Keramik is back – ein kurzer Blick auf KDE-3-Ersatz Trinity

29. Oktober 2012

Im Gnome-Lager dauerte es nicht lange, bis die ersten Alternativen für Freunde traditioneller Desktopumgebungen bereitstanden, als das Gnome-Projekt sein populäres Gnome 2 aufgab und sich in das Experiment Gnome-Shell stürzte. Mate und Cinnamon knüpfen auf jeweils ihre Weise an das bisherige Gnome an, daneben stehen mit XFCE und LXDE noch zwei weitere Alternativen aus dem GTK-Bereich bereit. Im KDE/QT-Bereich ist die Zahl der Alternativen nicht ganz so hoch, aber es gibt sie. Nachdem KDE ganz auf Plasma setzte, sprang Trinity in die Bresche und übernahm die Codebasis von KDE 3, um auch in Zukunft den Nutzern ein KDE-3-artiges Desktop-Erlebnis zu erhalten – denn das originale KDE 3 ist mittlerweile aus fast allen Distributionen verschwunden und wird vom KDE-Projekt längst nicht mehr gewartet.

TDE, wie sich Trinity auch nennt, beschränkt sich dabei jedoch nicht nur auf die Erhaltung des ehemaligen KDE 3, sondern will den Desktop in Maßen weiterentwickeln – vor allem bei der Konfiguration der Voreinstellungen trägt TDE bereits jetzt eine erkennbar eigene Handschrift. Man sieht, dass TDE nicht nur ein KDE-3-Legacy-Projekt sein will, sondern eine eigene Linie verfolgt.

So kommt Trinity in der Standardauslieferung zum Beispiel ohne hüpfenden Mauszeiger als Programmstartindikator aus. Auffällig ist ebenfalls die Bevorzugung des Doppelklicks, den KDE-typischen Einfachklick bei der Dateiverwaltung hat man in der Vorauswahl deaktiviert.

Vorhanden sind sämtliche Einstellungen natürlich noch, wer will, kann sich originales KDE-3-Verhalten wieder hervorzaubern. Bei der Optik ist man hingegen durch und durch konservativ, unmodifiziertes „Plastik“ ist wie zu alten Zeiten Standard-Theme. „Keramik“ und die noch älteren Standard-Themes sind ebenfalls mit an Bord.


TDE-Desktop im Plastik-Look mit klassischem Kicker und Konqueror


Auch das Keramik-Theme ist dabei – aber standardmäßig kein hüpfender Mauszeiger

Es ist aber ebenso ersichtlich, dass noch ein langer Weg vor dem Projekt liegt, wenn aus Trinity einmal ein ähnlich guter Desktop werden soll, wie es KDE 3 war. KDE lebt traditionell von seiner engen Verzahnung und dem Zusammenspiel seiner eigenen Anwendungen, es war und ist stets eine Komplettlösung – ein KDE nur als Desktopmanager ohne KDE-Programme wäre nur ein halbes KDE. Dementsprechend hat Trinity kaum eine andere Wahl, als auch alle alten KDE-3-Programme weiterhin mit auszuliefern, was es auch tut. Damit jedoch scheint sich das Projekt zu übernehmen.

Bei der vorgegebenen Installation des aktuellen Trinity auf dem (noch) aktuellen Fedora 17 landet tatsächlich ein vollständiges System mit allem Drum und Dran auf der Festplatte. Vom Editor hin zur Java-Bibliothek wird alles Erdenkliche installiert. Vom Mailprogramm bis zum Arkade-Spiel. Doch bereits bei der Grundfunktionalität, beim Desktop an sich, kommt es zu unschönen Fehlern. So wird beim ersten Start im Begrüßungsdialog die bevorzugte Sprache abgefragt, Deutsch lässt sich auswählen, wird jedoch nicht übernommen. Erst innerhalb von Trinity gelingt über das Kontrollzentrum die Umstellung der Spracheinstellungen, Trinity zeigt sich anschließend jedoch in einem Englisch-Deutsch-Mischmasch, nicht nur in unterschiedlichen Anwendungen, sondern auch innerhalb derselben Programme oder gar Menüs. TDE ist somit nur fragmentarisch auf Deutsch verfügbar.


