Der klassische Desktop ist noch lange nicht tot. Nachdem in der Linuxwelt in letzter Zeit mehr Oberflächen in klassischem Look ’n’ Feel als avantgardistische Konzepte entwickelt wurden, tut sich nun auch in der Windowswelt wieder was. Microsoft lenkt offenbar ein und überholt sein vielkritisiertes Windows 8.
Nachdem es für Gnome 3 seit Neuestem auch wieder eine klassische Ansicht gibt, die von den Gnome-Entwicklern selbst bereitgestellt wird, mit Cinnamon ohnehin ein klassisch zu bedienendes Gnome bereitsteht, Mate, XFCE und LXDE als klassische Alternativen um Nutzer buhlen, KDE das klassische Desktop-Schema ohnehin nie aufgegeben hat, sogar Mac OS X nie drastischere Experimente auf dem Desktop gewagt hat, rudert nun auch Microsoft zurück. Windows Blue, Codename für das kommende Windows-8-Update, wird die Kernpunkte, die mit Windows 8 eingeführt wurden, wieder ändern.
Die großen anwenderfreundlichen Distributionen setzen allesamt auf klassische Konzepte
Microsoft hat dabei gar keine andere Wahl. Desktopnutzer können mit der „Verappisierung“ des Betriebssystems auf großen Bildschirmen, mit Mäusen und physischen Tastaturen, einfach nicht viel anfangen. Sie können oder wollen nicht auf dem Monitor herumwischen und nur eine Anwendung gleichzeitig im Blick haben. Das Smartphone auf den Desktop zu bringen bzw. den Desktop zugunsten des Smartphones abzuschaffen – von Anfang an eine Schnapsidee, die vor allem die langjährigen Microsoft-Fans die Köpfe schütteln ließ.
Entweder man macht es wie Apple und bietet strikt unabhängige Oberflächen für die unterschiedlichen Systeme mit ihren unterschiedlichen Anwendungsszenarien an – oder man macht es wie KDE (oder auch Enlightenment), die zwar eine einzige technische Basis verwenden, je nach Einsatzgebiet aber in unterschiedliche Erscheinungsbilder wechseln, die sich an den Erfordernissen der jeweiligen Systeme ausrichten.
Doch ein System, das das Verhalten von Smartphones auch auf dem Desktop imitiert, das so tut, als wäre der klassische Desktop bereits gestorben, und Taskleiste & Co. nur noch wie eine Übergangslösung erscheinen lässt, die demnächst endgültig abgeschafft wird, muss scheitern. Es geht an den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Mehrheit der Anwender einfach vorbei. Demzufolge ist Microsoft offenbar drauf und dran, das aktuelle Windows wieder anwenderfreundlicher werden zu lassen. Wahrscheinlich kommt der Start-Button zurück, vielleicht wird sich direkt in den Desktop booten oder die Kachelansicht abschalten lassen.
Kommt wohl wieder: der Windows-Button.
Microsoft ist gut damit beraten, Innovation nicht auf Kosten der Anwender zu betreiben, die im schlimmsten Fall irgendwann dann deswegen keine Anwender mehr sind. Jedenfalls nicht von Windows. Denn Anwender, die für ein Produkt bezahlen, sind nicht nur Anwender, sondern gleichzeitig auch Kunden – und können allein durch den Umstand, etwas nicht zu kaufen, Marktmacht ausüben. Statt der Konkurrenz das Feld zu überlassen, bessert Microsoft also lieber nach.
Microsoft lernt gerade die Lektion, die Gnome oder Ubuntu schon lernen mussten: Blitzschnell ist man drauf und dran, die einstige, sicher geglaubte Marktführerschaft zu verlieren, wenn man Konzepte um ihrer selbst willen durchzieht. Eine Art „Windows Mint“ ist Microsoft als Closed-Source-Software erspart geblieben, doch Alternativen zu Windows 8 gibt es auch so mehr als genug – seien es andere proprietäre oder freie Lösungen. Für Linux wiederum könnte es bedeuten, dass die Anreize, dem Kacheldesign von Windows nacheifern zu müssen, nun erstmal deutlich geringer werden oder ganz wegfallen.
Die Zukunft, sprich das Wachstumspotential, liegt unbestritten im mobilen Bereich, doch auch den klassischen stationären PC wird es weiterhin geben. Microsoft wollte auf einmal beides sein – System für mobil und klassisch – und ging damit das Risiko ein, in beiden Sparten zu verlieren. Gefragt sind Spezialisten für ihr jeweiliges Einsatzgebiet, keine eierlegenden Wollmilchsysteme. Im Kern handelt es sich damit um einen Grundsatz, den Linux-Nutzer nur zu gut kennen dürften – die Unix-Philosophie.