Wer bisher Gnome 2 nutzte und es mochte, steht nun bekanntlich vor Problemen. Denn es kommt jetzt so langsam der Zeitpunkt, an dem Gnome 2 aus den Distributionen entfernt wird. Gnome-2-Fans bleibt derzeit nur, sich ins Chaos zu stürzen. Doch wie wäre es mit einem Blick über den Tellerrand? Kann KDE zur neuen Heimat für alte Gnome-Nutzer werden?
Die simple Antwort ist: ja, es kann. Denn KDE 4 hat mehr mit Gnome 2 gemeinsam als dieses mit dessen eigener Nachfolgerin, der Gnome-Shell. Der technische Unterbau ist ein anderer, die Desktopphilosophie unterscheidet sich ein wenig – aber hey – es ist auch ein Linux-Desktop mit Icons, Leisten und Programmen.
KDE, die erste Linux-Desktop-Umgebung
KDE 1 war zum damaligen Zeitpunkt ein Befreiungsschlag für die Linuxwelt. Das spätere KDE 2 ahmte dann die proprietäre Konkurrenz nicht nur nach, sondern übertraf sie erstmals. Und KDE 3? KDE 3 war quasi die Stabilisierung und Perfektionierung von KDE 2 mit knallbunter Keramik/Plastik-Optik im Stile der Zeit. Nun, es war zuletzt schön, dass es da war, aber spätestens seit den neuen Windows-Versionen und dem aufpolierten Mac OS sah es endgültig etwas verstaubt aus. Am Ende lief dann auch noch das durch Ubuntu gepushte braun-orangefarbene Gnome dem kühlen KDE den Rang ab. Selbst im alten Europa (dessen Distributionen SuSE und Mandriva traditionell auf KDE setzten) wurde Gnome immer populärer. Es galt als chic, das neueste Gnome zu nutzen, das irgendwie auch immer ein bisschen näher am großen Vorbild Apple dran war, während KDE stets eher wie das bessere Windows wirkte.
Beim letzten Test von KDE schnitt KDE 4 überraschend gut ab. Jetzt, da Gnome sich quasi selbst abgeschafft hat, wird es vielleicht Zeit, sich auf die Wurzeln des Linux-Desktops zu besinnen.
KDE für Gnome-Nutzer
Wie ist das, wenn man nach Jahren der KDE-Abstinenz wieder einsteigt (und zwar bei einem KDE, das sich mittlerweile völlig neu erfunden hat) – oder gar zum ersten Mal nach langem Arbeiten mit Gnome KDE ausprobiert? Wie kommt man klar mit dem KDE-Desktop, den man vielleicht noch von früher kennt oder schon mal einen schnellen Blick riskiert hat, aber Gnome diesem bisher stets vorgezogen hatte? Vor allem: was bietet KDE dem erfahrenen Gnome-Nutzer?
Die KDE-Philosophie
KDE vereint seit jeher die besten Konzepte von Unix/CDE, Windows, Mac OS und den hochkonfigurierbaren, aber simplen Fenstermanagern in sich. Das ist das Faszinierende, was die Nutzer bereits bei KDE 1 begeisterte: natürlich auch, dass es erstmals eine Desktopoberfläche für Linux aus einem Guss gab, aber auch der Funktionsumfang, die erweiterten Möglichkeiten gegenüber Windows & Co. und das geschickte Vereinen und Kombinieren der besten Konzepte. Einem Windows- oder Gnome-Umsteiger sprangen und springen z.B. recht schnell die pfiffigen Kleinigkeiten bei den Fensterleisten ins Auge: Nicht nur Menü, Minimieren, Maximieren und Schließen (oder nur noch Schließen bei Gnome 3), sondern auch „Fensterheber“ oder „Auf allen Arbeitsflächen“.
KDE ist ein mächtiger Desktop, nirgendwo ist es so einfach, auch anspruchsvolle Aktionen graphisch zu konfigurieren – Herumgewühle in Textdateien und händisches Heraussuchen von Startparametern ist nicht nötig. Einen Gconf-Editor oder eine Registry braucht es bei KDE nicht. KDE kommt damit Computeranfängern sehr entgegen, macht es aber auch erfahrenen Linuxern komfortabel.
Gimp oder der Messenger sollen immer auf Desktop 2 erscheinen? Kein Problem, einfach nur den entsprechenden Eintrag im Kontextmenü der Fensterverwaltung aktivieren. Bestimmte Fenster immer transparent erscheinen lassen? Einfach in den Einstellungen anklicken. Graphische Animationen wie bei Compiz oder dezentere Effekte wie bei Xcompmgr? Einfach zuschalten oder abschalten. Verschiedene Hintergrundbilder für die virtuellen Arbeitsflächen? Einfach die gewünschten Wallpaper auswählen. Die Arbeitsflächen mit dem Mausrad steuern? Kinderspiel. Die Button-Reihenfolge ändern oder modifizieren? Mit der Maus einfach an die gewünschte Stelle schieben. All sowas stellt KDE dem Nutzer von Haus aus zur Verfügung, ohne dass er noch auf zusätzliche Hilfsprogramme oder Dienste angewiesen wäre.
