Kann man Gnome jetzt eigentlich noch als Desktopumgebung bezeichnen, da die Entwickler den Desktop abgeschafft haben? Gnome hatte die Funktion der Arbeitsoberflächensymbole aus dem Dateimanager entfernt, ohne adäquaten Ersatz parat zu haben.
Das war’s. Mehr gibts auf den neusten Gnome-Desktops nicht mehr zu sehen. Die Arbeitsoberfläche ist nun nur noch zum Anzeigen des Hintergrundbildes zu gebrauchen, wie hier im aktuellen Fedora
Das Gnome-Projekt schafft es erstaunlicherweise immer wieder, Funktionen einzusparen, von denen man dachte, dass man sie unmöglich einsparen kann. Was anfangs noch wie ein Running Gag wirkte, meinten die Entwickler tatsächlich ernst, und inzwischen dürfte Gnome wohl den ersten Platz unter den Linuxoberflächen belegen, die in ihrer Geschichte am meisten nützliche Funktionen über Bord geworfen haben. Interessanterweise vermittelt die Gnome-Shell dabei immer noch ein stimmiges Bedienerlebnis, macht einen stabilen Eindruck und sieht modern aus.
Nun also hat es die Desktopsymbole erwischt. Die Icons auf der untersten Bildschirmebene gehörten allerdings schon lange nicht mehr zum Konzept bei Gnome. Mit der Einführung der Gnome-Shell sollten sie im Arbeitsfluss der Anwender keine Rolle mehr spielen, das Konzept der Desktop-Icons galt den Entwicklern als veraltet. Ein Bildschirm sollte Fenster zeigen, und nicht Arbeitsflächensymbole, die meist sowieso von den Fenstern verdeckt sind. In den Standardeinstellungen der Gnome-Shell waren Desktop-Icons daher deaktiviert, und z. B. auch der Knopf „Minimieren“ in den Fenstertitelleisten ist nicht vorhanden – denn wozu sollte man noch Fenster minimieren, wenn man auf dem Desktop sowieso nichts sehen kann außer dem Hintergrundbild? Doch man konnte die Icons wieder einschalten, wenn man das Gnome-Tweak-Tool bemühte. Viele Distributionen machten das bereits von Haus aus, auch Ubuntu gehört dazu.
Bye-bye, Icons!
Doch nun wurde die Funktion tatsächlich komplett gestrichen. Wer aktuelle Gnome-Versionen benutzt, der hat keine Möglichkeit mehr, die Desktop-Symbole zu aktivieren. Der entsprechende Code wurde aus dem Dateimanager „Dateien“ aka Nautilus, über den die Funktion realisiert wurde, entfernt. Auch Erweiterungen können die Funktion daher nicht wiederherstellen. Es gibt zwar bereits einige Erweiterungen auf der Gnome-Erweiterungsseite, die versprechen, wieder Symbole auf den Desktop zu zaubern, doch das funktioniert bislang nur sehr beschränkt und ist nicht mit der bisherigen Lösung zu vergleichen.
Mit dem Gnome-Tweak-Tool konnten die Desktop-Symbole bislang aktiviert werden
Der Eintrag “Arbeitsoberfläche” ist nun verschwunden, die restlichen Einstellungen von dort sind mit nach “Erscheinungsbild” gewandert
Legt man allein die Desktopbedienung zugrunde, ähnelt die Gnome-Shell inzwischen mehr einem simplen Fenstermanager als einer vollwertigen Arbeitsumgebung. Schöne, geschmeidige Animationen, ja, aber sonst? Funktional gibt es kaum noch Unterschiede zu einem Windowmanager mit zusätzlichem Panel. Und dabei verbraucht Gnome im direkten Vergleich auch noch monströse Systemressourcen.
Ubuntu trickst
Dass die aktuelle Ubuntu-Version immer noch Symbole auf der Arbeitsfläche anzeigt, liegt allein daran, dass Ubuntu eine ältere Nautilus-Version ausliefert, in der die Funktion noch enthalten war. Auch Opensuse kann noch Arbeitsflächensymbole in Gnome anzeigen, z. B. Fedora oder Manjaro jedoch nicht mehr. Ewig werden die Distributionen, die Wert auf Symbole auf dem Desktop legen, jedoch nicht bei alten Dateimanagerversionen bleiben können. Es wird also noch interessant, wie Ubuntu & Co. in Zukunft mit dem Problem umgehen werden. Kaum vorstellbar, dass z. B. Red Hat seinen Enterprise-Kunden irgendwann einen Desktop ohne Desktopsymbole zumuten wird.
Auf dem “Biber” gibt es weiterhin Icons.
Kommen sie wieder?
Anzunehmen ist, dass Gnome daher in absehbarer Zeit wieder Icons spendiert bekommt, wenn auch nicht mehr über Nautilus. Wenn nicht als Kernfunktion der Arbeitsumgebung, dann womöglich als neue, hauseigene Erweiterung, die die Distributoren nach Bedarf vorauswählen können.
Bis dahin gibt es drei „Lösungen“, falls man mal nicht Ubuntu nutzt: Sich mit dem Fehlen der Icons abfinden, einen anderen Dateimanager wie Nemo die Aufgabe erledigen lassen – oder zu einer anderen Desktopumgebung wechseln, die diesen Namen noch verdient.
Ironie des Ganzen: Dieser Text wurde unter Gnome verfasst. Ohne dabei auch nur ein einziges Mal ein Desktop-Icon anzufassen.