Firefox entwickelt sich langsam aber sicher zum Google-Chrome-Kopierverein. Diesen Eindruck erhält man, wenn man die derzeitige Entwicklung und die künftigen Pläne verfolgt. Schnellere, feste Release-Zyklen, Abschaffung der sichtbaren Versionsnummern, ähnliches Design. Der interessante Unterschied ist: bei Googles Browser scheint es „cool“ zu sein, bei Firefox zu nerven.
Über den Verdacht, gegen seine eigenen Anwender zu entwickeln, war Firefox bislang erhaben, selbst wenn in der Vergangenheit und auch aktuell fragwürdige Dinge passierten und passieren. Doch so groß wie in diesen Tagen war der Aufschrei noch nie. „Unseriös“ oder „idiotisch“ sind noch die harmloseren Bezeichnungen, die hierbei fallen.
Worum geht es? Hauptkritikpunkt ist der neue Veröffentlichungsrythmus und die damit verbundene Abschaffung von Unterversionen. Jeder Firefox eine neue Hauptversion, so ist die aktuelle Situation. Obwohl seit Firefox 4 nun derart verfahren wird, sind die Medien bei der Veröffentlichung von Firefox 6 erneut regelrecht auf diesen „Trick“ hereingefallen. Die Mehrheit der Meldungen wunderte sich, dass es praktisch gar nichts Neues im neuen Firefox gebe. Kein Wunder, handelt es sich bei Firefox 6 nach traditioneller Zählweise doch eher um eine Art Firefox 4.0.3.
Exemplarisch sei hier „Bild Online“ genannt, die Mozilla mit gewohnt exzessiver Verwendung von Ausrufezeichen vorwirft, dass aufregende Neuerungen ausgeblieben wären, und sogar in die Irre führt, indem behauptet wird, Add-ons blieben bei einem Update erhalten. Das stimmt zwar – nur funktionieren sie nach einem Update eben meist nicht mehr. Genau hier liegt das Problem. Durch die neue rasante Versionierung und die damit einhergehende Abschaffung von „Service-Updates“, hat man jedes Mal nach nur 45 Tagen eine völlig neue Firefox-Version – mit jedes Mal wieder inkompatiblen Erweiterungen oder gar entfallenen Funktionen.
Die nunmehr aufgekommene Idee, künftig die Versionsnummern vor dem Nutzer zu verstecken, wird dabei als Versuch wahrgenommen, dieses Problem der Inkompatibilitäten durch zu häufige Major-Release-Veröffentlichungen zu kaschieren – und letztlich den Erstellern der Add-ons den Schwarzen Peter zuzuschieben. Doch vermeintlich unwichtige Informationen vor dem Benutzer zu verstecken, das kommt gar nicht gut an.
Vorbild Google-Browser: die Versionsnummer spielt hier keine Rolle, weder Downloadseite noch Installationsdatei verraten das Release
Bislang noch nicht versteckt: Versionsnummern bei Firefox sind erkennbar
Nun werden die Rufe insbesondere im Linuxlager nach einem Fork, nach Unabhängigkeit von Mozilla, nach einem „eigenen Linuxbrowser“ laut. Sicherlich wird Firefox als der Linuxbrowser wahrgenommen, doch „den“ Linuxbrowser kann es institutionell gesehen natürlich nicht geben, da es „das“ Linux nicht gibt. „Die“ Linuxbrowser hingegen existieren längst: Konqueror (KDE), Epiphany (Gnome) und Midori (XFCE). Die Situation ist damit lustigerweise fast dieselbe wie unter Windows: das System bringt einen Standardbrowser mit, aber niemand benutzt diesen freiwillig. Flugs werden entweder Firefox, Chrome/Chromium oder Opera nachinstalliert.
Und mit „Iceweasel“ gibt es zumindest bei Debian auch bereits einen Fork von Firefox, einen reinen „Linux-Firefox“, wenn man so will. Inzwischen muss man sagen, dass Debian damals in weiser Voraussicht gehandelt hat, denn nun ist man hier unabhängig von den Eskapaden Mozillas und kann für seine Anwender auch längere Supportzeiträume garantieren als lediglich lächerliche anderthalb Monate.
Ob sich Mozilla mit dem neuen Versionsschema viele neue Freunde macht, bleibt abzuwarten, derzeit sieht es eher so aus, als würde man die bereits gewonnene Anwenderschaft vergraulen.
PS. Auf Knetfeder.de verzichten wir auf eine spezifische Firefox-6-Rezension, da die Veränderungen tatsächlich nur minimal ausfallen; der bisherige Artikel zu Firefox 4 ist weiterhin aktuell. Stattdessen ist ein ausführlicher Bericht zu den Problemen mit der neuen Mozilla-Releasepolitik erschienen.
Disclosure: Der Autor ist Initiator des alternativen deutschen Sprachpakets für Firefox.