Die mangelnde Abwärtskompatibilität von Linux wird oft kritisiert – doch damit sind die meist kurzen Lebenszeiten von Software gemeint. Bei der Hardware sieht es besser aus: Während man mit aktuellem Mac OS X auf alter Hardware nichts mehr anfangen kann und sich in der Windowswelt maximal das inzwischen auch angezählte XP eignet, hat man bei Linux durchaus die Möglichkeit, aktuelle Software auf historischen Rechnern produktiv einzusetzen.
Hier haben wir noch festgehalten, dass sich Linux als Alternative für ein älteres Windows auf aktueller Hardware bisweilen deutlich besser schlägt. Doch wie sieht es eigentlich umgekehrt aus? Aktuelle Linuxdistributionen auf alter Hardware, geht das? Noch vor einiger Zeit konnte man dies mit einem deutlichen Ja beantworten. Inzwischen muss man Abstriche machen, nicht mehr jedes Linux will auf Rechner unterhalb der Pentium-4-Grenze. Bei Altgeräten scheitert die Installation vielleicht sogar schon daran, dass man dort nicht von USB-Stift booten kann und nur ein CD-ROM-Laufwerk vorhanden ist – die heutigen Distributionen jedoch den Platz einer DVD brauchen. So wird ein Ubuntu-Image demnächst nicht mehr auf eine Standard-CD-ROM passen.
Das ist insofern tragisch, da gerade Neugierige, die sich das erste Mal für Linux interessieren, das System nicht gleich auf ihren Hauptrechner loslassen wollen, sondern es erst einmal auf älterer, noch vorhandener Zweit-Hardware testen und erkunden wollen – das geht nun immer öfter schief. Doch im Wesentlichen ist Linux weiterhin mit alten PCs nutzbar; wenn die alten Kisten ein DVD-Laufwerk haben, ist das schon mal die halbe Miete.
Wechseln wir zum praktischen Teil: Ausgangslage für den vorliegenden Test ist ein „Steinzeit-PC“ (anno 2002) mit 1,5 Ghz Pentium-IV-CPU, 1 GB RAM, Nvidia-Geforce-2-Grafikkarte on board sowie einer 40-GB-Festplatte. Damit sollte sich doch noch etwas anfangen lassen, jedenfalls mehr, als Windows XP darauf laufen zu lassen. Solche Rechner sind zudem noch en masse im Umlauf, in Büroumgebungen oder im Gebraucht-PC-Handel laufen sie einem als günstigste Einsteiger- oder Office-PCs über den Weg. Bei den getesteten Distributionen wurde jeweils primär der vorgegebene Standarddesktop ausgewählt, als Installationsmedium diente, wenn vorhanden, stets ein Live-ISO, das auf DVD gebrannt wurde.
Ubuntu 12.04
Ubuntu lässt sich recht schnell installieren, auch deshalb, weil der Ubuntu-Installer die Grundkonfiguration durch den Benutzer neben der Installation parallel ablaufen lässt: noch während das DVD-Image auf die Festplatte überspielt wird, kann man Zeitzone, Benutzerkonto und Ähnliches einrichten. Anschließend läuft Ubuntu ohne Probleme – Unity ist zwar etwas träge, die Programme starten langsam, sind aber noch im akzeptablen Rahmen zu nutzen.
Funktioniert auch auf alter Hardware: Unity
Als Systemvoraussetzungen nennt Canonical folgende Werte:
Prozessor: 700 MHz, Celeron oder besser RAM: 512 MB (bei kleineren Desktops auch weniger möglich) Festplattenplatz: 5 GB |
Auch mit noch schwächerer Hardware wäre ein Betrieb von Ubuntu also möglich, nutzt man Ubuntu mit LXDE oder XFCE, wird das Arbeiten deutlich flüssiger.
