Gnome ist wieder da. Nach vielen Querelen in Folge der Neuausrichtung, die viele Abspaltungen nach sich zog, hat die originale Gnome-Oberfläche wieder eine gute Balance gefunden. Die Gnome-Shell wirkt wieder attraktiv – und wird so auch immer öfter wieder zur ersten Wahl. Dass nun auch Ubuntu wieder auf originales Gnome setzen will, beweist es.
Das Gnome-Projekt ist seit der Einführung der Gnome-Shell viel gescholten worden. Das lag an zwei Dingen: einerseits am nahezu kompromisslosen Vereinfachungsparadigma, andererseits am davon beflügelten Über-Bord-Werfen von bewährten Konzepten.
Dafür merkt man an jeder Ecke, dass sich da jemand wirklich Gedanken gemacht hat. Die Gnome-Macher sind innovativ. Sie fragen sich in erster Linie, wie man die PC-Bedienung für den Nutzer optimieren kann, die tägliche Arbeit mit dem Computer so eingängig wie möglich gestaltet – und nicht nur, wie man Gewohntes auf moderne Weise umsetzt. Gewohntes, das zwar viele kennen, aber das vielleicht gar nicht das Optimum in der Computerbedienung darstellt, sondern einfach nur vertraut wirkt.
Mut zu eigenen Wegen
Gnome ist sichtbar etwas Eigenes, keine hundertste CDE-, Mac- oder Windows-Inkarnation. Wer zum Beispiel Schnellzugriff-Listen oder Favoriten-Ordner vermisst, wird schnell feststellen, dass er sie in Gnome eigentlich gar nicht braucht. Denn die Verzahnung der Desktop- bzw. Dateisuche ist deutlich komfortabler und intuitiver, als es manuelle Favoriten sein können.
Während andere Linux-Desktops die Windows-Taste, die heute faktisch auf jeder Tastatur zu finden ist, lange Zeit einfach ignorierten, wurde sie bei Gnome zum zentralen Bestandteil der Bedienung. Dass die „Windows“-Taste dann tatschlich (auch) die Fenster-Übersicht hervorzaubert, also das Windows-Logo für die Zwecke von Linux quasi umdeutet, macht die Angelegenheit nur noch sympathischer.
Den gesamten Bildschirm auch als eine Art Startmenü zu nutzen, statt es in ein kleines Feld an irgendeiner Leiste zu quetschen, gab es für den Desktop ebenfalls zuerst bei Gnome.
Fehlentwicklungen
Natürlich besteht dabei das Risiko, dass es auch mal zu Fehlentwicklungen kommt, die zwar in der Theorie sinnvoll erscheinen, von den Nutzern aber überhaupt nicht angenommen werden. Das birgt zugleich die Gefahr, dass viele, die dann anderes von einer Desktopumgebung erwarten, Gnome den Rücken kehren und zu anderen Oberflächen wechseln.
Von absoluter Kompromisslosigkeit kann aber auch längst nicht mehr die Rede sein. Was für gut erachtet wird, wird konsequent beibehalten, aber wenn sich Lösungen nicht bewähren, dann werden sie auch wieder abgeschafft und durch Alternativen ersetzt, der Desktop in dieser Hinsicht weiterentwickelt. Das war etwa beim standardmäßig ausgeblendeten Abschaltknopf der Fall oder bei der Umbelegung der Entfernen-Taste im Dateimanager.
Eine Spatial-Modus-Debatte (jeder Klick auf einen Unterordner öffnet ein neues Fenster), wie zu Gnome-2-Zeiten, die vorübergehend den Browser-Modus mit Vor- und Zurück-Pfeilen im Dateimanager ersetzte, muss man daher nicht mehr befürchten.
Zugehen auf Traditionalisten und Individualisten
Gnome hält im Grundsatz weiter stur an seinem aktuellen Konzept fest, ist mittlerweile aber doch flexibler geworden. Wer mit der Standardkonfiguration nicht zurechtkommt oder zurechtkommen will, wird nicht mehr zu seinem Glück gezwungen. Die Einstellungsmöglichkeiten sind umfangreicher geworden, die erweiterten Einstellungen im „Optimierungswerkzeug“ befriedigen Spezialwünsche – und wenn das immer noch nicht reicht, kann man das Erweiterungssystem nutzen, das Gnome wie keine andere Linuxoberfläche den eigenen Vorlieben anzupassen vermag.
