Vom Gnome-Projekt gibt es seit Kurzem auch wieder eine echte Alternative zur Gnome-Shell, die nicht nur ein Fallback für ältere Rechner darstellt. Der neue Modus ist nun z.B. in Fedora enthalten. Ein kleiner Blick auf das neue alte Gnome.
Nachdem auf Betreiben von Gnome-Sponsor Red Hat der Classic-Modus bei Gnome entwickelt wurde, um zwar auf moderne Gnome-Technik setzen zu können, gleichzeitig seiner Enterprise-Kundschaft aber eine traditionell zu bedienende Oberfläche zu offerieren, ist der bisherige Übergangsmodus, Gnome-Fallback, aufgegeben worden. Er lebt nun zwar unter der Bezeichnung „Flashback“ weiter, doch die Intention ist deutlich: Anwender, die mit der neuartigen Shell-Bedienung nicht zurechtkommen, sollen den Classic-Modus nutzen. Der neue Modus ist über den Anmeldebildschirm auswählbar (wenn nicht vorhanden, muss das Paket Gnome-classic nachinstalliert werden) und lässt sich parallel zur normalen Gnome-Shell ausprobieren.
Der bisherige Classic-Modus, die Fallback-Lösung, die es bislang bei Gnome gab, war die letzte Möglichkeit für Gnome-Anhänger, so etwas wie eine vertraute Gnome-2-Umgebung zu bekommen, ohne Gnome vollständig den Rücken zu kehren, etwa indem man auf Forks wie Mate setzte. Der Fallback-Modus war im Grunde das alte Gnome-2-Panel, portiert auf GTK3, das ein wenig wie die Gnome-Shell gestaltet wurde. Also gewissermaßen altes Gnome in den Farben und Formen der Shell.
Das ist nun auch passé, es wird offiziell der umgekehrte Weg gegangen: Einen Classic-Modus gibt es weiterhin, allerdings steckt dahinter nun die normale Gnome-Shell, die wiederum das Aussehen von Gnome 2 nachzuahmen versucht.
Das gelingt nur bedingt. Bereits an der Optik kommen erste Zweifel, ob man es hier mit einem vollwertigen Gnome-2-Nachfolger zu tun hat. Man sieht der Umgebung deutlich an, dass es die Gnome-Shell ist, die sich nur bemüht, traditionell daherzukommen. Auf den ersten Blick sieht es durchaus wie ein vertrautes, altes Gnome aus, eine untere und eine obere Leiste, Anwendungs- und Orte-Menü, Uhrzeit und Abmeldebutton oben rechts.
Doch bereits ein Klick auf die Hauptmenüs offenbart die Unterschiede: statt Standardmenüs erscheinen als Pop-up gestaltete Flächen, die die gewohnten Menüs nachzubilden scheinen.
Insbesondere das Anwendungsmenü erscheint stark aufgebohrt: Verzeichnisse und Einträge sind deutlich voneinander abgegrenzt, und am unteren Ende des Menüs prangt der Punkt „Aktivitäten-Übersicht“ – der direkt zum von der Gnome-Shell bekannten Übersichtsmodus führt. Mit dem Klick auf diesen Button landet man also vorübergehend 1:1 wieder in der dunkel gefärbten Gnome-Shell-Übersicht, es wirkt wie ein Türchen in eine andere Welt. Dabei reicht es auch, wenn man wie bei der Shell einfach mit der Maus in die obere linke Ecke fährt – das ruft den Shell-Übersichtsmodus ebenfalls auf.
Ein Klick auf Aktivitäten-Übersicht, …
… und schwupps ist man optisch wie funktional wieder in der neubekannten Gnome-Shell.
Und natürlich wird der Name und das Symbol der gerade aktuellen Anwendung im Shell-Stil oben links im Panel eingeblendet, obwohl es doch unten die Taskleiste gibt. Doch es gibt noch mehr Sonderbares. Den gewohnten Arbeitsflächenumschalter sucht man vergeblich, an seine Stelle ist ein rudimentärer Nachbau getreten: im unteren Panel rechts sitzt nun nur noch ein vereinzelter Button, erst beim Draufklicken öffnet sich ein Menü mit den verfügbaren Oberflächen – als reine Liste, ohne jede Vorschau oder Möglichkeit zum Verschieben.
Der blaue Kreis neben dem Arbeitsflächenumschalter unten ganz rechts zeigt nicht etwa den aktuellen Desktop an, sondern wie viele Anwendungen im „Traybereich“ liegen (die ansonsten nicht sichtbar werden, obwohl wie früher im Panel ausreichend Platz dafür wäre) – und öffnet beim Draufklicken den Infobereich. Automatisches Ausblenden oder Verstecken der Panels funktioniert nicht, und die Panels lassen sich genauso wenig konfigurieren wie in der normalen Gnome-Shell. Die alten Vorteile des Gnome-Panels, die vielfältigen Konfigurationsmöglichkeiten, kehren somit nicht zurück.
Der ganze Desktop sticht dafür mit Animationen wie bei der Gnome-Shell hervor. Fenster blenden sich sanft ein und aus, rollen sich ins Bild und wieder weg, die Nähe zur Shell und die Ferne zum klassischen Gnome ist unübersehbar. Es ist keine alte Gnome-Umgebung mehr, es ist durch und durch Gnome-Shell, die etwas traditioneller daherkommt, auf alt getrimmt, sich aber auch keine besondere Mühe macht, ihre Modernität zu verbergen bzw. den klassischen Workflow besser nachzubilden.
Interface-Bruch beim Einstecken eines USB-Mediums
Zusammenfassend lässt sich sagen: Gnome Classic ist Gnome-Shell mit standardmäßig aktivierten Symbolen auf dem Desktop und einer zusätzlichen Taskleiste. Es ist die Gnome-Shell, mit ein paar Erweiterungen. Das merkt man, wenn man „Gnome Classic“ auf einer Distribution nachinstalliert: es werden lediglich 3 zusätzliche Gnome-Shell-Erweiterungen nachgeladen. Es ist insgesamt weniger der halbherzige Versuch, das alte Gnome mit neuer Technik nachzubilden, als vielmehr der Versuch, die Nutzer doch noch irgendwie an die Gnome-Shell heranzuführen. Im Ergebnis führt es zum Zusammenmanschen zweier unterschiedlicher Bedienphilosophien mit einer Menge daraus resultierender logischer Inkonsistenzen.
Den bisherigen Fallback-Modus (ebenfalls unter Gnome Classic bekannt), gibt es unabhängig davon weiterhin: unter dem Namen Flashback wird er weiterentwickelt – und hat trotz moderner Optik immer noch mehr gemeinsam mit Gnome 2 als der neue Classic Mode.
Dieser Artikel ist Bestandteil der „Not my Desktop“-Reihe.
Bereits erschienen:
• Wird GNOME wieder zum Zwerg?
• Eine Woche Gnome 3: Der uniformierte Desktop
• Strategien zur GNOME-3-Vermeidung
• Gnome-Shell – es wird immer unübersichtlicher
• Endlich: Gnome rudert zurück
• Die Gnome-Shell macht auf alt
• Die Tragik der Gnome-Shell
• Der Gnome-Shell eine Chance