Sprachen-Mischmasch in den Standardmenüs


Eine manuelle Änderung der Dateizuordnungen bleibt ohne Auswirkung

Beim Aufruf der Panel-Einstellungen stellt sich das Panel plötzlich auf doppelte Höhe um. Die Datei-Programm-Zuordnung hat keine Funktion. Textdateien werden stets mit Kate geöffnet, auch wenn man global einen anderen Editor als Standard zum Öffnen vorgibt. Zudem gibt es keine Buttons zum Herunterfahren des Computers, im Panel oder Menü findet man nur Befehle zum Abmelden aus der Sitzung. So muss man zum Ausschalten des Rechners den Umweg über den Anmeldebildschirm wählen. Nur optisch unschön ist, dass die Komponente, um GTK-Programme den KDE-Stil überzustülpen (die GTK-QT-Engine), nicht mehr mitgeliefert wird. Dadurch sehen GTK-Programme unter Trinity sehr eigen aus.

Wahrscheinlich ist, dass Bugs in Zukunft behoben werden, doch momentan werden offenbar viele neue erstmal eingebaut, die es beim früheren KDE 3 noch nicht gab. Einschränkend muss man dem Projekt jedoch zugutehalten, dass es noch von keiner Distribution standardmäßig unterstützt wird. So ist man auch wie hier im Falle von Fedora auf eine externe Quelle angewiesen. An dieser Stelle scheint der Hund begraben zu sein: wenn kein Distributor im Hintergrund steht, der sich um eine bessere Einbindung ins jeweilige System kümmert und eventuelle Schwächen selbst ausbügelt, dann ist mit einem kompletten und komplexen System wie Trinity wohl dauerhaft kein Staat zu machen. Solange keine Distribution für die Glättung von Kanten sorgt, scheint ein wirklich sorgloses Arbeiten mit Trinity vorerst ein Wunsch zu bleiben, auch wenn die Nachinstallation selbst recht einfach gelingt. Stabil ist es – aber es funktioniert nicht ganz, wie es soll.

Auch wer denkt, er könnte dem Ressourcenhunger des aktuellen KDE ein Schnippchen schlagen, indem er auf schwächeren Maschinen stattdessen Trinity verwendet, wird enttäuscht werden. Zwar ist TDE um einiges flotter als KDE 4, im Vergleich zu z.B. LXDE oder Fenstermanagern aber immer noch ein Schwergewicht.

Erster Eindruck: „verheerend“ wäre übertrieben, aber die vielen Bugs bei simplen Grundaufgaben stechen geradezu ins Auge. „Ambitioniert“ wäre wohl die treffendste Vokabel. TDE ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt und Entwicklungsstand nur etwas für Hardcore-KDE-Nostalgiker. Auf unbedarfte Nutzer kann man Trinity jedenfalls noch nicht loslassen. Wenn man als alter KDE-3-Fan jedoch mit den Fehlern leben kann oder umzugehen weiß und die gesamte Umgebung am besten gleich auf Englisch nutzt, dann ist Trinity durchaus eine vollwertige Alternative zum Rest des Desktop-Angebots. Irgendwann könnte Trinity vielleicht einmal ein guter Desktop werden, aber dazu sollten sich die Macher dann besser auf das Wesentliche konzentrieren – den Desktop, die Dateiverwaltung und deren Helferlein – und nicht auf Biegen und Brechen versuchen, das komplette KDE 3 zu erhalten. Das muss bei mangelnder Manpower einfach schiefgehen.


Statt Dolphin wieder Konqueror für die Dateiverwaltung

Trinity dürfte es dabei ohnehin noch schwerer haben neue Fans und Entwickler zu finden als etwa Mate oder Cinnamon, die ein Desktop-Konzept bewahren, das KDE jedoch seinerseits nie aufgegeben hat – KDE 4 lässt sich auf dem Desktop prinzipiell exakt so bedienen wie seine Vorgänger. Eine zwingende Notwendigkeit für Trinity, stellt man einmal auf das Desktoperlebnis ab, ist daher aus Sicht der Nutzer kaum gegeben. Es sind vordergründig die Applikationen und deren Stabilität selbst, die für Trinity sprechen könnten, doch diese werden vom aktuellen KDE in neuen Versionen wieder bereitgestellt und haben mittlerweile ebenso wieder eine zufriedenstellende Stabilität erreicht.


aus der Kategorie: / Tests / Gnome & KDE

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Kommentare

wenn kein Distributor im Hintergrund steht, der sich um eine bessere Einbindung ins jeweilige System kümmert und eventuelle Schwächen selbst ausbügelt, dann ist mit einem kompletten und komplexen System wie Trinity wohl dauerhaft kein Staat zu machen.

