Opera-Alternativen gibt es inzwischen wieder einige. Neben Opera selbst stehen Otter und Vivaldi in den Startlöchern. Wer sich darüber freut, bald wieder wie einst mit Opera 12 durchs Netz zu düsen, dürfte sich jedoch wahrscheinlich zu früh freuen.
Opera gibt es inzwischen auch wieder für Linux, jedenfalls fast. Doch mit dem einstigen Browser für fortgeschrittene Anwender hat das heutige Opera nicht mehr viel zu tun. Es soll eine Variante von Google Chrome für den Massengeschmack sein, kein Nachfolger von Opera 12. Doch die Rechnung geht kaum auf, die Nutzer greifen offenbar lieber zum Original von Google. Für die einstigen Opera-Fans, die die Konfigurierbar- und Andersartigkeit, die vielen pfiffigen Ideen an Opera schätzen, ist das heutige Opera daher kein wirklich befriedigender Ersatz.
In die Lücke, die Opera 12 hinterlassen und die das neue Opera nicht wieder gefüllt hat, springen nun andere: Otter und Vivaldi. Ob die beiden Projekte je den Status erreichen werden, den Opera einmal hatte, steht noch in den Sternen. Der Otter-Browser, der auf Apples Webkit aufbaut, entwickelt sich nur langsam, es gibt bislang nur Entwicklerversionen und noch immer kein endgültiges Release. Auch Vivaldi, auf Blink aufbauend, hat quasi gerade erst angefangen, eine erste Vorschauversion wurde dieser Tage veröffentlicht.
Vivaldi vs. Otter
Vivaldi sieht schon jetzt auf den ersten Blick deutlich mehr nach Opera 12 aus als Otter. Die Symbole (u. a. mit Vor- und Rücklauf-Button) und die Paneele sorgen für diesen Eindruck. Sogar die Mausgesten funktionieren schon. Bei genauerer Betrachtung ist Otter jedoch näher dran an Opera 12. Manch Vertrautes aus alten Opera-Versionen ist bereits zu sehen und vor allem zu benutzen. Das merkt man an der Bedienung und in den Einstellungen. Während Otter z. B. bereits die F12-Schnelleinstellungen, den typischen Ladebalken am unteren Seitenrand und sogar eigene Proxyeinstellungen hat, sieht Vivaldi abgesehen von den Paneelen eigentlich noch sehr nach Chrome aus. Während Otter bei der Bedienung durchaus schon Opera-12-Feeling aufkommen lässt und sich dank Programmierung in QT besser ans jeweilige Betriebssystem anpasst und nativ aussieht, verhält sich Vivaldi – dessen Oberfläche mit Javascript realisiert wird – eher wie ein umdekorierter Chrome-Browser mit zusätzlichen Seitenleisten – und wirkt wie ein Fremdkörper im System. Auch ist die Vivaldi-Oberfläche viel träger als das Otter-Interface.
Aktuelle Betaversion des Otter-Browsers
Demgegenüber darf jedoch vermutet werden, dass es wieder eine echte E-Mail-Komponente im Vivaldi-Browser geben wird, das entsprechende Paneel ist schon enthalten. Sollte das der Fall sein, hätte Vivaldi tatsächlich einen echten Mehrwert gegenüber Chrome, Opera oder Otter. Otter wird sich vielleicht stärker konfigurieren lassen, Vivaldi wird, wenn der E-Mail-Client kommt, mehr Funktionalität bieten. Vivaldi könnte Opera dadurch tatsächlich beerben und der heimliche Nachfolger von Opera 12 werden. Denn dass die Otter-Macher ebenfalls noch einen Mailclient programmieren, erscheint unwahrscheinlich, auch wenn die Roadmap die zusätzliche Integration eines Mailmoduls vorsieht. Kurzfristig dürfte es, wegen des höheren Entwicklungstempos, daher Vivaldi gelingen, die alten Opera-Fans wieder glücklich werden zu lassen.
Erste Vorschauversion des Vivaldi-Browsers
Sofern das Otter-Projekt durchhält, hat es langfristig jedoch ebenso gute Chancen, da es als Open-Source-Projekt unabhängiger ist und mehr auf die Wünsche der Nutzer eingehen kann. Vivaldi wird zwar ebenfalls auf quelloffener Software aufgebaut, dürfte selbst wie auch Googles Chrome aber nicht als freie Software veröffentlicht werden. Vivaldi scheint damit schon jetzt denselben Fehler zu begehen wie sein Vorbild: Wäre Opera 12 Open Source gewesen, hätte die Neuausrichtung bei Opera Software nicht dessen Ende bedeuten müssen. Auch Vivaldi will Geld verdienen, Otter muss sich diesen Luxus nicht leisten – mit allen Vor- und Nachteilen. Denkbares Szenario wäre allerdings auch, dass man beim Otter-Browser die Lust verliert, wenn mit Vivaldi irgendwann wieder ein adäquater Opera-Ersatz bereitstehen sollte – ähnlich wie es etwa beim Arora-Browser zu beobachten war, der die Safari/Webkit-Technik auf Linux brachte, bevor Chrome durchstartete.