Opensuse 12.2
Die Installation bei Opensuse dauerte am längsten von allen getesteten Distributionen, Yast ließ sich ordentlich Zeit, den CD-Inhalt auf die Platte zu bekommen. Das Installationsprogramm selbst wirkte etwas träge. Im Vergleich zu Ubuntu verlangt Opensuse weniger Festplattenplatz, dafür aber doppelt so viel RAM und wünscht sich einen schnelleren Prozessor. Die Minimalvoraussetzungen sind:
Prozessor: 500 MHz (empfohlen: 2,4 GHz), ab Pentium III RAM: 1 GB Festplattenplatz: 3 GB |
Nach der Installation ist auch KDE gut zu bedienen, wirkt allerdings noch ein Stückchen langsamer als Unity bei Ubuntu. Das Arbeiten damit machte nicht wirklich Freude. Dateimanager Dolphin z.B., wenn einmal gestartet, war durchaus flott, im Gegensatz zu Nautilus bei Ubuntu, doch bis die Programme erstmal erschienen, das dauerte. So war KDE letztlich nicht sinnvoll zu gebrauchen, der Desktop selbst fraß zu viele Ressourcen. XFCE und LXDE als Alternativen ließen hingegen keine Wünsche offen, damit war Arbeiten problemlos möglich. Der Haken an Opensuse ist jedoch das zentrale Yast: dieses wirkt alles andere als leicht und schnell – und braucht eine halbe Ewigkeit, bis man damit etwa nur ein einzelnes Miniprogramm nachinstalliert hat. Dies macht den Geschwindigkeitsgewinn der schlanken Desktops wieder zunichte und passt nicht wirklich in diese Arbeitsumgebungen. In solchen Fällen ist es sinnvoller, auf die Konsole auszuweichen.
Fedora 17
Die Installation bei Fedora lief etwas langsamer ab als die von Ubuntu, aber deutlich schneller als bei Opensuse. Die Minimalvoraussetzungen bei Fedora sind:
Prozessor: ab Pentium III, k.A. zur CPU-Geschwindigkeit RAM: 768 MB (empfohlen: 1152) Festplattenplatz: 9 GB |
Fedora kommt standardmäßig mit der Gnome-3-Shell. Diese startete zwar nach einiger Bedenkzeit, zeigte aber Fragmente vor allem bei der Beschriftung an. Animationen wurden verschluckt und die gesamte Bedienung war katastrophal langsam.
Kaputt: die Gnome-Shell in Fedora
KDE als Alternative bei Fedora ergab ein ähnliches Erscheinungsbild wie bei Opensuse, nur dass hier nicht auch noch Yast bremste. Unter Fedora war mit KDE durchaus gut zurechtzukommen. LXDE und XFCE sind aber auch hier die Desktops der Wahl, wenn man noch einigermaßen flott arbeiten möchte.
Linux Mint 13
Prozessor: x86, k.A. zur CPU-Geschwindigkeit RAM: 512 MB (empfohlen: 1 GB) Festplattenplatz: 5 GB |
Linux Mint 13 hätte gerne obige Minimal-Umgebung, dieselbe wie Ubuntu. Installiert wurde Mint zunächst in der Cinnamon-Edition. Damit ergab sich jedoch ein noch katastrophaleres Bild als mit der Gnome-Shell von Fedora, so katastrophal, dass nicht mal die Erstellung eines Screenshots gelang. Der gesamte Desktop war fragmentiert und wirkte wie ein abstraktes Gemälde. Für den Einsatz auf alter Hardware ist Mint/Cinnamon daher keine Alternative zur ebenfalls nicht lauffähigen Gnome-Shell, da sich nur das Konzept unterscheidet, die hohen Anforderungen an das System jedoch dieselben sind.
Traditionelles Gnome 2 mit Linux Mint Mate-Edition: perfekt für traditionelle PCs
Was hingegen wunderbar funktioniert, ist die MATE-Version von Linux Mint. Installation und Betrieb funktionierten reibungslos. Der alte Gnome-2-Desktop unter neuem Namen steht XFCE und LXDE geschwindigkeitsmäßig praktisch in nichts nach und stellt ebenso wie auch das bisherige Gnome 2 keine zu hohen Anforderungen an die Hardware. Nur Dateimanager Nautilus, bei Mate „Caja“ getauft, ist genauso träge wie immer.
Mageia 2
Prozessor: keine näheren Angaben RAM: 512 MB (empfohlen: 2 GB) Festplattenplatz: 6 GB |
Mageia war ähnlich schnell installiert wie Fedora. Als einziger der Testkandidaten zeigte es bereits Artefakte im Boot-Screen. Mageia hätte gerne diese Anforderungen erfüllt. Auch das Mageia-KDE war mit Einschränkungen bei der Geschwindigkeit gut nutzbar, deutlich besser ging es jedoch mit LXDE.
