Was macht man, wenn ein neues Desktop-System zum Standard wird, das bisherige ablöst, aber man das alte lieber nicht aufgeben möchte? Man benutzt es einfach weiter. Während man sich auf proprietären Systemen irgendwann zwangsläufig von Gewohntem trennen oder sich Alternativen suchen muss, sorgt die Open-Source-Gemeinschaft dafür, dass auch (technisch) überholte Systeme weiterhin sicher und produktiv auf aktuellen Linuxversionen eingesetzt werden können.
Der Vorteil von Freier Software ist die immanente Freiheit. Für den Anwender bleibt es meist ein theoretischer Vorteil, die Open-Source-Eigenschaft ist politisch wichtig, aber vor allem für Programmierer. Im täglichen Betrieb spielt sie für den Nutzer jedoch keine Rolle. Doch manchmal wird der Vorteil freier Lizenzen und Quelloffenheit von Programmcode auch für den Computernutzer sichtbar.
Denn wo bei proprietären Systemen wie Windows oder Mac OS das Ende der Fahnenstange, d.h. der Verwendbarkeit des Systems erreicht ist, wenn der Hersteller den Support auslaufen lässt, bleibt einem mit Open-Source-Software ein Hintertürchen. Eine einzelne Firma kann das freie Programm nicht einfach aufgeben, es bleibt weiterhin für die Allgemeinheit erhalten. Während etwa Windows XP oder ältere Mac-OS-X-Versionen nicht mehr weiterentwickelt und neue Programme irgendwann dort nicht mehr laufen werden, der Nutzer also genötigt wird, auf neue Systeme umzusteigen, kann der Linux-Nutzer bei seiner liebgewonnenen alten Oberfläche bleiben, wenn er dies möchte.
Voraussetzung ist jedoch, dass sich jemand findet, der den alten Code weiterhin wartet. Wenn ein Projekt ein Produkt aufgibt und nicht mehr weiterentwickelt, können Dritte es einfach übernehmen und in Eigenregie weiterführen. Dieses essentielle Grundprinzip freier Software kommt nun nicht nur einzelnen Programmen, sondern auch den kompletten klassischen Linux-Desktops zugute.
Trinity-Desktop auf Fedora 17: Konqi darf bleiben, KDE wird zu TDE
Genau dies geschieht in letzter Zeit auffällig oft. Während bislang vor allem Projekte an sich geforkt wurden, weil man mit der Entwicklungsrichtung oder den Rahmenbedingungen unzufrieden war (etwa ganze Distributionen), oder Alternativprojekte initiiert wurden (wie zum Beispiel Gnome in Reaktion auf KDE), werden aktuell ältere, von den ursprünglichen Entwicklern aufgegebene Desktopumgebungen schlicht fortgeführt oder imitierende Produkte geschaffen.
Dass vor allem die beiden großen Linux-Desktops, Gnome und KDE, in ihren Vorgängerversionen einfach weitergeführt werden, obwohl technisch weiterentwickelte Nachfolger längst bereitstehen, ist ein bisher nie dagewesener Vorgang in der Linuxwelt. Statt das alte KDE 3 sowie Gnome 2 einfach ruhen zu lassen und sich mit deren Nachfolgern zu arrangieren, haben sich dieses Mal Bewahrer gefunden, die die Umgebungen am Leben und auf aktuellen Distributionen lauffähig halten.
Nur das Marken- und Urheberrecht macht den Desktop-Rettern einen Strich durch die Rechnung, die alten Produktbezeichnungen dürfen nicht übernommen werden. Somit bekommt das Kind einfach einen neuen Namen und neue Logos, lediglich die alte Bezeichnung stirbt, ansonsten kann’s weitergehen wie gewohnt. So wurde aus KDE 3 Trinity bzw. TDE, aus Gnome 2 wurde Mate. Die Anwender können „ihre“ Desktops – unter neuem Namen – nahtlos weiternutzen und müssen nicht auf neue Umgebungen migrieren, wenn sie nicht möchten.
Nautilus heißt nun Caja: Mate-Desktop auf Fedora 17
Großartige Neuerungen darf man bei diesen neuen alten Desktops jedoch nicht erwarten, denn die Zahl der Beteiligten ist im Vergleich zu den Mutterprojekten eher gering, im Grunde starteten solche Legacy-Projekte meist als Ein-Mann-Unternehmung. Die Traditionalisten unter den Desktopanbietern dürften sich daher auf den Erhalt des Status quo konzentrieren. Doch das könnte sich durchaus ändern, auch die heute großen Projekte haben mal klein angefangen. Theoretisch würde es reichen, wenn eine populäre Distribution einmal einen dieser Desktops zum Standard erheben würde – dies würde anzunehmenderweise einen enormen Schub bewirken. Wie es mit Mate und Trinity weitergeht, wird die Zeit zeigen. Derzeit sind sie jedenfalls noch das ideale Auffangbecken für Verächter der neuesten Desktop-Technologien und -Paradigmen, künftig könnten sie vielleicht einmal so etwas wie eine Nische im Desktopmarkt besetzen, vergleichbar mit dem heutigen XFCE oder LXDE. Auf diesem Wege erhält man eine erprobte Oberfläche auf einem modernen Unterbau, ohne Kompromisse beim Funktionsumfang eingehen zu müssen, der ein Wechsel auf etwa einen schlankeren Desktop mit sich bringen würde.
Trinity und Mate beweisen: Altes muss auch im Softwarebereich nicht veralten, wenn es sich bewährt hat und sich weiterhin engagierte Leute finden, die ein Projekt erhalten wollen – selbst wenn es auf veralteter Technik fußt.