Während der normale Linuxnutzer bei der Auswahl seiner Distribution, Desktopumgebung und Programme meist nach persönlichen Vorlieben entscheidet, haben Sehbehinderte diesen Luxus nicht. Hier kommt es darauf an, wie gut sich eine Oberfläche anpassen lässt oder überhaupt zugänglich ist. Es gibt zwar spezielle Distributionen für Blinde, doch auch hier ist die Auswahl für „nur“ Sehbehinderte im Prinzip nicht viel anders als bei anderen Linuxen. Das gilt auch für eines der wichtigsten Programme, den Webbrowser. Ein ernüchternder Reisebericht von Jennifer Rößler.
Zuletzt haben wir uns die verschiedenen Linuxoberflächen unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit für sehbehinderte Nutzer angesehen. Gut schnitten dabei KDE und LXDE ab, weniger gut XFCE, Unity und Gnome, obwohl gerade Letzteres eigentlich stets den Eindruck erweckt, viel für Accessibility zu tun. Dieses Mal begeben wir uns auf die Anwendungsebene und schauen, welche Webbrowser am meisten für sehbehinderte Linuxer tun.
Rekonq-Browser in sehbehindertenfreundlichen Farben
Ob eine Internetseite für Sehbehinderte ohne Probleme bedienbar ist, entscheidet oft nicht nur die sogenannte Barrierefreiheit, sondern auch die Möglichkeiten, die ein Browser bietet. Für Blinde ist nur entscheidend, ob ein Browser mit Screenreader problemlos bedienbar ist oder nicht, für Sehbehinderte spielen völlig andere Kriterien eine große Rolle.
Der Browser ist das Fenster ins Internet – oder nicht?
Während ein Normalsehender einen Browser installiert und loslegen kann, müssen Sehbehinderte, je nach Umfang der Sehbehinderung, erst diverse Einstellungen vornehmen, um vernünftig mit einem Browser arbeiten zu können. Für einen Großteil der Sehbehinderten genügt es sicherlich, lediglich die Schriftgröße oder, wenn möglich, vielleicht noch die Schriftart zu ändern. Ob es dann mit der Vergrößerung klappt, hängt zum großen Teil auch von den einzelnen Internetseiten ab, denn gelegentlich kann es vorkommen, dass bei der Vergrößerung nicht mehr der ganze Text sichtbar ist. Auf anderen Seiten wiederum hat man dann die Wahl, entweder nach links oder rechts zu scrollen oder CSS ganz auszuschalten, um den kompletten Text auf einen Bildschirm zu bekommen. Wer ein eingeschränktes Gesichtsfeld hat oder nur mit einem Auge liest, hat oft nicht die ganze Seite im Blick und je mehr anderes, wie z. B. Werbung, auf einer Seite ist, umso länger dauert es, das eigentlich Wichtige, den Text, zu finden. Abgesehen von der Gefahr durch Werbeeinblendungen mit Schadcode eingedeckt zu werden sind Werbeblocker also schon allein deshalb eine Notwendigkeit.
Es gibt aber auch eine Gruppe von Sehbehinderten, die mit hellem Hintergrund nicht zurechtkommt, weil dies das Zurechtfinden erschwert und bei längerfristigem Lesen anstrengend wird und Kopfschmerzen verursacht. Bevorzugt wird von dieser Gruppe dunkler, am besten schwarzer oder dunkelgrauer Hintergrund und weiße oder gelbe Schrift. Außerdem muss die Schriftgröße beliebig zu ändern sein und es ist von Vorteil, wenn im Browser nicht erst eine Stunde nach den Einstellungen gesucht werden muss. Des Weiteren ist eine Statusleiste der besseren Übersicht halber praktisch und deren Anzeige oft auch besser den Systemfarben angepasst, als dies bei Erweiterungen manchmal der Fall ist.
