Gnome verlässt mit der neuesten Version den vertikalen Sonderweg und packt das „Dock“ wieder an den unteren Bildschirmrand – und schafft damit lustigerweise ganz neue Probleme. Für Frust sorgt nebenbei nicht nur die neue Position des Anwendungsstarters, sondern vor allem, dass selbst nach Wochen viele Gnome-Shell-Erweiterungen nicht mit der aktuellen Gnome-Version funktionieren.
Die Überschrift ist wörtlich zu nehmen. Das neue Gnome 40, das nun allmählich immer mehr Linuxanwendern in ihren Distributionen offeriert wird, ist weniger kantig als die Vorversionen: Die Menüs sind deutlich abgerundeter, und auch die Schaltflächen-Effekte machen nun einen ovalen Eindruck. Es wirkt, als hätten die Gnome-Designer mal wieder etwas sehr Richtung Mac geschielt. Allmählich verwundert es, dass der Fenster-Schließen-Knopf noch nicht auf die linke Seite gewandert ist. Auch die neue „Dock“-Anordnung unterstützt den Mac-Eindruck, denn das Dash hat nun die bisherige vertikale Position am linken Bildschirmrand verlassen und wird im Übersichtsmodus nun standardmäßig horizontal und unten dargestellt.
Euer Ernst?
Dabei drängt sich der Verdacht auf, dass Gnome-Shell-Entwickler selbst gar kein Gnome zu benutzen scheinen – oder zumindest nicht mit einer angeschlossenen Maus. Sonst hätte eigentlich mal auffallen müssen, dass die Mauswege nun ein Fall für den Katastrophenschutz sind.
Da das Dash nur sichtbar wird, wenn man mit der Maus die obere linke Ecke berührt, muss man im ungünstigsten Fall erst ganz nach oben links zielen, um im zweitungünstigsten Fall auf die exakt gegenüberliegende Bildschirmecke zu navigieren, falls sich die gesuchte Anwendung rechts im Dash befindet. Im drittungünstigsten Fall muss man „nur“ von der oberen zur unteren Bildschirmkante fahren. Bei größeren Monitoren kommt da richtig Laune auf.
Diese neuerliche „Ergognomie“ scheint der Maxime zu folgen, wie man Anwender mit minimalstem Aufwand am meisten ärgern kann. Das Dazunehmen der Windows-Taste ist nun praktisch Pflicht, um noch einigermaßen komfortabel häufig genutzte Programme zu starten. Das Ganze wird dadurch erschwert, dass ausgerechnet eine der beliebtesten Erweiterungen, die das Dash-Panel dauerhaft in den Vordergrund zaubert und damit in ein klassisches Dock verwandelt, auch nach Wochen noch nicht für die neue Gnome-Version zur Verfügung steht – denn entscheidende Schnittstellen wurden geändert, so dass die Erweiterung in wesentlichen Punkten für Gnome 40 neu geschrieben werden muss.
Optisch ist es trotzdem ein Gewinn, denn die Panelanordnung entspricht dem Gewohnten von anderen Arbeitsflächen – ausgenommen Ubuntu, hier ist man seit Unity-Zeiten mit der linken, vertikalen Ausrichtung des Docks vertraut.
Zurück zu den Wurzeln bei der Arbeitsflächenrichtung
Die alte vertikale Anordnung in „Aktivitäten“-Knopf-Nähe ergab funktional mehr Sinn, doch mit dem Umbau nach unten kehrt Gnome als kleiner Trost dafür ein wenig zu ganz alten Gnome-Zeiten zurück. Denn die Wechselrichtung der virtuellen Arbeitsflächen hat sich ebenfalls geändert – über die Arbeitsflächen wird nun ebenfalls horizontal statt zuvor vertikal gewechselt. Das entspricht dem alten Verhalten aus Zeiten von Gnome 1 und Gnome 2, so dass nun wie einst wieder mit Strg + Alt + Pfeiltasten nach rechts oder links die nächste Arbeitsfläche ausgewählt werden kann. Bei der Einführung der Gnome-Shell hatte es auch erst einmal für Verwirrung gesorgt, dass man fortan mit Pfeiltasten nach oben und unten wechseln sollte. Das wurde nun zurückgedreht.