Abschied von der Gnome-Denkweise
Gerade als Gnome-Umsteiger muss man sich von der Denkweise des Vorgegebenen etwas verabschieden. Zwar trifft auch KDE sinnvolle Voreinstellungen und ermöglicht das Einschalten und Loslegen, aber sein Potential spielt KDE erst dann aus, wenn man sich eingehender damit beschäftigt. Letztendlich sind es viele Kleinigkeiten, die man nachjustieren kann und muss, um zu einem für sich selbst optimalen Desktop zu gelangen. Vor allem aber muss man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass es für fast jedes Problem schon eine Lösung von KDE gibt – man muss sie nur erst finden oder entdecken.
Wer sich z.B. ärgert, dass die Dateiverschiebenoperationen im Standard-Benachrichtigungsfeld auftauchen und nach kurzer Zeit wieder verschwinden, obwohl das Verschieben von Dateien noch im Gange ist, braucht sich nicht weiterzuärgern – er muss lediglich das entsprechende Häkchen in den Benachrichtigungs-Einstellungen wegnehmen. Oder wenn die Transparenz-Angabe von Conky unter KDE ignoriert wird – einfach Conky mit den KDE-Bordmitteln auf transparent stellen.
Die Lernkurve ist höher anzusetzen als etwa beim Gnome-Desktop. Während Gnome stets versucht, dem Nutzer eine Wahl abzunehmen, reizt KDE regelrecht damit, Wahlmöglichkeiten zu entdecken und zu nutzen. Aber dies ist optional. Wer sich mit dem Standard zufriedengibt, fährt ebenfalls gut mit KDE. Dennoch muss man als Umsteiger einiges neu lernen, sich an abweichende Bedienweisen gewöhnen. Die Reihenfolge der Schaltflächen etwa ist eine andere, sie orientiert sich bei KDE an Windows, nicht an Apple. Die QT-Programme haben einen anderen Aufbau, „fühlen“ sich anders an, und auch die Einstellungen sind komplexer und vor allem verschachtelter. Denn KDE lässt grundsätzlich keine Einstellungen weg (oder entfernt sie zumindest aus der graphischen Oberfläche), sondern versteckt sie meist hinter „Erweitert“-Knöpfen. Man findet jedoch auch ebenso viel Vertrautes bei KDE – denn da KDE quasi alle anderen Desktops partiell in sich vereint, sind immer Bezugspunkte zu Gewohntem gegeben.
Usability
Dolphin statt Konqueror war die beste Idee, die man bei KDE haben konnte. Die Zeiten, in denen man nach dem Klick auf eine Datei gefragt wurde, ob man sie ansehen oder ausführen möchte, oder beim Klick auf ein PDF, ob man es in der Dateimanagervorschau oder im externen Programm betrachten möchte, sind vorbei.
Zumindest beim Dateimanagement hat man den Universalitätsansatz aufgegeben und überlässt die Dateiverwaltung nun einem darauf spezialisierten Programm – nicht einem Browser mit Dateiverwaltungsmodus. Damit gibt sich KDE im Grunde konservativ und stellt sich gegen den Trend, lokalen Desktop und Webarbeit immer stärker zu verschmelzen. Doch für die reine Desktoparbeit ist diese Trennung tatsächlich noch immer am vorteilhaftesten.
Aber noch nicht überall ist die Idee der Vereinfachung angekommen bzw. konsequent fortgeführt. Wer etwa Dateien mit Dolphin sortieren möchte, muss sich beim Verschieben standardmäßig jedes Mal wieder entscheiden, ob er die Datei verschieben, kopieren, oder nur eine Verknüpfung anlegen möchte. Oder er nimmt eben gleich das entsprechende Tastenkürzel hinzu. Eine Vorauswahl zu treffen, etwa „immer verschieben“, und nur dann, wenn man die anderen Varianten möchte, ein Tastenkürzel dazuzunehmen (wie es im Grunde jede andere Oberfläche anbietet), das ist nicht möglich.
Wie man es auch dreht und wendet, an die Gnome-Usability kommt auch KDE 4 nicht heran. Zu verworren sind manche Einstellungen, zu unübersichtlich die Benutzerführung. Das K-Menü ist unter Benutzbarkeitsgesichtspunkten auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Es ist schwer, dies auf einen Nenner zu bringen, aber es wirkt immer ein wenig so, als würde KDE auf zu vielen Hochzeiten tanzen. Das scheint der Preis für die Vielfalt und den Ansatz, es allen recht machen zu wollen.
