Quantum ist da – und Firefox ist wieder konkurrenzfähig geworden – technisch wieder auf der Höhe der Zeit. Doch ein Alleinstellungsmerkmal fehlt. Was der neue Firefox mit einer Zahnbürste gemeinsam hat …
Die Frage aus der Überschrift gerade im Open-Source-Umfeld zu stellen mag ketzerische Züge haben – schließlich war Firefox es, der das einst von proprietären Browsern abhängige Web befreite. Dass Webseiten heute für das Internet und nicht für bestimmte Browserversionen gemacht werden, ist auch das Verdienst von Firefox. Doch diese Zeiten sind vorbei, kein Browser kann sich heute noch Alleingänge leisten.
Die Poweruser und alten Hasen werden ihren Schockmoment bereits gehabt haben: Von den installierten und liebgewonnenen Erweiterungen bleibt oft nicht mal eine einzige erhalten im neuen Firefox. Das Alleinstellungsmerkmal ist erst einmal dahin. Die Möglichkeit, Firefox nahezu unbegrenzt den eigenen Bedürfnissen anzupassen, ist passé.
Alternativen
Alternativen müssen her, doch die sind, wenn es sie schon gibt, in der Regel nicht mehr so mächtig und umfangreich wie bisher. Das ist seitens Mozilla gewollt: Erweiterungen können nicht mehr so tief in die Firefox-Funktionen eingreifen wie bisher. Firefox hat mit seiner alten Oberfläche auch gleich die damit einhergehenden unglaublichen Anpassungsmöglichkeiten durch Dritte entsorgt.
Viele Entwickler umfangreicher Add-ons haben daher das Handtuch geworfen und die Entwicklung ihrer Firefox-Projekte eingestellt. Darunter viele kleine nützliche Helferlein, aber auch größere Projekte, die aus Firefox mehr machten als nur einen Browser. Das war abzusehen. Warum sollten gerade nichtkommerziell tätige Entwickler ihre über die Jahre gewachsenen Projekte auf eine neue technische Basis umstellen, wenn diese am Ende dann doch nicht mehr die Möglichkeiten bietet, die es ursprünglich einmal gab? Die Erweiterungen in Firefox sind qua Design nun das, was sie auch bei Chrome von Anfang an waren: Kleine Ergänzungen vor allem für das Handling der im Browser angezeigten Inhalte, aber kaum noch Änderungen an der Funktionalität des Browsers selbst.
Keine Alternative?
Mozilla steckte in der Zwickmühle: XUL, die alte Oberfläche, war langsam und bremste den Browser aus. Mit der darunterliegenden Technik, der Browser-Engine Gecko, sah es wenig anders aus. Das alte Konzept war immer noch wie für die Jahrhundertwende gemacht. Vor 15 Jahren genial, doch inzwischen zählen andere Dinge. Insofern hätte Mozilla schon längst den Stecker ziehen müssen, um den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verlieren. Geschwindigkeitszuwachs und höhere Stabilität sind die Punkte, die Mozilla erreichen muss und mit dem neuen Firefox auch erreicht.
Stabilität und Geschwindigkeit kommen, Flexibilität und Unabhängigkeit gehen
Das Problem bleibt jedoch: Geschwindigkeit ist nicht der Grund, weswegen sich viele Nutzer Firefox installieren. Das Alleinstellungsmerkmal von Firefox waren nie Stabilität und Geschwindigkeit, sondern Flexibilität und Unabhängigkeit. Gerade das Erweiterungssystem ermöglichte, auch Funktionen zu realisieren, die von Mozilla selbst eben gar nicht vorgesehen waren. Das machte den Browsernutzer zu einem guten Teil unabhängig vom Hersteller, was man beim letzten großen Re-Design beobachten konnte: Wem Australis nicht passte, installierte die entsprechenden Erweiterungen – und hatte seinen gewohnten alten Firefox wieder. Das geht nun nicht mehr.
Firefox gibt nun genau diese Alleinstellungsmerkmale auf, den Fundus an Add-ons, den bislang kein anderer Browseranbieter zustandebrachte. Über die Jahre war es zu einem phantastischen Ökosystem herangewachsen, das für fast alle erdenklichen Wünsche die passende Erweiterung bereithält. Selbst die vor einiger Zeit eingeführten Zwangssignierungen und die Umstellung auf schnellere Entwicklungszyklen haben diese Vielfalt nicht entscheidend ausbremsen können.
Harter Schnitt
Nun aber kam der harte Einschnitt – mit der Abschaffung der alten Erweiterungen wird der größte Teil des gesamten bisherigen Reservoirs an Firefox-Add-ons mit einem Schlage inkompatibel. Wenn die Erweiterungs-Entwickler ihre Erweiterungen nicht neuschreiben, wird die entsprechende Funktionalität künftig nicht mehr bereitstehen. Ob es wirklich so kommt, dass Erweiterungen reihenweise sterben – oder ob die Add-on-Programmierer am Ende doch in den sauren Apfel beißen und zumindest eine ähnlich umfangreiche Erweiterung anbieten werden, das wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
Warum noch Firefox?
Damit wäre man wieder bei der Eingangsfrage: Wozu eigentlich noch Firefox? Im neuen Gewand ist er vor allem eine Alternative zu Googles Chrome und dessen Derivaten. Aber er bietet aus Anwendersicht praktisch nichts mehr, was andere nicht auch bieten. Was sind die stichhaltigen Gründe, heute noch zu Mozilla Firefox zu greifen, abseits von entwicklungsphilosophischen Erwägungen?
Leistungsstärke? Sind andere auch. Schnellerer Seitenaufbau und weniger Speicherbedarf? Hat die Konkurrenz schon lange. Neues Design? Nichts Weltbewegendes und erinnert immer noch viel zu sehr an Chrome. Smarte Features? Welche sollen das sein, die man woanders nicht auch findet? Wie will man bei Mozilla Chrome noch übertreffen? Oder ist das Ziel nur noch, eine Alternative zu bleiben? Nur genauso gut zu sein wie Chrome, das wird nicht reichen, um Google die Nutzer wieder abspenstig zu machen. Mit Screenshotfunktion und Pocket-Integration holt man jedenfalls kaum abspenstig gewordene Chrome-Nutzer wieder zurück.
Neuester Firefox aller Zeiten
Ausgerufen wird er von vielen schon als bester Firefox aller Zeiten – die Aufbruchstimmung ist spürbar. Ob es tatsächlich der beste ist, das wird sich auch an den künftigen Nutzerzahlen messen lassen müssen. Bleibt zu hoffen, dass es nicht auch zum größten Nutzerschwund aller Zeiten führt. Denn ob Firefox noch einmal so viele Nutzer begeistern wird wie zu seinen Hochzeiten, bleibt fraglich. Ein bisschen wirkt es, als wäre Firefox 57 die Antwort auf die Frage, die niemand gestellt hat. Unbestreitbar ist der Browser jedoch der neueste Firefox aller Zeiten, es ist der größte Umbruch seit seiner Entstehung, sowohl oberflächlich als auch unter der Haube. So gravierend waren die Änderungen nicht einmal, als die Transformation von der alten Mozilla-Suite zu Firefox erfolgte.
Firefox war bisher das Schweizer Taschenmesser unter den Browsern. Altmodisch, aber für jeden Einsatzzweck das richtige Werkzeug ausklappbar. Der neue Firefox wirkt dagegen wie eine elektrische Zahnbürste. Alles frisch und neu und noch ein bisschen modular – aber die Verwendungsmöglichkeiten sind überschaubarer geworden.