Das E-Mail-Programm Thunderbird aus dem Hause Mozilla, das auch für Firefox verantwortlich zeichnet, soll nicht mehr gemeinsam mit Firefox entwickelt werden. Mozilla will sich von Thunderbird trennen. Es bleibt die Frage, ob für das Programm ein neues Zuhause gefunden werden kann.
In der Vergangenheit wurden Thunderbird und Firefox oft als Gespann wahrgenommen, was sie technisch auch waren. Thunderbird benutzte denselben Unterbau wie Firefox; so wie der Fuchs Internetseiten anzeigte, wurden E-Mails von Thunderbird dargestellt. Damit soll nun Schluss sein. Mozilla will sich endgültig von Thunderbird trennen, d. h. es von der technischen Entwicklung des Firefox separieren, nachdem es die Weiterentwicklung zuvor schon eingestellt und das Programm kurzerhand als „fertigentwickelt“ deklariert hatte.
Dabei wurde Thunderbird früher schon einmal ausgelagert, allerdings nur organisatorisch: im Jahre 2007 wurde das Mailprgramm in die neugeschaffene Tochter-Stiftung Mozilla Messaging ausgegliedert, um die Weiterentwicklung zu forcieren, Thunderbird zu einer echten Kommunikationszentrale auszubauen – mit bescheidenen Ergebnissen. Vier Jahre später war Mozilla Messaging bereits am Ende, Thunderbird schlüpfte wieder direkt unter die Fittiche von Mozilla. Die technischen Strukturen im Hintergrund blieben jedoch dieselben. Ein Jahr später kam dann das endgültige Aus, die Weiterentwicklung wurde der Community überlassen. Das Ende von Thunderbird bei Mozilla war indes schon zu erahnen: Auf den Mozilla-Webseiten wird Thunderbird schon seit längerem nicht mehr beworben.
Mozilla ist gewillt, künftigen Entwicklern Hilfestellung zu geben, aber Thunderbird soll auf jeden Fall aus der Mozilla-Umgebung herausgelöst werden, damit Mozilla den Fokus ganz auf die Firefox-Entwicklung legen kann. Das Überleben von Thunderbird scheint damit keinesfalls gesichert, auch wenn es außerhalb von Mozilla fortgeführt werden sollte. Fraglich ist auch, wie sich das neue Szenario auf Projekte wie Seamonkey auswirken wird. Die Seamonkey-Suite könnte somit ebenfalls vor ihrem Ende stehen, wenn Mozilla die Hauptkomponenten Mail und Web nicht mehr wie bisher bereitstellt.
Fehlendes Geschäftsmodell
Es gab noch nie ein Geschäftsmodell für Thunderbird, es war eine Altlast, die nach der Aufteilung der Mozilla-Suite entstand. Damals wurde Thunderbird noch als zu wertvoll angesehen, um es einfach fallenzulassen, doch heute sähe es wahrscheinlich anders aus. Dabei ist Thunderbird nicht nur ein E-Mail-Programm, sondern vereinte und vereint eine Fülle von Kommunikationsanwendungen. Neben einem E-Mailer ist Thunderbird auch Usenet-Client, RSS-Newsreader, Twitter-Client und Kontaktverwaltung. Mit den entsprechenden Erweiterungen lässt es sich sogar zur Terminverwaltung hochrüsten.
Outlook konnte es jedoch nie Paroli bieten, auch weil die Kalenderintegration nie ernsthaft angegangen wurde, und auch unter Linux war die Konkurrenz im E-Mail-Bereich eher groß: KMail, Evolution, Sylpheed oder Claws-Mail sind hier die gängigen Alternativen. Die Plattformunabhängigkeit war lange Zeit der große Vorteil von Thunderbird, es gab kaum ein E-Mail-Programm, mit dem man seine E-Mails sowohl unter Windows als auch Mac und Linux gleich verwalten konnte. Inzwischen haben andere Programme aufgeschlossen.
Hier hat es sich gerächt, dass Mozilla für Thunderbird – wie auch für Firefox – primär die Privatanwender im Blick hat. Professionelle Anwender haben ihr Outlook, Privatanwender ihr G- und sonstiges Webmail – und für Thunderbird bleibt nicht mehr viel übrig. Thunderbird ist mittlerweile ein Nischenprodukt. Die Masse an E-Mail-Nutzern nutzt E-Mail auf unterschiedlichen Kanälen und mobil – und Thunderbird auf dem Smartphone wurde ebenso verpennt wie zuvor lange Zeit die Mobilentwicklung für Firefox.
Dass sich Mozilla nun endgültig von Thunderbird trennen will, ist nachvollziehbar, nicht nur aus technischer, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Zwar gab es auch Versuche, bei Thunderbird mit voreingestellten E-Mail-Dienst-Empfehlungen Einnahmen zu erzielen, doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch wenn Mozilla mit Thunderbird ein ausgereiftes Produkt hat, das ohne große Konkurrenz dasteht (im Gegensatz zum Zugpferd Firefox), zahlt es sich für Mozilla im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus.
Enttäuschte Community
So nachvollziehbar dies auch ist, so befremdlich ist es gleichermaßen, dass Mozilla nun abermals ein bewährtes Projekt ziehen lassen will. Denn bei jeder Gelegenheit betont die Mozilla-Stiftung ihre Gemeinnützigkeit, die Fokussierung auf die Interessen der Anwenderschaft, die sie von anderen Organisationen unterscheidet. Doch im Interesse der Thunderbird-Anwender war der Abzug aller bezahlter Entwickler sicherlich kaum, und auch die jetzt angekündigte endgültige Herauslösung aus der Organisation wird vielen nicht gerade Freudenschreie entlocken. Allen, die in der Vergangenheit an Mozilla gespendet haben, um auch Thunderbird voranzubringen, werden sich nun gelinde gesagt leicht veräppelt fühlen. Ironischerweise könnte sich durch die endgültige Aufgabe von Thunderbird die Chance ergeben, dass das Programm irgendwann einmal wieder aktiver weiterentwickelt wird – sofern sich ein neuer Heimathafen finden sollte. Für Mozilla zeigt sich jedoch, dass auch hier letzten Endes die kommerziellen und organisatorischen Interessen im Vordergrund stehen – Gemeinnützigkeit hin oder her. Böse formuliert: Unter Gemeinnützigkeit scheint Mozilla eher zu verstehen, unprofitable Projekte an die Gemeinschaft abzugeben.
Für Thunderbird-Nutzer wird sich zunächst jedoch einmal nichts ändern, die Absichten von Mozilla befinden sich in einem sehr frühen Stadium, die Diskussionen um das weitere Vorgehen werden erst jetzt beginnen. Langfristig wird man sich aber schon einmal darauf einstellen können, dass Thunderbird kein Mozilla-Produkt mehr sein wird – und die Zukunft des Programmes ungewiss.