Dabei sind einige nützliche Erweiterungen in Gnome sogar schon ab Werk integriert – vornehmlich jene, die es erlauben, die Gnome-Shell wieder wie frühere Versionen mit traditionellem Verhalten aussehen zu lassen und die auch für die Umsetzung des „Gnome Classic“-Modus benötigt werden. So lassen sich altbekannte Elemente auch in der modernen Shell schnell wiederherstellen, die Traditionalisten werden nicht im Regen stehen gelassen.
Wer also gar nicht mit der neuen Bedienphilosophie zurechtkommt, weil er z. B. auf windowsartige Bedienweisen konditioniert ist, der hat inzwischen die Möglichkeit, Gnome ein wenig mehr seinen Bedürfnissen anzupassen. Mit Bordmitteln, aber auch mit einer Vielzahl von internen und externen Erweiterungen.
Die Basics stimmen
Dabei ist die in den Anfängen kritisierte drastische Vereinfachung letztlich nicht so schlimm gekommen, wie es zunächst den Anschein hatte. Die „Basics“ stimmen bei Gnome, die Linux-typischen Eigenheiten sind vorhanden. Alt+F2 zaubert den Befehl-Ausführen-Dialog auf den Bildschirm, die virtuellen Arbeitsflächen sind sogar nicht nur Feature, sondern elementarer Bestandteil der Desktopumgebung. Einen „Systray“ gibt es ebenso weiterhin wie eine Art „Start“-Button. Desktop-Symbole lassen sich einschalten. Die gängigen Tastenkürzel sind ebenfalls da – und der Dateimanager reagiert so, wie man es von ihm erwartet. F2 benennt Dateien um, mit Strg plus Maus wird selektiert, der mittlere Tastenklick öffnet in neuen Tabs, Dateien können über das Kontextmenü sortiert werden usw. Gnome bricht also keineswegs willkürlich mit althergebrachten Lösungen und Vertrautem, sondern unterstützt die klassischen Bedienweisen weiter.
Reifeprozess
Bemerkenswert ist bei aller Innovation und Eigensinnigkeit jedoch auch, dass, wenn die Innovation erst einmal umgesetzt wurde, sie auch konsequent zu Ende entwickelt und weitergedacht wird. Radikal Neues wird bei Gnome nicht alle naselang eingeführt, sondern die neuen Konzepte werden behutsam fortentwickelt. Das war schon bei Gnome 2 zu beobachten, welches recht umfassend mit dem Vorgänger brach, und danach jahrelang stabilisiert und perfektioniert wurde. Gleiches lässt sich nun bei „Gnome 3“, der Gnome-Shell, beobachten – und den zu Gnome gehörenden Anwendungen. Das bringt eine gewisse Verlässlichkeit und auch Planbarkeit mit sich, die vor allem auch manche Distributoren schätzen.
Modernes Linux
Die Gnome-Entwickler waren mutig in jeder Hinsicht: Mutig genug, sich von veralteten Konzepten zu trennen, um etwas Neues auszuprobieren. Mutig genug, um neue Ideen dann auch konsequent umzusetzen. Und mutig genug, um gegen alle Widerstände und heftige Kritik an diesem Kurs weiter festzuhalten, obwohl die Akzeptanz zunächst rapide sank und zahlreiche Forks entstanden. Das hat letztlich zu einer modernen Oberfläche geführt, während die Forks nur Altes erhalten, nachgebaut oder bereits bestehende Konzepte kopiert haben.
Die Entwickler haben, obwohl die Gnome-Shell im Standardfunktionsumfang deutlich reduzierter als frühere oder vergleichbare Entwicklungen daherkommt, den wahrscheinlich visuell und funktional modernsten Desktop für Linux geschaffen, den es momentan gibt. Dass nun auch Ubuntu – selbst immer darum bemüht, Neues auszuprobieren, nach dem Abschied von der Eigenentwicklung Unity wieder auf Gnome setzt, dürfte nicht nur historische Gründe haben. Es ist die logische Wahl – und ein Eingeständnis, dass die Entwickler von Gnome einen exzellenten Job gemacht haben – und weiterhin machen.