Nun ist KDE 4.1 da – und es scheint das Vista der Linuxwelt geworden zu sein. Niemand hat es bestellt, aber nun ist es halt da: größer, langsamer, unflexibler – und auch ein Stückchen unsympathisch, da es liebgewonnene Konzepte verwirft. Aber nun ist es eben erschienen und will benutzt werden.
Auf der KDE-Webseite prangt groß der Spruch “Don’t look back.”. Wenn das nicht nur an die Nutzer gerichtet ist, sondern auch die KDE-Entwickler so gedacht haben, muss man sich über nichts mehr wundern. Auf jeden Fall beweist KDE damit eine gehörige Portion Selbstironie, denn nicht abzustreiten ist, dass KDE 4.1 im Vergleich zu den Vorgängern noch immer ein bisschen wie eine Wüste wirkt.
Kommen wir gleich zum Punkt: Neueinsteiger mit einem aktuellen Rechner dürften begeistert sein, Anwender mit langsameren Geräten und alte KDE-Hasen erleben jedoch ihr blaues Wunder. KDE 4.1 läuft zwar auch auf schwächeren Rechnern, aber dann nur KDE 4.1. Startet man etwa zusätzlich einen Firefox, dann ist das System ersteinmal lahmgelegt.
Ressourcenhunger
Bislang lagen Gnome und KDE etwa gleichauf – auch auf einem etwas älteren Rechner mit z.B. 1 GHz und 256 MB RAM kann man mit Gnome 2.4 und KDE 3.5 noch einigermaßen arbeiten – zwar recht behäbig, aber es geht. Für die Büroarbeit auf jeden Fall ausreichend, für’s Internet knapp an der Grenze. KDE hatte immer den Ruf, ein wenig ressourcenschonender und flinker zu sein als das traditionell und subjektiv eher träge Gnome – damit ist es nun vorerst definitv vorbei, Gnome zieht in Sachen Geschwindigkeit deutlich an KDE vorbei. Windows 2000 rennt, XP, Gnome 2.4 und KDE 3 laufen flüssig – nur KDE 4 will mehr. Wie bei Vista braucht man wahrscheinlich einen neuen Rechner, wenn man die vielen neuen Funktionen auch nutzen und sich nicht nur darüber ärgern will. KDE 4 – der Klimakiller unter den Linuxoberflächen.
Mit KDE 4.0 hat sich KDE bereits ein Kommunikationsdebakel geleistet: Statt die Version 4.0 als z.B. “4.0 Vorschau” zu bezeichnenen, wurde sie eben als “4.0” veröffentlicht – nur um im “Begleittext” anzumerken, dass es sich dabei nicht um eine fertige Version handelt. Distributoren wie Red Hat sahen das anders – und lieferten z.B. Fedora 9 mit KDE 4.0 aus – also quasi eine Desktopumgebung im Alphastadium. Viele hätten sich ehrlicherweise gewünscht, dass KDE ersteinmal “zu Ende” programmiert worden wäre, bevor man etwas Neues anfängt. Doch diese Philosophie findet man eher bei den Gnomelern, KDE wirft lieber Bewährtes weg und wagt einen Neuanfang.
Aussehen und Bedienung
Werfen wir einen Blick auf die Details: KDE 4 will etwas für’s Auge bieten – und schafft es auch mit vielen Effekten. Es fängt schon beim Startbildschirm an, der die Statussymbole nicht einfach nur blinken lässt, sondern wie aus dem Nichts sanft einblendet. Beim Desktop selbst ist optisch fast alles beweglich: jede Mausbewegung löst irgendwo irgendwelche Effekte aus. Den hüpfenden Mauszeiger beim Programmstarten gibt’s natürlich auch immer noch. Auch dem Einfachklick ist man bei KDE 4 treu geblieben.
KDE bleibt sich grundsätzlich treu und versucht das beste aus den beiden Welten Windows und Mac zu kombinieren: Waren bei KDE 3 die Bildlaufleisten von Windows inspiriert und die Startleiste von MacOS, verhält es sich bei KDE 4 nun umgekehrt: Die Startleiste in tiefem Schwarz (die Fensteranzeige ist nun einfach – nicht mehr doppelzeilig) ist wie von Windows Vistas Aero-Stil, die Bildlaufleisten wie von MacOS X’ Aqua geklaut.
Der Desktop
Der erste Eindruck zählt, und auch hier hat man nachgebessert: statt das interessante, aber tiefblaue und aufdringliche Hintergrundbild aus KDE 4.0 weiterzubenutzen, hat man ein verschörkelteres und dezenteres gewählt. Sehr elegant. Doch hier kommt auch gleich der erste Schock: Der Desktop kennt keine Desktopsymbole mehr, er ist völlig leergefegt bis auf einen kleinen Konfigurationsbutton in der rechten oberen Ecke.
Wer Symbole möchte, muss sich erst eine Art Container anlegen, der dann bestimmte Ordner präsentieren kann.
Auch mehrere Container nebeneinander sind möglich. Dazu fügt man einfach das entsprechende “Plasmoid” hinzu. Eine gewöhnungsbedürftige Sache, denn beim Berühren der Container erscheinen hässliche schwarze Konfigurationsleisten an den Rändern.
Das Startmenü
Das neue Menü hinter dem “Startbutton”, “kickoff”, ist sehr logisch aufgebaut, ergonomisch aber dennoch eine Katastrophe.
