxerweise hat sich Ubuntu mit diesem Prinzip zur populärsten Linuxdistribution entwickelt. Doch ausgerechnet das will Ubuntu gar nicht sein: Ubuntu hat stets Wert darauf gelegt, als “Ubuntu” aufzutreten, nicht etwa als “Ubuntu-Linux”.
Auf der gesamten Startseite der Webpräsenz von Ubuntu taucht nicht ein einziges Mal das Wörtchen Linux auf
Da erscheint es folgerichtig, dass sich Ubuntu noch weiter von den übrigen Distributionen entfernt und konsequenter auf Eigenentwicklungen setzt. Zumindest oberflächlich wird Ubuntu mit dem Einsatz von Unity zu etwas sehr Eigenständigem werden, denn dass andere Distributionen ebenfalls Unity verwenden werden, darf bezweifelt werden. Fedora/Red Hat ist stark in die Gnome-Shell-Entwicklung involviert, Opensuse/Novell setzt bei Gnome traditionell auf das SLAB-Menü (das GNOME Main Menu) – und Debian lässt dem Nutzer sowieso die Wahl.
Auch wer Kontinuität erwartet, ist bei Ubuntu an der falschen Adresse, Ubuntu war stets experimentier- und wechselfreudig. Kontinuität kam allein durch den Umstand, dass sich der als Nutzerschnittstelle verwendete GNOME-Desktop an sich relativ langsam und kontinuierlich weiterentwickelte.
Für das GNOME-Projekt bedeutet dies einen Schuss vor den Bug, wenn eine der wichtigsten Distributionen sich von dem Desktop und seinen (geplanten) Konzepten lossagt. GNOME, das gerade Ubuntu einen beträchtlichen Verbreitungsgrad verdankt, wird dadurch faktisch abgewertet.
Interessant ist vor allem auch manche Reaktion der Nutzergemeinschaft auf die Pläne Ubuntus. Bislang wurde GNOME – trotz mancher Schwächen – auf Biegen und Brechen verteidigt. Schließlich war es ja die Oberfläche von Ubuntu. Nun, da Ubuntu sich neuorientiert, ist GNOME auf einmal schon immer “veraltet, unflexibel, schlecht, augenkrebsverursachend, Schrott” gewesen. Fähnchen, Wind.
Eingefleischte GNOMEler dürften dennoch enttäuscht sein, dass “ihr” Desktop in “ihrer” Distri in Zukunft nur noch in der zweiten Reihe sitzen wird. Mit Sicherheit wird man den GNOME-Desktop noch parallel installieren können, vielleicht wird es sogar ein “Gubuntu” geben, wie viele spekulieren, doch der Standard wird es nicht mehr sein. Ein kleiner Trost ist, dass es das bisherige GNOME, wie man es kennt, mit dem kommenden GNOME 3 und der “GNOME-Shell” sowieso nicht mehr geben wird.
Allerdings stellt sich dann die Frage, wieso man noch zu Ubuntu greifen sollte, wenn man ohnehin lieber ein Original-GNOME einsetzen möchte. Hier zeigt sich nun die Stärke von Linux, nämlich seine Vielfalt. Macht eine Distribution Murks bzw. ist man mit der eingeschlagenen Richtung nicht mehr zufrieden, stehen einem Wechsel keine großen Hürden im Weg; die nächste Distribution wartet schon darauf, ausprobiert zu werden. Der Nutzer kann ohne große Schwierigkeiten ein “anderes Linux” nutzen, er muss sich weder stark umgewöhnen noch umlernen. GNOME, KDE oder was auch immer stehen bei den größeren Distributionen überall in ähnlicher Form bereit und auch bei der Systemverwaltung des eigentlichen Linux unterscheiden sich die Werkzeuge nicht großartig voneinander. Wer bisher mit Ubuntu zurechtkam, schafft auch problemlos den Umgang mit einem “Suse”, “Fedora” oder einer anderen der verbreiteteren Distributionen. Denn trotz poliertem Design und großer Fangemeinde – ein Ubuntu ist im Kern eben auch nur ein gewöhnliches Linux.
Bestimmt wird es Ubuntu mit Unity gelingen, wieder viele neue Nutzer für sich – und damit auch für Linux – zu begeistern. Doch ob auch die bisherige _Comm_unity diesen Schritt mitgeht, wird die Zeit zeigen.