Programme mit Migrationshintergrund
KDE macht es dafür dem Nutzer sehr leicht, zu einem einheitlichen, stimmigen Gesamterscheinungsbild seines Desktops zu gelangen, auch wenn der unter KDE Programme aus der Gnome-Welt, also GTK-Anwendungen, aufruft. In den KDE-Einstellungen hat man die Wahl, ob man GTK-Programmen das Aussehen des KDE-Themes überstülpen will oder ein GTK-eigenes Theme (z.B. wie hier im Bild eines, das wiederum ein KDE-Theme nachbildet) für Gnome-Programme verwenden will. Notfalls kann sogar KDE selbst im GTK-Stil erscheinen.
Optisch fügen sich die GTK-Applikationen dann je nach Einstellung sehr schön in den KDE-Rahmen ein, ein kleiner Wermutstropfen bleibt jedoch, denn die Einbettung beschränkt sich eben auf die Optik. An der Button-Reihenfolge von Dialogen oder an den Datei-öffnen- und Datei-speichern-Dialogen ändert sich nichts. Systemlesezeichen und Einstellungen existieren parallel je nach verwendeter Programmart.
Die Optik und Haptik
Bewertungen des Erscheinungsbildes hängen immer stark von subjektiven Eindrücken ab, doch es wirkt so, als habe KDE seine persönliche Linie noch nicht ganz gefunden. Zwar geht KDE keine Experimente ein, die Farben Blau und Grau dominieren, doch die Verteilung wirkt inkonsistent: zu dezenten Grauverläufen gesellen sich knallige, markante Farbtupfer. Auch mischt KDE neuerdings matte und hochglänzende Symbolik.
An die Eleganz des alten und neuen Gnomes kommt KDE nicht wirklich heran, es fehlt der Charme der Reduzierung aufs Wesentliche. Dafür hat KDE seine eigene Eleganz, eine etwas kühlere, technokratischere Attitüde. Technisches Understatement könnte man es nennen, Funktionalität auch im Design.
Das Standard-Theme von KDE 4 ist äußerlich verwandt mit dem alten KDE-2-Design, nur etwas weicher und moderner und mit Effekten versehen. Die Ordner sind immer noch blau und auch sonst macht auch KDE einige andere Anleihen an Mac OS, wie etwa der hüpfende Mauszeiger (statt hüpfendem Programmsymbol im Dock).
Eingeschränkt ist bei KDE jedoch die Auswahl an Stilen und Fensterdekorationen. Wo für Gnome und GTK eine schier unfassbare Auswahl an Themes und Dekorationen bereitsteht, ist man bei KDE vergleichsweise sparsam: KDE selbst liefert nur wenige Stile mit – und das Nachinstallieren ist vergleichsweise kompliziert. Mehr Auswahl von dritter Seite gibt es für die Plasma-Ansichten (also Panel und Desktop-Menüs), die jedoch unabhängig vom Erscheinungsbild der Fenster und Fensterdekorationen sind.
Viel Licht und wenig Schatten
Das Einzige, was man KDE vorwerfen könnte, ist, zu versuchen, es allen recht zu machen. Aber genau das ist es eben auch, was die Stärke KDEs ausmacht. Es gibt so wie woanders auch Nachteile, wie etwa partiell instabile Programme und Plasmoids oder eine etwas größere Behäbigkeit im Vergleich zu anderen Desktops (was jedoch in der Regel nur auf älterer Hardware auffällt) – unterm Strich Kleinigkeiten, wenn man sich demgegenüber vor Augen hält, wie viel man mit KDE gewinnen kann.
Dabei erschließen sich die Vorteile von KDE erst mit der Zeit. Wer auf den ersten Blick nichts Besonderes, kein „Killerfeature“ entdecken konnte oder sogar abgeschreckt ist von der Andersartigkeit oder dem Funktionsumfang – der sollte KDE über einen längeren Zeitraum ausprobieren. Es erscheint unwahrscheinlich, dass man dabei keine Vorteile entdeckt. Wer bislang Gnome genutzt hat, nun Alternativen sucht, aber nicht basteln möchte, für denjenigen könnte KDE die Rettung sein, wenn er unvoreingenommen an den neuen Desktop herangeht.
KDE ist in seiner Selbstbezeichnung schon lange kein „Kool Desktop Environment“ mehr. Besser: es ist ein klasse Desktop. Nur die Angst, die bleibt. Angst, dass alles wieder verworfen und ganz von vorne begonnen wird, wenn endlich mal alles perfekt ist. So bleibt nur ein frommer Wunsch der KDE-Nutzer, nämlich dass es so schnell kein KDE 5 geben wird.