KDE treibt hier das gängige Microsoft-Konzept, alle zentralen Funktionen, Programme, Einstellungen und Favoriten irgendwie in ein einziges Menü zu quetschen, auf die Spitze. Gnome vergleichsweise hat einen anderen Weg zu gehen versucht, indem es auf ein klassisches Startmenü mit diversen Elementen völlig verzichtete. Einen ähnlich neuen Ansatz hätte man sich von KDE gewünscht. Kickoff ist unübersichtlich und verführt zu Klickorgien. Praktische Ärzte mit Schwerpunkt Sehnenscheidenentzündung würden wahrscheinlich von der Benutzung abraten.
Das Panel
Das neue schwarze Panel ist in der Höhe leider nicht veränderbar und (siehe Kommentare) lässt sich farblich nicht anpassen. Auch Transparenz scheint die Leiste nicht mehr zu beherrschen. Wenigstens lässt sich die Leiste endlich überhaupt anpassen. Die Breite lässt sich verändern und auch die Elemente auf der Leiste können nun neu angeordnet werden – nur die Art, dieses zu tun, ist etwas eigentümlich:
die Konfiguration nimmt man über eine zweite Leiste vor, die eingeblendet wird, anstatt die Leiste selbst “anfassen” zu können. Intuitiv ist das nicht gerade.
Die Symbolik
Die alte KDE-Symbolik “Crystal” ist komplett verschwunden, überall findet man die neuen “Oxygen”-Icons, die große Ähnlichkeit mit der MacOS-X-Optik haben. Die Standardordnerfarbe ist weiterhin ein leuchtendes Blau.
Die Oberfläche
Oxygen nennt sich auch der neue Oberflächenstil. Der Stil ist farblich inzwischen recht überzeugend – dezentes Grau und frisches Babyblau geben sich die Hand. Nur die Gestaltung der Elemente selbst wirkt merkwürdig: Auswahlfelder stechen aus den Fenstern heraus und wirken wie aufgesetzt oder aufgeklebt. Die Menüs machen einen provisorischen Eindruck, zuviel Grau. Sie passen mit ihrer vertiefenden Optik irgendwie nicht zum restlichen Desktopstil.
Interessanterweise kehrt man hier zu den Wurzeln zurück: Die Menüs von KDE 2 sahen fast genauso aus.
Neue Menüs und Auswahlfelder zeichnen sich allerdings nur langsam und bilden hässliche Flächen, bevor die eigentlichen Elemente angezeigt werden.
Natürlich hat man Wahlmöglichkeiten. Der alte Plastik-Stil lässt sich unter anderem noch alternativ einstellen, das berühmt-berüchtigte “Keramik” und der alte KDE-Standardstil” sind hingegen nicht mehr im Angebot.
Die Fensterdekoration
Das kritisierte, grau in graue Oxygen ist hier verschwunden, der Standardstil für Fenster lautet nun “Ozone” – und ist wieder blau. Aktive Fenster sind nun wieder deutlich erkennbar. Der neue Fensterrahmenstil ist elegant geworden und kommt deutlich dezenter daher als seine klobigen Vorgänger.
Einziger Haken: die Knöpfe verfärben sich zwar, wenn man mit der Maus darüberfährt, geben aber nicht nach, wenn man auf sie klickt.
Auch hier stehen Alternativen bereit: Plastik ist natürlich noch dabei, anders als bei dem Gesamtaussehen auch noch Keramik und der KDE2-Stil. Dafür ist “KDE 1” verschwunden. Mit den alternativen Fensterstilen gibt es jedoch Probleme.
“Quartz” sieht merkwürdig aus und auch die Windows-Klassik-Deko sieht nicht wirklich nach Windows aus.
Dolphin
So nennt sich der neue Dateimanager unter KDE, der den Konqueror ablöst. Es ist ein Nautilus-Klon, quasi der “bessere Nautilus”: vor allem die Tab-Navigation und das Verstecken der Pfadzeile hat man sich von der Gnome-Konkurrenz abgeschaut. Dolphin wirkt jedoch im Gegensatz zum restlichen Desktop flotter als sein Gnome-Pendant.
Bewertung
KDE 4.1 macht einen interessanten und stabilen Eindruck, verlangt vom Nutzer aber ein Umdenken, da der Desktop nun konsequent auf “Plasma” aufbaut, einem Widget-Konzept, das mit sogenannten Plasmoids beliebig erweitert werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Konzept aufgeht oder ähnlich scheitert wie bei Opera, die mit einem ähnlichen Vorhaben bislang kein Bein auf den Boden bekommen haben und statt sinnvoller Anwendungen nur mit ein paar Spielerein glänzen. Etwas weniger Schattierung und Effekthascherei hätte dem Stil Oxygen im Übrigen gutgetan. Für die Zukunft sollte KDE stärker auf Bedienbarkeit/Usability als auf graphische Veredelung achten.
Das Revolutionäre spielt sich hinter den Kulissen ab, für den Nutzer gibt es entgegen aller Erwartung gar nicht so viel Neues. KDE 4.1 ist letztendlich auch nur wieder ein Desktop – schicker, eleganter, aufpoliert, mit weniger Funktionen als seine Vorgänger – aber letztlich nur ein Desktop und nicht die Revolution auf dem Linuxdesktop, für den er anfangs gehalten wurde.
KDE 4.1 empfiehlt sich für hochgerüstete Computer und ist nichts für den durchschnittlichen oder älteren PC.
[Dieser Text wurde unter KDE 4.1/Ubuntu 8.04 geschrieben.]