Wenn neue Funktionen schnell beim Benutzer ankommen, ist das prinzipiell gut. Dafür sorgt Mozilla Firefox seit einiger Zeit, indem es einen schnellen Veröffentlichungsrhythmus fährt. Prinzipiell aber nicht gut ist es, wenn man offenbar mit der Qualitätssicherung nicht mehr hinterherkommt. Immer öfter müssen kurz nach der Hauptveröffentlichung neue, korrigierte Versionen nachgeschoben werden, die gravierende Fehler beseitigen. Der Endanwender wird praktisch zum permanenten Betatester gemacht. Mit dem gerade erschienenen Firefox 38 trifft es unter anderem mal wieder eine Randgruppe.
Firefox hat es dem Konkurrenten Chrome nachgemacht — nicht nur optisch — und auf kurze Veröffentlichungsintervalle umgestellt, in der Regel gibt es alle sechs Wochen einen neuen Firefox. Der Vorteil ist, dass Neuerungen auf diese Weise schneller beim Benutzer ankommen, Firefox läuft nicht Gefahr, altbacken zu wirken oder uninteressant zu werden, wenn Chrome schon längst die neuesten Funktionen eingebaut hat. Die Aufholjagd von Chrome ließ sich damit jedoch nicht stoppen.
Der Nachteil ist, dass auch die Fehler und Verschlechterungen schneller beim Benutzer ankommen. Auf das neue Australis-Design hätte mancher Benutzer sicherlich gern noch eine Weile länger verzichtet, aber es gibt auch Änderungen, die Firefox für bestimmte Anwendergruppen praktisch unbenutzbar machen. Meist trifft es Minderheiten. Mit Version 38 hat sich Mozilla bei den Sehbehinderten mal wieder äußerst „beliebt“ gemacht. Manche sind z. B. darauf angewiesen, den Bildschirm in stark invertierten Farben zu nutzen, um überhaupt etwas erkennen zu können.
Bereits seit der Umstellung auf die neue Australis-Optik ist Firefox für schlecht Sehende deutlich schlechter bedienbar geworden, da Australis u.a. viele eigene Designelemente nutzt, die sich nicht mehr an die Vorgaben des Betriebssystems halten. Das sieht auf Bildschirmen der Normalsehenden dann zwar todschick aus, wirkt bei angepassten Oberflächen aber tödlich. So sah ein Firefox bis Version 37 für einen Sehbehinderten aus:
Bisheriger Firefox, wie ihn Sehbehinderte sehen
Bei Mozilla wird das offenbar nicht weiter getestet. Bisher galt Firefox als einer der wenigen Browser — abgesehen von denen, die wiederum auf Firefox basieren — dessen Farbeinstellungen ohne großen Aufwand änderbar waren. Dies nun hat sich mit Firefox 38 schlagartig geändert. Wer sich als Sehbehinderter eine andere Textfarbe einstellen will, sieht nun das hier:
Aktueller Firefox in der Ansicht für Sehbehinderte
So sieht Firefox unter Linux oder Windows mit invertierten Farben aus. Zwar sind die Farbeinstellungen immer noch an der gleichen Stelle zu finden und damit leicht zu erreichen. Nur: Was macht ein sehbehinderter Mensch, der dunklen Hintergrund und gelbe Schrift verwendet, wenn plötzlich keine Farben in der Farbauswahl mehr zu sehen sind, sondern sich die Farbauswahl als bloßes schwarz-gelbes Gitternetzwerk präsentiert? Genau. Er kann nur raten, welche Farbe die Links im Anschluss haben werden — in der Regel sind sie dann für ihn unsichtbar. Dass auch die Symbole auf den Fensterbuttons fehlen, kann man da schon fast unter den Tisch fallen lassen.
Wer noch etwas besser sieht, muss sich lediglich darüber ärgern, dass man wieder mal einen Umweg gehen muss, um die optimalen Einstellungen zu erreichen (also erst einmal die Farben auf normale Einstellungen zurücksetzen, gewünschte Farbe einstellen und dann wieder umstellen — vielen Dank, Mozilla, man hat ja sonst nichts zu tun). Vollständig blinde Benutzer sind hier ausnahmsweise mal im Vorteil: Sie bekommen die Links von ihren Screenreadern und Braillezeilen schlicht konvertiert — ganz ohne Farbeinstellungen zu benötigen.
Auch mit Version 38 kann Firefox daher nur noch eingeschränkt als barrierefrei gelten. Die Alternative, Firefox ESR, als stabile Alternative für Administratoren im Firmenumfeld gedacht (notgedrungen, denn sonst würde dort gar kein Firefox mehr eingesetzt werden), wird von Mozilla de facto versteckt. Wer ihn nicht aktiv sucht, bekommt ihn nicht angeboten. Sie bleibt neben Alternativprojekten wie Pale Moon oder Seamonkey die einzige Möglichkeit, Firefox-Technik zu verwenden, ohne alle paar Tage von neuen Verschlimmbesserungen überrascht zu werden.