Die Kommerzialität von Linux

20. Dezember 2010

Gäbe es den Pinguin Tux wirklich, er müsste ein Problem mit dem Ego haben. Die ganze tolle kommerzielle Software wird nur für Windows und Mac entwickelt, für ihn bleiben nur die bestenfalls semiprofessionellen Gratis-„Frickel“-Programme übrig. Aber stimmt das wirklich?

Immer wieder wird die Feststellung getroffen, es gäbe für Linux nicht genügend kommerzielle Software. Microsoft Office und Photoshop gibt es nur für Windows und Mac, wie so viele andere begehrte – oder schlicht benötigte – Programme auch. Selbst wenn Kauf-Software auch einmal für Linux bereitsteht, wird sie wieder eingestellt (z.B. Corel WordPerfect) oder erreicht nicht den Funktionsumfang oder die Stabilität der Windows-Varianten. Das erweckt den Eindruck, Linux sei hauptsächlich ein nichtkommerzielles System, das von Freiwilligen und Idealisten in ihrer Freizeit programmiert wird. Doch stimmt das wirklich?

Gerade für Linux gibt es mächtige, große und auch kommerzielle Programme. Nicht unbedingt die, die es auch für Windows gibt. Solange Linux ein Nischen-Betriebssystem für den Desktop ist, wird sich so schnell hieran auch nichts ändern. Aber was ist mit dem Rest? Tummeln sich auf der Linux-Plattform nur Open-Source-Programme, die von den Entwicklern uneigennützig unters Volk geworfen werden?

Zunächst muss man sich dabei fragen, was unter „kommerziell“ verstanden werden soll. Software, für die man bezahlen muss? Mit der Geld verdient wird? Oder reicht eine Firma dahinter?

Ganz klar kommerziell, da käuflich zu erwerben, wären dann Programme wie die Brennsoftware Nero, die Finanzsoftware „Moneyplex“, LinDVD, Oracle Open Office (das ehemalige StarOffice), Softmaker Office, aber auch Codeweavers „CrossOver“, das das Ausführen von Microsoft-Software unter Linux vereinfacht. Auch das Druckertreibersystem „Turboprint“ ist Kauf-Software.

Software, die für den Anwender selbst zwar gratis ist, mit der aber dennoch Geld verdient wird und die sich nicht etwa nur aus Spenden finanziert, müsste man ebenso als kommerziell einstufen, denn ein solches Programm unterliegt geschäftlichen Interessen, die sich nicht hundertprozentig mit den Interessen des Anwenders oder der Programmierer decken müssen, sondern sich eben auch den Zwängen des Geschäftsbetriebes unterzuordnen haben. Hierzu zählt ausgerechnet das Programm, das als freies, quelloffenes und „Community-getriebenes“ Projekt schlechthin wahrgenommen wird: Firefox. Für den Anwender gratis und für alle Open Source, verdient die Mozilla Foundation mittels des eingebauten Suchfelds nicht wenig an ihrem Browser. Und es darf darüber spekuliert werden, ob es dadurch zu Interessenkonflikten kommt, welche u.U. dafür verantwortlich sein könnten, dass z.B. für den Nutzer nützliche Privatsphäre-Features entfernt wurden. Auch der Opera-Browser – früher nur als Bezahlprogramm oder mit Werbeeinblendungen erhältlich – wird nicht „umsonst“ abgegeben, sondern verdient wird über Kooperationen mit Suchmaschinenanbietern an jeder Suche, die ein Anwender über das im Programm eingebaute Suchfeld durchführt. Auch Programme, mit denen nur mittelbar Geld verdient wird, könnte man zu dieser Gruppe zählen. Den Adobe Reader gibt es auch für Linux – kostenlos, aber mit Werbung, die zum Kauf des Adobe-Acrobat-Programms ermuntern soll. Und je mehr Leute insgesamt mit PDFs hantieren, desto eher besteht die Chance, dass jemand dazu greift. Den derzeit so beliebten Chrome- bzw. Chromium-Browser gäbe es ebenfalls nicht ohne das Engagement Googles, hier werden die Surfer standardmäßig natürlich zur Google-Suche gelotst.

Bleiben die Programme, die werbefrei sind, mit denen kein Geld verdient wird, keine andere Kauf-Software begünstigen, aber hinter denen ebenfalls eine Firma seht. OpenOffice wäre ohne die Unterstützung von Sun/Oracle nicht möglich, auch LibreOffice erfährt wieder Unterstützung von kommerziellen Firmen wie Novell oder RedHat. Auch GNOME und KDE selbst kommen nicht ohne Firmenunterstützung aus. Die Basis von KDE beruht seit jeher auf dem kommerziellen Produkt der Firma Trolltech, inzwischen ist „Qt“ ein Produkt von Nokia. Auch hier darf man spekulieren, ob dies mit der Grund ist, weshalb KDE immer mehr auch in Richtung mobiler Anwendungsplattformen entwickelt wird (jüngstes Beispiel: KOffice wird zum Calligra Office und zielt auf Mobilgeräte ab). Die GNOME-Kommunikationszentrale „Evolution“ wäre ohne Novell/Ximian nicht dort, wo sie heute ist, der Dateimanager Nautilus würde ohne die Firma Eazel nicht existieren. Und nicht zuletzt bezahlen Distributoren manchen Entwickler, der an KDE oder GNOME werkelt. Man muss sich nur einmal die „Über…“-Dialoge der zahlreichen kleinen Programme und Desktop-Helferlein anschauen, um zu merken, wo überall Red-Hat- und Novell-Mitarbeiter ihre Finger im Spiel hatten – vom GNOME-Panel über Gedit bis zum Terminal.

