Microsoft und Apple bieten tolle Betriebssysteme, Linux scheint neuerdings etwas zu verblassen als System auf dem Schreibtisch oder im Klapprechner. Seit nun knapp 15 Jahren setzt der Autor auf Linux als primäres System – auf dem Desktop, wohlgemerkt. Warum das so ist, und ob es die richtige Entscheidung war, verrät dieser kleine Rückblick.
Gefühlt hat Linux auf dem Desktop seit einiger Zeit nachgelassen. Der Ubuntu-Hype des letzten Jahrzehnts ist verflogen, es gibt keine alles überstrahlende Distribution mehr, die sich gezielt an Desktop-Nutzer richtet, wie es einst einmal eben mit Ubuntu oder SuSE oder Mandrake der Fall war – die fortschreitende Zerfaserung der Linux-Desktoplandschaft führt auch nicht gerade dazu, dass sich hier so etwas wie eine eindeutig erkennbare Linux-Desktop-Linie durchsetzt. Microsoft hat mit Windows 10 und 7 ziemlich gute Systeme im Angebot, und Mac OS bietet seit Jahren Kontinuität. Warum also noch Linux auf dem Desktop?
Es war schon mal einfacher
Die viele Auswahl, sowohl bei Distributionen als auch Desktopoberflächen, ist eher zweitrangig und schadet im Zweifel eher, als dass sie nutzt. Vor 15 Jahren gab es zum einigermaßen ernsthaften Desktop-Arbeiten nur KDE und Gnome – und trotzdem wechselten ab diesem Zeitpunkt bereits die ersten Normalos zum freien Betriebssystem. Und schon damals, trotz der Konkurrenz von im Wesentlichen nur zwei Desktopoberflächen, gab es Bemühungen, KDE und Gnome so weit einander anzugleichen, dass es für den Anwender keinen Unterschied machte, ob er Gnome- oder KDE-Programme verwendete. Wer kann sich noch daran erinnern, wie Red Hat mit „Bluecurve“ und Mandrake Linux mit „Galaxy“ den beiden Desktops dasselbe Erscheinungsbild überstülpten?
Pro Linux
Nein, die wirklichen Gründe, die für Linux sprechen, sind immer noch dieselben wie damals: Freiheit. Nicht primär die für den normalen Anwender eher theoretische Freiheit, jederzeit den Quellcode der Software analysieren zu können, sondern vor allem die damit zusammenhängende Freiheit, auch als Anwender eine weitreichende Kontrolle über das Betriebssystem zu haben.
Den Wendepunkt markierte damals Windows XP, das eine verpflichtende Registrierung des Systems einführte – und sonst die Arbeit nach einer Weile verweigerte. Aus Prinzip ging das manchem Anwender zu weit. Was man sich bei kommerziellen Anwendungsprogrammen fast wie selbstverständlich gefallen ließ, brachte auf Betriebssystemebene ein ungutes Gefühl mit sich: Das einwandfreie Funktionieren des Systems, dem man seine persönlichen Daten anvertraute, sollte nun davon abhängig sein, dass jemand bei Microsoft einen Schalter umlegte? Wenn die Registrierung scheiterte – aus welchen Gründen auch immer – verlor man die Kontrolle über sein rechtmäßig erworbenes System? Man vertraute einem Hersteller durch Kauf des Betriebssystems und wurde dafür mit Misstrauen belohnt und mit Schikanen gegängelt?
Natürlich war die Produktaktivierung nur eine Kleinigkeit, aber es ging ums Prinzip. Und schließlich wusste man nicht, was sich Microsoft eventuell noch so alles an Schikanen einfallen lassen würde. Dies war zumindest beim Autor die Motivation – neben allgemeinem Interesse für neue technische Möglichkeiten –, sich mit der Alternative Linux zu beschäftigen – und es nach ein wenig Eingewöhnungszeit recht schnell als Standard privat wie beruflich einzusetzen. Auf Microsofts Windows kann gerade im beruflichen Umfeld nicht komplett verzichtet werden, doch auch hier spielt es seitdem für die essentiellen Aufgaben keine primäre Rolle mehr.
Technische Überlegenheit
Doch mit dem Umstieg auf Linux wurde nicht nur prinzipiell mehr Unabhängigkeit gewonnen, sondern auch praktische: Aus unzähligen Desktoplösungen und Programmvarianten wählen zu können, sich gezielt für den Einsatzzweck die passende Oberfläche zusammenzustellen, dieser Vorteil wurde einem erst später richtig bewusst, als man über den Tellerrand von KDE und Gnome hinauszuschauen begann. Das umfassende Softwareverwaltungssystem, die Unkompliziertheit von Aktualisierungen im laufenden Betrieb, der stabile technische Unterbau, das waren Boni, mit denen man auch noch belohnt wurde.
Der Umstieg auf Linux war dann letztlich auch die richtige Entscheidung, wie weiterer Ärger mit dem Nachfolger Windows Vista zeigen sollte: dieses versetzte sich auch nach erfolgreicher Aktivierung immer mal wieder, ganz unwillkürlich, in den „Raubkopierermodus“ und tat so, als sei es eine nichtlizenzierte Version: mit schwarzem Hintergrundbild und dem permanenten Hinweis, dass das System noch nicht aktiviert worden und demnächst nicht mehr zu benutzen sei – trotz vorheriger erfolgreicher Aktivierung.
Dass es heute bei Windows 10 die Notwendigkeit gibt, nach einer Installation Unmengen von Privatspähre-Einstellungen abarbeiten zu müssen, um dem Hersteller nicht sein privates Nutzungsverhalten frei Haus zu liefern, zeigt, dass Microsoft weiterhin seinen Kurs fährt. Oder anders gesagt: Solange der Immer-noch-Marktführer auf dem Desktop solche Methoden an den Tag legt, ist es die beste Werbung, die sich Linux nur wünschen kann. Dass Linux prinzipiell auch noch gratis zu haben ist, mag ein nettes Plus sein, tritt dabei aber sogar eher in den Hintergrund.
Leise Zweifel
Natürlich, es gibt diese Momente, in denen man sich fragt, ob man sich die Was-haben-sie-jetzt-wieder-bei-Gnome-ausgebaut- oder die Was-wird-jetzt-wieder-bei-KDE-abstürzen-Gedanken wirklich wieder antun will bei der turnusmäßigen Aktualisierung der Distribution alle paar Jahre. Ob man nicht einfach mal den bequemen Weg gehen will, sich einfach mal ein fertiges Produkt vorzusetzen, das man nicht großartig verändern kann und mit dem man sich vielleicht besser arrangiert, wenn nicht noch zig Alternativen darauf warten, ausprobiert zu werden. Doch nach einem Blick auf die Bevormundung bei den geschlossenen Systemen und deren Unflexibilität („Was, man kann bei Windows inzwischen nicht mal mehr eine zweite Taskleiste haben?“) verschwinden die Zweifel am Pinguin stets wieder zuverlässig recht schnell. Es bleibt, wenn man erstmal Linuxluft geschnuppert hat, für viele Zwecke eines der praktischsten und zuverlässigsten Betriebssysteme.
Es sieht nicht so aus, als würde Linux auf dem Desktop so schnell verschwinden – hier jedenfalls nicht. Auf die nächsten 15 Jahre mit Linux auf dem Desktop.