Gegenbeispiel: Xfce. Kein Distributor steht im Hintergrund, trotzdem läuft’s auch unter Fedora (meist ;-)) fehlerfrei.

tux. · 29. Oktober 2012, 21:50

Danke für den langen Artikel. Nutze selber kein KDE, bin aber froh, jetzt im Bilde zu sein für einen KDE3-Fork. Den würde ich wg. älterer Hardware nämlich nutzen wollen, falls Mate mal nicht weiterentwickelt wird.

— stefan · 30. Oktober 2012, 08:53

Überaus lesenswerter Artikel von Martin Gräßlin über das Trinity-Projekt: http://blog.martin-graesslin.com/blog/2012/02/having-a-look-at-the-oldnew-desktop-environments/
Ich denke, da muss sich niemand was vor machen, Trinity wird nie etwas werden und das ist auch ganz gut so. Die (zwei?) Entwickler sind offenbar absolut KDE4-ignorant, leiden unter Omnipotenz-Vorstellungen und sind nicht bereit für technisch fundierte Diskussionen.

Maxi · 30. Oktober 2012, 19:57

Gegenbeispiel: Xfce. Kein Distributor steht im Hintergrund, trotzdem läuft’s

XFCE ist deutlich kleiner als TDE/KDE 3, kommt nur mit dem Nötigsten und verzichtet auf eigene große Anwendungen. Von daher dürfte theoretisch grundsätzlich auch weniger Nachbesserungsbedarf bestehen. ;-) Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn sich mehr Distributionen um einen bessere Integration/Voreinstellung von XFCE kümmern würden. Ein blankes XFCE z.B. auf Debian und ein XFCE, wie es Xubuntu oder Mint anbieten, das ist schon ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Pinguinzubehör · 30. Oktober 2012, 21:16

Ich denke, da muss sich niemand was vor machen, Trinity wird nie etwas werden und das ist auch ganz gut so.

Sinnvoll ist es sicherlich nicht, wenn man z.B. einen Kosten-Nutzen-Faktor für die Bewertung zugrunde legt, wobei Kosten hierbei gerne auch durch Aufwand ersetzt werden kann. Doch glücklicherweise ist Sinnhaftigkeit kein ausschlaggebendes Kritierium, sonst wären viele tolle Projekte gar nicht erst entstanden. Das Gleiche hat man nämlich damals auch zu KDE 1 sagen können. Nicht sinnvoll, zu aufwändig, falsches Toolkit, braucht niemand, benutzt niemand, programmiert nur Windows 95 und CDE hinterher etc.

Skeptisch darf man natürlich trotzdem bleiben. Ich teile Martins Ansichten über TDE im Wesentlichen. Tinity eignet sich weder für alte Hardware, noch ist es “lightweight” (auch wenn es einen Tick flotter ist als KDE 4), noch bringt es wesentliche Vorteile im Workflow gegenüber KDE 4, und für ein reines Nostalgie- oder Anti-KDE-4-Projekt ist es eine Nummer zu groß. Einem Projekt deswegen generell die Existenzberechtigung abzusprechen wäre jedoch sicherlich auch nicht die goldene Mitte.

Persönlich finde ich es gut, dass der Versuch gemacht wird, alte Software lauffähig zu halten (und, fast noch wichtiger, für zahlreiche Distributionen zur komfortablen Installation anzubieten), die Hintergründe interessieren als Nutzer dabei zunächst einmal nicht. Dass Entwickler, die inzwischen schon am übernächsten Nachfolgeprojekt programmieren, das anders sehen, liegt in der Natur der Sache. Aber selbst wenn “Hass auf KDE 4” Antriebsfeder für die Weiterentwicklung ist – wenn ein Nutzer, der Keramik liebt, dadurch weiterhin Keramik nutzen kann – warum nicht?

Ich könnte mir trotz allem vorstellen, dass es den einen oder anderen gibt, der mit Trinity tatsächlich mehr anfangen kann als mit KDE 4 oder LXDE. KDE 3 war eben doch etwas anderes als das heutige Plasma, d.h. es gibt Unterschiede, die für eine Verwendung ausschlaggebend sein können.

Pinguinzubehör · 30. Oktober 2012, 21:19

auch wenn es einen Tick flotter ist als KDE 4
Das ist ein Punkt den ich mittlerweile durchaus bestreiten würde. KDE Software profitiert enorm von den Optimierungen, die Nokia in Qt 4 gepackt hat. Immerhin gab es vor dem Schwenk zu Windows Phone 8 doch einige Smartphones mit Qt 4 Oberflächen – auch auf Hardware, die vergleichbar ist mit > 10 Jahre alter Desktop Hardware.