Google Chrome
Schon einmal stand man vor der Entscheidung, Firefox, der bereits einige Jahre ein treuer Begleiter war, durch einen anderen Browser zu ersetzen, da er immer länger zum Starten benötigte und die Feedreader-Erweiterung Brief nach einem Firefox-Update plötzlich nicht mehr richtig funktionierte. Im Zuge dessen wurden Google Chrome und K-Meleon bereits vor längerer Zeit einmal auf die oben genannten Kriterien getestet und es stellte sich heraus, dass sie generell nur schwer zu bedienen sind. Zwar lässt sich die Schriftgröße einer Internetseite anpassen, aber nach Einstellungen für Seitenhintergrund und -farbe sucht man vergebens. Bei K-Meleon war es zum damaligen Zeitpunkt sogar so, dass diese Einstellungen für einen Laien nicht zugänglich waren. Der Versuch, die kürzlich neu erschienene Version zu installieren, scheiterte.
Opera und others
Opera war zu dem Zeitpunkt eine akzeptable Alternative. Zwar war es auf Anhieb nicht ganz leicht, die Farbeinstellungen zu finden, da es hier nur feste Kontrastdarstellungen zur Auswahl gab, aber immerhin war schwarzer Hintergrund und weiße Schrift möglich und die Vergrößerung auch kein Problem. Ein großes Plus waren außerdem die „seitenspezifischen Einstellungen“, die es einem ohne zusätzliche Erweiterung ermöglichten, Javascript, Flash oder Cookies beliebig an- und auszuschalten. Außerdem bekam man einen wirklich guten Feedreader, wenn man hier auch bei den Farben Abstriche machen musste. Der Hintergrund der Feedeinträge war zwar nicht weiß, sondern hellgrau, und die Schrift schwarz, aber da kein völlig weißer Hintergrund, akzeptabel. Doch als Opera dann den Feedreader abschaffte und mit Version 20 keine Farbeinstellungen mehr möglich waren, kehrte man komplett zu Firefox zurück.
Otter könnte vielleicht eine akzeptable Alternative werden. Die kürzlich erschienene Beta-Version lässt hoffen. Die Windows-Version lässt sich problemlos installieren und passt sich nahtlos dem System an. Zwar ist das Menü noch stellenweise zweisprachig und einige Funktionen sind noch nicht verfügbar, aber die Aussicht besteht, dass sich das in folgenden Versionen noch ändert. Selbst Hintergrund- und Textfarbeinstellungen, bis hin zur Linkfarbe sind vorhanden, haben aber im Moment noch keine Auswirkung. Die Möglichkeit, einfach den Kontrast umzustellen, fehlt jedoch (noch).
Firefox und Faksimiles
Die Aussichten, die Firefox 29 mit Australis bietet, machen es nun erforderlich, sich wieder nach einem brauchbaren Ersatz umzusehen. Hierbei geht es inzwischen aber nicht mehr vorrangig um windowsbasierte Browser, sondern solche, die auch unter Linux laufen. Die Tatsache, dass ein Browser jedoch von einem Laien installiert werden können muss, schränkt die Suche weiter ein.
Firefox ESR und Iceweasel sind vorläufig nette Alternativen und bieten, wie auch Firefox selbst, in den Einstellungen die Möglichkeit, Hintergrund einer Seite und Schriftfarbe und -größe beliebig anzupassen. Den Farbeinstellungen des Systems passt sich deren Menü problemlos an. Doch leider werden sie aufgrund ihrer Entwicklung irgendwann auch bei Australis angelangt sein und damit die Oberfläche weniger komfortabel.
Seamonkey bietet, was Schrift- und Farbeinstellungen angeht, dieselben Möglichkeiten wie Firefox, wenn man aber bereits ein anderes Mailprogramm und seit dem Wegfall des Feedreaders bei Opera Akregator als Feedreader verwendet, ist das zu viel des Guten.
Pale Moon ist unter Windows die optimale Alternative. Er passt sich dem System problemlos an, die Einstellungen für Schriftgröße, Hintergrund- und Schriftfarbe finden sich in etwa an derselben Stelle, wo sie auch beim Firefox zu finden sind, was die Einrichtung sehr simpel macht und eine Statusleiste ist auch vorhanden. Die benötigten Erweiterungen, die man bereits von Firefox kennt, gibt es auch für Pale Moon. Zwar ist das Umstellen auf Deutsch etwas umständlich, aber damit kann man leben. Leider lässt sich Pale Moon für Linux für einen Laien nicht installieren, sonst wäre die Suche an dieser Stelle beendet gewesen.