Sabayon Linux 9
Prozessor: i686, k.A. zur Geschwindigkeit RAM: 512 MB (empfohlen: 1 GB) Festplattenplatz: 20 GB |
Das anwenderfreundliche Linux auf Gentoo-Basis bootete optisch zunächst sehr ansprechend, der Bildschirm blieb dann jedoch komplett schwarz, der Monitor meldete „out of range“. Feierabend, keine Installation möglich. Die Systemanforderungen sind moderat.
Foresight Linux 2.5
Prozessor: i686, k.A. zur Geschwindigkeit RAM: 256 MB (empfohlen: 512 MB) Festplattenplatz: 6 GB |
Die Besonderheit an Foresight Linux ist, dass auch die aktuelle Version noch immer auf Gnome 2 setzt, die Gnome-Shell wird nicht unterstützt – im Gegensatz zu früher, als stets das aktuellste Gnome ausgeliefert wurde. Daher empfiehlt sich Foresight für alte Hardware, wenn man das klassische Gnome bevorzugt. Die Hardwareanforderungen sind ebenfalls noch etwas geringer als bei der Konkurrenz, auch mit 256 MB RAM kann hier noch gearbeitet werden. Gnome 2 läuft wie erwartet wunderbar. Deutlich schneller als aktuelles KDE und ähnlich schnell wie XFCE/LXDE.
Zenwalk
Prozessor: Pentium III, k.A. zur Geschwindigkeit RAM: 256 MB Festplattenplatz: 4 GB |
Dieses Linux basiert auf Slackware, gibt sich aber einsteigerfreundlicher. Die Hardware-Anforderungen sind mit die geringsten der aktuell erhältlichen, regulären Distributionen. Boot-Prozess und Installation von Zenwalk verliefen ansprechend und relativ flott, beim Neustart nach der abschließenden Installation blieb der Bootloader GRUB dann jedoch einfach stehen. Aus die Maus.
PC Linux OS
Prozessor: “modern” k.A. zur Geschwindigkeit RAM: 512 MB (1 GB empfohlen) Festplattenplatz: 4 GB (10 GB empfohlen) |
Diese hierzulande etwas unbekanntere Distribution basiert auf Mandriva und stellt den Anwender ganz in den Mittelpunkt. So war es die einzige Distribution im Test, die bereits während der Installation den proprietären Nvidia-Treiber zur Nutzung anbot. Doch das half in diesem Fall auch nicht weiter, nach dem Auswählen des Treibers im Installationsprozess blieb der Monitor schwarz – sowohl mit dem proprietären als auch mit dem freien Treiber. Durchgefallen.
Mehr Graphik war PC Linux OS nicht zu entlocken
Die Hardwarevoraussetzungen oben beziehen sich auf die KDE-Variante.
ZevenOS
Prozessor: mind. 500 MHz RAM: 192 MB Festplattenplatz: 3 GB |
ZevenOS bietet als Ubuntu-Derivat ebenfalls keine bösen Überraschungen: Die BeOS-Optik allein macht dieses Linux zwar noch nicht schneller als andere Distributionen, aber die Ausrichtung auch auf ältere Hardware prädestiniert es ebenfalls für den Einsatz auf schwächeren Systemen. So wird als Oberfläche ein modifiziertes XFCE verwendet. Installation und Einsatz waren problemlos.
Siduction
Prozessor: Pentium II, k.A. zur Geschwindigkeit RAM: 512 MB Festplattenplatz: 10 GB |
Die Abspaltung von Aptosid, dem Ableger von Sidux, der Abspaltung von Kanotix, einem Ableger von Knoppix, einem Ableger von Debian, gibt sich noch mit einem Pentium II zufrieden und erfordert folgende Ressourcen. Als ein weiterer Debian-Klon waren mit Siduction keine Überraschungen verbunden. Das KDE läuft genauso flüssig oder träge wie auf Mageia, Suse oder Fedora.
Tiny Core & Co.
