Ob es klug war, den Gnome-Desktop so zerfleddern zu lassen? Das ehemalige „Gesicht von Linux“ haben die Gnome-Entwickler zwar nicht direkt zerstört, mit dem harten Schnitt von Gnome 2 zur Gnome-Shell die Zerstörung aber provoziert. Die vielen Gnome-3-Abspaltungen machen die Lage unübersichtlich, eine Wahl schwieriger – und die wachsende Zahl an Erweiterungen das Chaos perfekt.
Lange Zeit prägte Gnome 2 den optischen Eindruck von Linux: Fedora, die Unternehmens-Distris, nicht zuletzt Ubuntu mit seinen vielen Ablegern: Gnome war erste Wahl. Die Zeiten sind mit der Gnome-Shell vorbei. Statt einem einzigen Gnome neben KDE und den anderen kleineren Oberflächen gibt es nun Gnome-Shell original, Gnome-Shell aufgepeppt, Gnome mit Unity-Aufsatz, Gnome mit Gnome-Shell-Extensions (Mint), die Gnome-Shell-Alternative Cinnamon (Gnome-Shell-Fork mit Gnome-2-Aussehen) und auch noch den Gnome-2-Fork Mate. Wer soll da eigentlich noch durchsteigen?
Statt einem an Linux Interessierten zu erklären, wie viele unterschiedliche Desktops es gibt, muss man nun auch noch ausführen, wie viele unterschiedliche Gnome-Geschmacksrichtungen mittlerweile um die Gunst der Anwender konkurrieren, wie viele verschiedene Gnome-Shell- und Gnome-Varianten es gibt. Allein diese Entwicklung führt die Gnome-Idee vom einfachen, übersichtlichen Desktop bereits ad absurdum.
Gnome 3 – vieles nur noch optional?
Doch nun kommen auch noch die Erweiterungen für die Gnome-Shell auf breiter Front hinzu. Das schießt den Vogel vollends ab, was die ursprüngliche Philosophie vom spartanischen Desktop des Gnome-Projekts anbelangt. Die neuen Erweiterungen konterkarieren dieses Ziel. Ein moderner, schlanker und übersichtlicher Desktop, der aber derart schlank ist, dass man ohne Erweiterungen eigentlich gar nicht richtig damit arbeiten kann, führt fast zwangsläufig zu Ergebnissen wie das jetzige Erweiterungsverzeichnis. Wer den Heise-Bericht dazu liest, bekommt zudem den Eindruck, dass bereits innerhalb des Erweiterungsangebots das blanke Chaos vorherrscht. Momentan keine gute Werbung für Gnome.
Screenshot: Erweiterungsportal für Gnome
Gnome entwickelt sich damit nun zum Firefox unter den Linuxoberflächen: innovativ, aber auf dem absteigenden Ast. Mit allen Problemen, die man auch schon vom Firefox-Prinzip kennt:
1. Erweiterungen ergänzen zwar das Grundprogramm um neue Funktionen, erhöhen aber auch die Fehleranfälligkeit oder führen zu Instabilitäten. Oft ergeben sich auch ungewollte Seiteneffekte, meist mit anderen Erweiterungen. Die Erweiterungen behindern sich gegenseitig und deaktivieren dadurch sogar Kernfunktionalitäten, da zwar die Funktion in Hinsicht auf die Basis getestet wird, aber nicht alles gegen- und untereinander. Je mehr Erweiterungen nötig sind, desto gefährlicher wird es, desto wahrscheinlicher werden Nebenwirkungen.
2. Man muss nicht nur das Besorgen von Erweiterungen selbst übernehmen, sondern sich auch noch darum kümmern, dass die dadurch gewohnte Funktionalität auch künftig erhalten bleibt. Bei einem Umstieg auf eine neuere Distribution oder eine Aktualisierung der Oberfläche ist nicht sichergestellt, dass die liebgewonnenen Erweiterungen zum neuen Desktop kompatibel sind. Die Desktop-Nutzererfahrung wird zum Flickenteppich, immer wieder ist man auf der Suche nach Alternativen für aufgegebene oder ungepflegte Erweiterungen.
3. Den Verantwortlichen fällt es leichter, auf Features zu verzichten, da man ja auf die Möglichkeiten der Erweiterungen verweisen kann. Viele nützliche Funktionen, die ursprünglich enthalten oder angedacht waren, fliegen raus oder werden nicht umgesetzt, weil sich ja die Community darum kümmern kann. Damit landet man jedoch wieder verstärkt bei den Punkten 2 und 1.
Ehrlich: Wer nutzt Gnome-Shell pur und wer hat mindestens einen Workaround nachinstalliert?
Dieser Artikel ist Bestandteil der „Not my Desktop“-Reihe.
Bereits erschienen:
• Wird GNOME wieder zum Zwerg?
• Eine Woche Gnome 3: Der uniformierte Desktop
• Strategien zur GNOME-3-Vermeidung
• Gnome-Shell – es wird immer unübersichtlicher