In Qt 3 fehlt das komplett. Auch war Multi-Threading in Qt 3 Zeiten eher nicht verbreitet – heute ist das ganz normal. Und davon profitieren auch Anwendungen wenn man keinen Multi-Core Rechner hat. Synchrones laden von Dateien? Sowas ist heute Geschichte.

Der Austausch des Grafiksystems von native zu raster – davon profitieren alle Anwendungen. In Qt 3 gibt es das raster Backend nicht einmal optional.

Wenn man “KDE 4” (was auch immer man darunter versteht) auf das reduziert, was auch schon mit KDE 3.5 möglich war, dann hat ziemlich sicher KDE 3.5 keine Chance mitzuhalten. Wenn man “KDE 4” mit allem was es kann mit 3.5 vergleicht, dann ist das halt Äpfel und Birnen.

Dass Entwickler, die inzwischen schon am übernächsten Nachfolgeprojekt programmieren, das anders sehen, liegt in der Natur der Sache.
Falls du damit mich meinst: ich arbeite nicht an einem Nachfolgeprojekt. Ich arbeite an dem selben Programm, dass es auch unter KDE 3.5 schon gab. Ein Punkt den zum Beispiel auch die Trinity Entwickler nicht verstehen. Die Änderungen im Fenstermanager sind in Wahrheit minimal.

wenn ein Nutzer, der Keramik liebt, dadurch weiterhin Keramik nutzen kann – warum nicht?
sudo aptitude install kdeartwork-theme-window

Martin Gräßlin · 1. November 2012, 10:36

Falls du damit mich meinst: ich arbeite nicht an einem Nachfolgeprojekt. Ich arbeite an dem selben Programm, dass es auch unter KDE 3.5 schon gab.

Nein, das war nicht auf Dich gemünzt – ich nehme einfach mal an, dass es sich generell so verhält: wenn ich ein neues/aktuelles/verbessertes Produkt veröffentliche, wünsche ich mir in der Regel auch, dass die Anwender das aktuelle einsetzen.
Dementsprechend sollte damit eigentlich auf Plasma angespielt werden, nicht auf KWin.

sudo aptitude install kdeartwork-theme-window

Ich meinte nicht nur die Fensterdeko, sondern den eigentlichen Keramik-Style, zur Zeichnung der Fensterinhalte (für alle: der Stil, wie er z.B. im 3. und 5. Bild oben zu sehen ist).

Pinguinzubehör · 1. November 2012, 22:11

@ Maxi · 30. Oktober 2012, 20:57

LOOOOL, lass Sie doch. Wenn es denen Spaß macht.

Gruß
Woots

— Wootsdock · 1. November 2012, 22:47

Der Keramik und Pastique-Stil ist noch immer optional vorhanden und kann unter KDE4 nachinstalliert & genutzt werden.
Generell sind sowohl Trinity als auch MATE eher kurzlebige Projekte. Die Zukunft liegt eher in den “neuen” Desktopoberflächen KDE4 und GNOME3 sowie in Projekten wie Razor-Qt und Cinnamon, welche auf aktueller Technologie altes Desktop-Verhalten nachbauen.

Matthias · 2. November 2012, 02:31

Der Keramik und Pastique-Stil ist noch immer optional vorhanden und kann unter KDE4 nachinstalliert & genutzt werden.

Plastik bzw. Plastique ist bei KDE 4 normalerweise standardmäßig schon dabei, aber Keramik (oder gar den alten KDE-2/3.0-Stil) nachzuinstallieren ist mir bislang nicht geglückt (Ausnahme: die Keramik- und KDE-2-Fensterdekorationen, diese sind verfügbar). Gibt’s dafür irgendeinen Geheimtipp?

Pinguinzubehör · 2. November 2012, 12:41

Ich hänge wahrscheinlich immer ziemlich weit hinter der aktuellen Technik her , benutze aus finanziellen Gründen ältere Hardware (PentiumIV).
Meiner Erfahrung nach ist Trinity auf lahmen Rechnern sogar schneller als IceWM , sieht aber um einiges besser aus.Ich denke dass ist auch der Sinn des TDE Projekts.Etwas Abstimmung auf die eigene Distribution ist natürlich erforderlich ,man kann sich ja auch die wmpoweroff und wmreboot Befehle ins Starmenü eintragen ,da finde ich sie jetzt auch schneller.

— Ploppy8888 · 13. September 2013, 21:43

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