Versteht man den kommerziellen Begriff also weit, ist Linux geradezu durchzogen von kommerzieller Software. Der Kern ist frei und nicht firmengesteuert, die Entwicklung offen, doch das Drumherum, vor allem die Anwendungsschicht, ohne kommerzielle Interessen kaum realisierbar.

Nicht zu vergessen ist, dass vor allem die anwenderfreundlichsten Distributionen noch vor ein paar Jahren keineswegs gratis zu bekommen waren: SuSE Linux (jetzt OpenSUSE), Red Hat (jetzt Fedora) und Mandrake Linux (das heutige Mandriva) baten die Linuxinteressierten kräftig zur Kasse – obwohl die Software auf den CDs natürlich an sich gratis zu bekommen war. Bei SuSE war dabei z.B. gar das zentrale Konfigurationswerkzeug „YaST“ keine freie Software. Dass man diese Distributionen heute gratis bekommt, liegt allein an den Fortschritten der Gratis-Konkurrenz und einem verschobenen Vertriebskonzept: zahlen muss nun nicht mehr der Privatanwender, sondern nur noch der Firmenkunde, der eine Unternehmensdistribution einsetzen möchte.

Dabei werden die Nutzer von kommerziellen Distributionen sogar Teil des Kommerzes – oft, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein: mit jedem eingereichten Patch, jedem gemeldeten Bug wird ein Nutzer zum unbezahlten Mitarbeiter eines Unternehmens, das aus einer freien Distribution am Ende eine Enterprise-Distribution strickt. Selbst, wer einen Fehler in Debian meldet, unterstützt damit mittelbar z.B. Canonical, das wiederum am Support für Firmenkunden verdient.

Nur auf den ersten Blick gibt es heute im Linuxland also alles kostenlos und nicht-kommerziell. In Wirklichkeit besteht „Linux“ aus einem Geflecht von Firmenbeiträgen und -interessen, aus einem Nebeneinander von freier und proprietärer Software, von aus nichtkommerziellen und kommerziellen Gründen geschaffenem Code. Dabei ist die Software meistens Open Source, aber nicht zwangsläufig.


aus der Kategorie: / Tratsch /

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Kommentare

“Der Kern ist frei und nicht firmengesteuert”

Aber auch hier muss man feststellen, dass der Kernel zu 2/3 von durch Unternehmen dafür bezahlte Entwickler entwickelt wird.

http://images.derStandard.at/2010/12/01/1289661483433.png

— foodoo · 20. Dezember 2010, 11:37

Linux hat als Freizeitprojekt angefangen; heute ist es aber hochkommerziel. Anders würde sich Linux auch nie so schnell entwickeln – Vollzeit-Programmierer sind schon effektiver als Teilzeit-Programmierer.
Problematisch sind nur klassische Endanwender-Programme, da es für diese kein funktinierendes kommerzielles Ökosystem gibt. Deswegen hinkt Gimp Photoshop immer ein wenig hinterher.

Marco · 20. Dezember 2010, 13:40

Ich sehe in dem ganzen Kontext “Kommerziell” eher bezogen auf Programme, für die unter Linux KEINE Alternative besteht. Du zählst oben aber nur solche Software auf. Spezialprogramme sind das, was die Akzeptanz steigert, nicht die Allerweltsprogramme. Es geht da um Programme wie AutoCAD, SIMATIC Software, Catia etc… solche Programme halt. Und bei mancher Software, die für mich unter diesen Punkt fällt, muss man noch was anderes betrachten:

Manche kommerzielle Software gibt es ausschließlich als RPM oder die Hersteller geben die Softweare NUR für RedHat frei. Gibts alles.

— Bausparfuchs · 20. Dezember 2010, 19:28

Irgentwann werden sie es schon schaffen aus Linux ein zweites Windows zu machen.

Ich denke in einigen Jahren wird Linux auch für den Privatanwender nicht mehr ganz kostenlos sein , zumindest für den Update Service über die Distri Server wie bei Ubuntu oder Suse wird er dann zahlen können.
Denn lange werden die Linuxfirmen auch den priv. Anweder nicht mehr Schonen können. was die Pleiten oder Übernahmen von SUN oder Novel zeigen, wollen sie am Markt bestehen der immer bessere Rendite fordert.