Wenn alles nichts hilft und die bisher genannten Distributionen nicht zum vernünftigen Arbeiten zu gebrauchen sind, weil die Hardware noch älter ist als in dieser Testumgebung, dann bleiben noch Spezialdistributionen, die sich mit minimalsten Ressourcen selbst im graphischen Betrieb begnügen. Auf diese Weise kann man noch älteste Rechner sinnvoll weiternutzen. Verzichten muss man dabei dann aber auf die heute gängigen und komfortablen Oberflächen, es werden stattdessen Fenstermanager verwendet, die mit Desktopmodulen erweitert werden.
Tiny Core Linux etwa begnügt sich mit 64 MB RAM und einem 486er-Prozessor, empfohlen werden ein Pentium II und 128 MB RAM. Tiny hat einen etwas raueren Charme, bietet dabei aber am ehesten noch das klassische Desktop-Erlebnis an. Hervorzuheben ist z.B. das eigene graphische Kontrollzentrum.
Das Panel von Tiny Core Linux
AntiX, auf Debian basierend, braucht mit Fluxbox oder IceWM lediglich ebenfalls einen Pentium II mit 64 MB RAM. AntiX zeichnet sich dadurch aus, dass zahlreiche Fenstermanager parallel angeboten werden, die bereits gut vorkonfiguriert sind. Der Desktop wird vom Rox-Filer verwaltet.
Optisch durchaus ansprechend, mit Desktop-Icons und bereits vorinstalliertem Conky: Antix-Linux
Auch Crunchbang, ebenfalls eine Debiantochter, ist auf Schlankheit optimiert. Obwohl mit Geschwindigkeit geworben wird, macht Crunchbang keine Angaben zu Systemvoraussetzungen. Diese dürften jedoch mit denen von AntiX identisch sein, also mindestens Pentium II und 64 MB RAM. Auf dem vorliegenden Testrechner rennt es geradezu, die Standardkonfiguration aus Openbox und Tint2-Panel ist jedoch gewöhnungsbedürftiger als bei AntiX oder Tiny Core Linux.
Optisch weniger ansprechend, fast vollständig monochrom, aber ebenfalls mit Conky an Bord: Crunchbang
Puppy Linux empfiehlt einen 500-MHz-Prozessor, 128 MB RAM und 512 MB Festplattenplatz. Bei diesem Kleinstlinux besteht die Besonderheit, dass man es (wie von Knoppix bekannt) vollständig im RAM laufen lassen kann und daher nicht einmal eine Festplatte benötigt.
Tipps
Angemerkt sei noch, dass bei allen Distributionen im Test – ausgenommen Tiny Core und Crunchbang – die Auflösung des Monitors nicht richtig erkannt wurde, so dass manuell nachjustiert werden musste. Die Graphikkartenleistung und die angebotenen freien Treiber reichten jedoch stets aus, es musste keine neue Graphikkarte angeschafft werden.
Drastisch verbessern kann man die Gesamtleistung außerdem, indem man z.B. den RAM aufrüstet und aus 1 GB 2 GB macht o.ä. Dies ist günstiger als vielleicht ein Rechnerneukauf und – anders als der Wechsel z.B. eines Netzteils oder des Prozessors – auch für Ungeübte relativ leicht zu bewerkstelligen.
Zusammenfassung
Wer aktuelles Linux auf alter Hardware will, dem stehen auch die aktuellen Distributionen offen, wenn er sie mit den kleinen Desktops oder gar einem Fenstermanager verwendet. Selbst für ganz alte Hardware hält die Linuxgemeinschaft Distributionen bereit, auf Arbeitskomfort wie bei den großen, populären Linuxvarianten muss man dafür aber etwas verzichten.
Ubuntu hat überrascht, könnte man doch denken, dass Unity ähnliche Darstellungsprobleme wie die Gnome-Shell auf alter Hardware hat, da die Basis dieselbe ist. Doch während Gnome durchgängig versagt und schnellere Hardware voraussetzt, geht Unity mit den Systemressourcen etwas sparsamer um.
Eingeschränkt nutzbar waren generell alle Distributionen mit KDE sowie Unity, nicht nutzbar waren die Gnome-Shell und Cinnamon. Ein optimales Ergebnis erreichte man mit den großen Standarddistributionen, wenn man LXDE oder XFCE wählte bzw. nachinstallierte. Mate ist eine weitere Alternative. Ebenfalls nicht nutzbar, da an der Installation gescheitert, waren Sabayon Linux, PC Linux OS und Zenwalk. Die Minimal-Linuxe machten wiederum keinerlei Probleme.