Mozilla denkt darüber nach, künftig beim Öffnen eines neuen Tabs Werbung einzublenden. Nach Ubuntu mit seiner Amazon-Werbung in der Dash-Suche wäre dies nun die zweite große Anwendung, die die Linuxnutzer mit sichtbarer Werbung beglückt.
Die Überschrift ist selbstverständlich reißerisch – und falsch. Denn Firefox ist schon lange kein erkennbares Produkt einer nichtkommerziellen Organisation mehr. Schon seit 2005 wird Firefox nicht mehr von der Mozilla-Stiftung entwickelt, sondern von der Mozilla Corporation, einem steuerpflichtigen Tochterunternehmen der Stiftung. Während die Stiftung als Non-Profit-Organisation firmiert, agiert die Corporation gewinnorientiert.
Korrekter wäre daher gewesen: „Firefox wird kommerzieller“. Doch auch das stimmt nicht, denn kommerzielle Elemente finden sich aktuell schon zur Genüge im Browser – seien es die Facebookschnittstelle oder die voreingestellten Suchmaschinen des Suchfeldes, für deren Vorhandensein Geld an Mozilla fließt.
Über das Firefox-Suchfeld wird ordentlich Provision fällig
Trotzdem gehen viele immer noch davon aus, Firefox und Mozilla seien das Produkt einiger Enthusiasten, die den Browser für Luft und Liebe der Welt zur Verfügung stellen. Doch freie Software bedeutet eben nicht zwangsläufig Nichtkommerzialität. Selbst im „Mozilla-Manifest“, der Selbstverpflichtung der Mozilla-Stiftung, ist Nichtkommerzialität nicht das entscheidende Merkmal, sondern die richtige Abwägung zwischen kommerziellen und gemeinschaftlichen Interessen.
Die Einblendung von Werbung ist daher zu begrüßen, denn sie bringt die bislang versteckte, indirekte Finanzierung über Suchmaschinenverträge stärker in den Fokus des Nutzers. Sie bedeutet zudem auch mehr Unabhängigkeit vom Hauptfinanzier Google, denn so können auch Geldmittel akquiriert werden, die nicht mit Suchmaschinenanbietern zusammenhängen. Google Chrome wird immer stärker im Netz (nicht nur durch Mundpropaganda, sondern durch andauernde Werbekampagnen, die Google offline wie online streut), auch deshalb ist Mozilla gut beraten, sich langfristig weitere Geldquellen zu erschließen.
Firefox ist auf stabile Einnahmen angewiesen – denn was passiert, wenn ein Produkt nicht mehr profitabel ist, hat man an Thunderbird gesehen, das nun „ausentwickelt“ auf dem Abstellgleis steht. Werbungsverächter hingegen müssen sich nicht fürchten – wenn die Funktion nicht direkt in Firefox deaktivierbar sein sollte, wird aller Wahrscheinlichkeit nach kurz darauf eine Erweiterung zur Verfügung stehen, die die Werbung wieder entfernt.
Mozilla ist im Kern eine gemeinnützige Stiftung, doch auch diese braucht Geld. Die Anschubfinanzierung, die der ehemalige Geldgeber AOL Mozilla bescherte, ist über 10 Jahre alt, und AOL ohnehin längst raus aus dem Browsergeschäft. Denn ursprünglich sollte Mozilla einmal die technische Basis des AOL-Browsers Netscape sicherstellen. Doch Netscape ist schon längst Geschichte, Firefox trägt sich seitdem um seiner selbst willen. Das kostet Geld. Browsertechnologieentwicklung ist komplex und finanziert sich nicht von selbst. Dezente Werbung da, wo sie nicht stört, ist neben Kooperationen und Spenden für Mozilla der wohl einzig gangbare Weg – und wohl auch ohne Alternative. Einen komplett kostenlosen Browser inklusive eigener Technik anzubieten, das kann sich aktuell nur noch Google leisten – und selbst dieser macht nicht zu knapp Werbung für die googleeigenen Dienste.
Ständig sichtbares, großflächiges Werbebanner mit wechselnden Inhalten in Opera 7
Nicht ohne Grund wird Opera kürzlich die Entwicklung seiner eigenen Technik aufgegeben und auf Webkit/Bling gewechselt haben – mit dem Ergebnis, dass es Opera seitdem nicht mehr für Linux gibt. Ironischerweise war es auch Opera, der als einziger Browser je Werbung einblendete (die störenden Werbebanner direkt im Browser-Interface sollten zum Kauf des Programms animieren). Wie viele Leute bereit waren, für einen Browser zu bezahlen, wenn genug vermeintlich kostenlose Alternativen bereitstehen, durfte ebenfalls Opera erleben. Als letzter der großen Bezahlbrowser stellte er mit Opera 8.5 komplett auf ein provisionsbasiertes Modell um. Mehr Reichweite durch kostenlose Verteilung versprach mehr Provision durch Suchanfragen im Suchfeld als das Festhalten am Bezahl- und Werbemodell.
So weit wie damals in Opera wird es mit Firefox nicht kommen. Als Open-Source-Anwendung würde Mozilla sofort einen Fork riskieren, würde Werbung im Browser zu aufdringlich werden. Mozilla muss einen Spagat schaffen, Werbung im Browser anzuzeigen, die beim regulären Surfen aber nicht stört. Die Umsetzung in der Schnellwahl/beim Öffnen eines neuen Tabs erscheint dafür wie prädestiniert. Da zudem die Werbung nur angezeigt wird, solange noch kein eigener Verlauf erstellt ist, der die Flächen beansprucht, verschwindet die Werbung sogar im laufenden Betrieb.
Interessant dürfte allerdings werden, ob sich die Schnellwahlansicht in neuen Tabs auch in Zukunft noch standardmäßig so einfach wird deaktivieren lassen – im Moment reicht ein Klick auf ein Symbol in der oberen rechten Ecke der Seite.
Werbung in dieser Form ist unaufdringlich und nötig – und ehrlicher als das Verwerten von Nutzerdaten im Hintergrund, was ebenfalls angedacht ist. Dennoch ist der geplante Schritt von Mozilla eine Zäsur: offensichtliche Werbung hat es bislang in Mozilla-Produkten nicht gegeben – mit Ausnahme von Thunderbird, wo einem seit einiger Zeit bei der Einrichtung von Mailkonten amerikanische Mailprovider vorgeschlagen werden. Firefox verliert nichtsdestoweniger damit wieder ein Stückchen mehr von seinem Saubermann-Image. Harcore-Werbungsverweigerer werden vielleicht in Zukunft zwei Erweiterungen benötigen: Neben Adblock Plus für die Werbung auf Webseiten nun auch noch eine für die Werbung in Firefox selbst.