Begehrte Community
Die alte Opera-Community hat Vivaldi bereits zu retten versucht, indem es nach Schließung der My-Opera-Seiten ein Alternativangebot startete. Auch das ist bislang nur teilweise gelungen, zumindest die ehemalige deutsche Opera-Community bleibt zerschlagen, seit mit dem Tod des Betreibers von Opera-info.de das dortige Forum geschlossen wurde. Nur wenige folgten dem Vivaldi-Angebot, einige machten stattdessen unter dem Dach von Deskmodder.de weiter. Bei Opera selbst gibt es nach dem Abschalten der alten Foren keinen deutschsprachigen Bereich mehr.
Altes Team beim neuen Browser
Jon S. von Tetzchner, der ehemalige Opera-Chef, macht mit einer neuen Firma einfach dort weiter, wo er bei Opera einst aufgehört hat, und hat auch gleich einen Teil der ehemaligen Opera-Entwickler wieder um sich versammelt, die bei Opera entlassen wurden. Die alte Opera-Kompetenz befindet sich daher nun tatsächlich zum Teil bei Vivaldi. Allerdings wird keine eigene, neue Browser-Engine entwickelt, sondern ebenfalls auf Basis von Chrome programmiert. Etwas anderes bleibt auch kaum übrig, denn eine kleine Firma kann nicht einfach so eine neue Browser-Engine aus dem Boden stampfen und pflegen. Dazu braucht es Größen wie Microsoft, die Mozilla-Stiftung, damals für Opera die norwegische Telekom im Rücken – oder eben Google. Die Blink-Technik unter Federführung von Google begrenzt daher auch die Möglichkeiten, die der alte Opera (bis Version 12 mit eigener Technik) noch hatte. Einige Funktionen und Eigenheiten in Bezug auf die Webseitendarstellung, die es beim klassischen Opera gab, werden daher auch mit den beiden neuen Projekten Otter und Vivaldi nicht wieder zurückkommen. Für Rufe wie „Opera 12 ist wieder da“ ist es daher etwas verfrüht. Vielleicht wird in Zukunft wieder ein Stand erreicht, der dem alten Opera recht nahekommen wird – jedenfalls in der Optik und Bedienung. Aber auch dann werden die Browser im Kern Chrome-Varianten bzw. Webkit/Blink-Browser bleiben.
Das Linux unter den Browsern
Chrome bzw. die dahinterstehende Blink-Engine entwickelt sich gewissermaßen immer mehr zum Linux unter den Browsern: Gefühlt alle paar Tage kommt ein neuer Browser auf den Markt, in leicht veränderter Zusammenstellung, aber irgendwie doch immer Chrome. Die Rolle, die Mozilla früher einmal spielte, aber dann aus freien Stücken aufgab, wird nun von Google übernommen. Echte Alternativen sind nur noch Internet Explorer bzw. künftig Spartan und Mozilla. Für Linux bedeutet das: Vordergründig viel Auswahl, letztlich aber nur zwei Möglichkeiten, das Internet anzeigen zu lassen: mit Gecko oder Webkit/Blink.
Aber das ist neu: Sowohl Vivaldi als auch Otter richten sich bewusst an die „Power-User“, die wissen, was sie tun und wie sie es tun wollen – und Wert auf Konfigurierbarkeit auch in der Standardausstattung legen. Etwas, was außer Seamonkey kein anderer Browser mehr bot. Es gibt damit künftig wieder Alternativen für Fortgeschrittene, die sich nicht erst den Browser mit Erweiterungen zustopfen wollen, um einen guten Workflow zu erreichen. Dem Trend, dass die Browser immer eintöniger und stromlininenförmiger wurden, wird wieder etwas entgegengesetzt.
Wie geht’s weiter?
Abzusehen ist bereits jetzt, dass Otter im Detail etwas näher am alten Opera-12-Verhalten dran sein und dessen Linie fortführen wird – Vivaldi wird sich wohl freier am alten Opera orientieren, die alte Kernfunktionalität bzw. die wichtigsten alten Opera-Features und -Komponenten wiederherstellen, sich ansonsten aber progressiver weiterentwickeln und auch neue Funktionen implementieren. Vivaldi tritt als Unternehmen professionell auf und steckt schon jetzt viel Aufwand in PR. Die alte Opera-Community zu hofieren und nicht kampflos aufzugeben war dabei ein geschickter Schachzug. Otter ist unauffälliger, macht kein Marketing und kommt mit dem Charme eines Entwicklerprojekts daher, hat aber ebenfalls bereits eine kleine Fangemeinschaft um sich geschart. Nichtkommerzieller Open-Source-Otter gegen kommerziellen Closed-Source-Vivaldi. Es wird spannend, was am Ende dabei herauskommen wird.