Midori
Midori wäre eine durchaus brauchbare Alternative, der Browser selbst passt sich den Systemfarben problemlos an, ein Adblocker ist sogar schon integriert, die Statusleiste ist auch noch da und auch die Schriftgröße lässt sich problemlos ändern. Doch nach Farbeinstellungen für Hintergrund und Schrift der Internetseiten sucht man vergeblich.
QupZilla
QupZilla ist einfach zu installieren und gefällt wirklich gut. Er kommt in den Systemfarben daher, hat von Haus aus eine Statusleiste und bringt noch einen Adblocker mit. Die Schriftgröße und Schriftart können problemlos in den Einstellungen geändert werden. Doch leider gibt es keine Möglichkeit, die Farbeinstellungen des Systems auch auf die Internetseiten auszudehnen wie beim Firefox.
Konqueror und Konsorten
Konqueror, den KDE von Haus aus mitbringt, hat einen eigenen Adblocker integriert und bietet die Möglichkeit, mit einem Klick Javascript oder Cookies abzuschalten, auch eine Statusleiste ist vorhanden. Doch weitere Einstellungen die Schriftgröße oder Farben betreffend sind nicht vorhanden. Dabei ist sogar die Möglichkeit ins Menü integriert, sich eine Internetseite mit der KDE-eigenen Sprachausgabe Jovie vorlesen zu lassen.
Rekonq soll Konqueror ersetzen, er ist tatsächlich aber kein vollwertiger Ersatz. Auch er kommt mit einem eigenen Adblocker, bietet umfangreiche Einstellungen bezüglich Javascript, Webkit, HTML5, bis hin zur Wahl von Schriftgröße und Schriftart. Farbeinstellungen fehlen leider völlig. Eine Statusleiste gibt es aber nicht mehr, schnelles Ein- und Ausschalten diverser Funktionen direkt aus dem Menü ist nicht möglich. Das Menü ist zwar umfangreich, jedoch an den rechten Rand gerückt, ähnlich wie bei Firefox und es lässt sich kein klassisches Menü einrichten. Die Möglichkeit, sich Internetseiten vorlesen zu lassen, fehlt hier.
Gnome
Epiphany passt sich, da Gnome-basiert, nicht an Systemfarben an. Das Menü ist extrem rudimentär, Farb- oder Schriftgrößeneinstellungen gibt es nicht. Nur die Möglichkeit, mit Strg und + die Seite zu vergrößern, funktioniert. Der Browser taugt nicht mal für einen eigenen Artikel. Da werden Alpträume bezüglich Google Chrome wach.
Dillo
Dillo ist kein Browser, sondern ein Zustand. Nämlich der Zustand der Verzweiflung, den die absoluten Laien beim Aufruf einer Internetseite befallen würde, die den Browser ohne Vorwissen ausprobieren. Er beherrscht kein Javascript, CSS ist zwar inzwischen implementiert, Objekte werden aber nicht richtig positioniert und teilweise verformt dargestellt. Einstellungen für Vergrößerung und Farben gibt es keine und auch ans System ist keine Anpassung vorhanden. Selbst mit Strg+ ist keine Vergrößerung möglich. Es ist ein rudimentäres Menü vorhanden, dessen Schrift allerdings so klein ist, dass sie je nach Grad der Sehbehinderung kaum lesbar ist.
Fazit
Tatsächlich ist die Zahl der Browser, die Farbeinstellungen ermöglichen, sehr überschaubar. Während Seamonkey aus anderen Gründen als Browser der Wahl ausscheidet, Iceweasel und Firefox ESR auch irgendwann den Entwicklungsstand des jetzigen Firefox eingeholt haben werden und Otter sich noch etwas weiterentwickeln muss, ehe er als Ersatz in Frage kommen kann, bleibt, neben Pale Moon für Windows, für Linux vorläufig tatsächlich nur Firefox (einschließlich ESR). So wird man sich wohl oder übel erst einmal damit arrangieren müssen, nicht mehr alles im Blick zu haben, und darauf hoffen, dass diese Einstellungen nicht auch aus Firefox irgendwann ganz verschwinden.