Die Verfechter der Open Source und Free Szene werden sich dann auf andere OS Projekte konzentrieren die noch weniger Kommerzbehaftet sind wie Free BSD oder Haiku.

Eigentlich Schade um die ehemalige Hobby Idee zum Linux nur leider wollen die Anwender heute lieber einen Windows ähnlichen GUI Comfort, Entwicklungsgeschwindigkeiten, Bedienung und Featcher die sie es aus den Kommerziellen Programmen gewohnt sind, das ist dann Hobbymäßig nicht mehr zuschaffen.

Es bleibt dann wohl nur noch die unbeantwortete Frage ob die Welt ein weiteres kommerzielles OS auf dem Desktop benötigen wird?

— basic · 20. Dezember 2010, 22:11

Schöner Artikel. :-)

Es ist in der Tat so, dass hinter einer Menge OpenSource Projekt kommerzielle Interessen stecken. Für “uns” Endanwender ist das relativ gleich, weil wir GNOME & Co. für lau bekommen und auch noch den Quellcode einsehen können.

Das Geld wird im Firmenumfeld verdient. Wer sich z.B. mal die Preise für Software bzw. Support bei RHEL ansieht merkt ganz schnell, dass das alles andere als preiswert ist. Da ist der Unterschied zu Microsoft und deren Premium (Firmen) Lizenzen gering bis gar nicht mehr vorhanden.

Immerhin ist das Image von Linux besser, weil der Kommerz da besser versteckt wird als bei Windows. :D

— noisefloor · 21. Dezember 2010, 08:06

Kein Mensch braucht “kommerzielle Software” wenn er OSS benutzen kann, zumal kommerziell nicht bedeutet das eine Software “besser” ist. Schau Dir lieber mal Deinen Desktop genauer an, freu Dich wie toll das alles ist was Du siehst, und hör einfach auf Dich um irgendwelche Trottel zu sorgen die ohnehin zu blöd für das Prinzip OSS sind. Das spart Zeit und Nerven!

@noisefloor: “Immerhin ist das Image von Linux besser, weil der Kommerz da besser versteckt wird als bei Windows.”

Das ist der absolut größte Schwachsinn den ich seit Monaten gelesen habe!

— NonKon · 21. Dezember 2010, 14:46

Uneigennützig unters Volk bringt kein Programmierer seine Programme.

Der wesentliche Unterschied: Bei kommerziellen Softwareschmieden machen Programmierer Programme im Auftrag und für Geld (sowohl ihr eigenes, als auch das, das die Firma daran verdient.) Ob sie ein Brötchenbackprogramm oder eine Textverarbeitung programmieren, ist ihnen und der Firma im Prinzip egal.

Freie Software wird hingegen entwickelt, damit sie dem Programmierer persönlich einen Nutzen bringt. Nicht in Form von Geld, sondern in Form des fertigen Programms! (Einfaches Beispiel: Ein Script, das ich für mich schreibe, es aber dann in einem Linux-Forum veröffentliche.)

Ob das nun eine juristische Person ist, für deren Einsatzzweck das Programm geschrieben wird, oder eine natürliche, ist letztlich egal. Wichtig ist nur, dass das Ergebnis hinterher der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird. Ein ev. finanzieller Umwegnutzen (Support oder auch nur Arbeitserleichterung) ist natürlich nicht ausgeschlossen.

Noch ein weiterer Nutzen steht bei Opensource potenziell zur Disposition: Dass die Software von jemand Anderem weiterentwickelt wird, mir diese Weiterentwicklung als ursprünglicher Programmierer/Auftraggeber aber ebenfalls nützt.

Also: Uneingennützig ist da gar nichts. Der Unterschied liegt im beabsichtigten Nutzen. Man kann auch sagen: Freie Software ist Kommunismus (in seiner reinen Form), proprietäre Software ist Kapitalismus (ebenfalls in seiner reinen Form).

— Gerald · 21. Dezember 2010, 18:41

Man sollte erwähnen, das es bei den ehemalig kommerziellen Produkten Handbücher von sehr guter Qualität und Support gab. Der gar nicht mal so schlecht war b.z.w. den Preis wert.

Ansonsten habe ich nichts gegen kommerzielle Programme für den Profibereich.

— Hummel · 21. Dezember 2010, 23:58

Also es gibt schon kommerzielle Software für Ubuntu/Linux. Von 3DCoat, über VivaDesigner (sogar in einer FreeVersion), zu Pixeluvo bis hin zu Komodo. Ganz zu schweigen von Musik-Software (Bitwise) und CAD-Programmen.

Der Beitrag hier ist zwar schon etwas älter, aber das möchte ich einfach mal erwähnen.

Auch im Spiele-Bereich hat sich viel getan. Sehr viele Spiele sind nun mittlerweile auch für Linux (überwiegend Ubuntu-Distributionen) verfügbar.

Ganz zuletzt möchte ich noch anmerken, das Projekte wie Natron, Blender und Gimp einen festen Platz in der Software-Welt haben und viele andere sich diesen angeschlossen haben.

— Ulf · 21. April 2015, 16:25

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