Faktische Erweiterungs-Pflicht bleibt das Problem
Auch wenn Gnome nun wieder für grundsätzliche Usabilityentscheidungen gescholten wird – summa summarum ist Gnome gerade durch die Reduktion aufs Wesentliche eine attraktive Arbeitsumgebung, und was an persönlich benötigten Funktionen fehlt, lässt sich über Erweiterungen nachrüsten. Theoretisch jedenfalls. Praktisch funktioniert es nur bis zum nächsten größeren Update, wie das Beispiel Dash to Dock exemplarisch zeigt – und das ist leider kein Einzelfall. Schlagartig ist das Gros der Erweiterungen nach einem Versionssprung meist entfallen. Obwohl die Aktualisierung der Arbeitsumgebung selbst wunderbar durchläuft, funktioniert dadurch hinterher praktisch nichts mehr, wie man es vorher gewohnt war. Jedenfalls, wenn man auch nur eine Handvoll von Erweiterungen installiert hatte.
Dash to Dock ist bislang nicht offiziell verfügbar
Im Falle des Docks, das mit der gewohnten Erweiterungen nun nicht mehr permanent in den Vordergrund zu bringen ist, fällt nun auf einmal wieder auf, dass man bei nativem Gnome ohne Extrahelferlein mit der Maus nicht einmal zwei Programme unmittelbar hintereinander starten kann – denn das Dash verschwindet nach dem ersten Klick auf ein Programmsymbol eben sofort wieder.
Langsam nervts
Und das Spielchen geht bei jedem Update von vorne los, da nur ein Bruchteil der Erweiterungen vom Gnome-Projekt selbst verwaltet und entsprechend rechtzeitig kompatibel gemacht werden. Inzwischen hat sogar Michael Kofler zwischen den Zeilen Mühe, die Contenance zu wahren.
Solange es hier keine vernünftige Kompatibilitätsprüfung und Schnittstellenstabilität bei den Erweiterungen gibt, während Gnome am eigenen Minimalismus ohne Wahlmöglichkeiten für den Anwender festhält, der mehr möchte als die von Gnome stur vorgezeichneten Arbeitsabläufe, solange werden nicht wenige mit Gnome weiterhin nicht wirklich glücklich werden. Wieso das Projekt hier mutwillig an der Zielgruppe vorbeiprogrammiert – es will einem einfach nicht einleuchten. Es ist letztlich einfach nur verschenktes Potential, wenn Nutzer wegen solcher Kleinigkeiten, die jedoch maximal nerven, sich eine andere Desktopumgebung suchen.
Erweiterungen für Gnome 40 lassen auf sich warten
Ebenso unverständlich, dass nicht mehr Distributionen die Lücke füllen und selbst Anpassungen vornehmen – jedenfalls beim Dock. Dabei liefert selbst Fedora – die Communityversion von Gnome-Hauptsponsor Red Hat – kein hundertprozentig reines Gnome aus, sondern patcht z. B. traditionell die von Gnome aus dem Terminal entfernte Hintergrundtransparenz wieder dort hinein. Ubuntu bildet hier bislang eine der wenigen Ausnahmen, allerdings mit dem Haken, dass im Zweifel bei älteren Komponenten verharrt wird, weil neuere Gnome-Bestandteile die gewünschte Funktion nicht wie gewünscht bereitstellen. Wie das nächste Ubuntu auf Gnome-40-Basis aussehen wird, wenn dem gewohnten Workflow bei Ubuntu nun die neuen Gnome-Paradigmen in den Weg kommen, wird noch spannend werden.