Obwohl bereits der ein oder andere annahm, dieser Artikel wäre ein solcher Versuch gewesen, widmen wir uns dem Thema nun einmal ein wenig ernsthafter – auch wenn manches tatsächlich wie Realsatire anmutet. Microsofts Betriebssystem Windows steht zumindest äußerlich vor einem seiner größten Umbrüche, die „Metro“-Oberfläche soll den bisherigen Desktop sowie den Aero- bzw. klassischen Windows-Stil weitgehend verdrängen.
Die spannende Frage dabei ist, ob die Kunden diesen Schritt mitgehen werden oder nicht. Könnte es dadurch einen Schub für Linux geben, wenn auch Mac OS X immer mehr zum iOS-Abziehbildchen verkommt und Windows 8 wie der Fahrkartenautomat in der U-Bahn erscheint – ein Touchscreen-Terminal in der Metro? Windowsanwender werden sich entsetzt die Augen reiben, wenn sie plötzlich kein Startmenü mehr finden – ähnlich den Gnome-2-Anhängern, die plötzlich vor der Gnome-Shell saßen. Windows 8 könnte vielleicht dasselbe Problem wie Gnome 3 bekommen: eindrucksvolles Aussehen, aber vernünftiges Arbeiten ist damit kaum möglich, sofern man das System nicht mit Dutzenden von Fremderweiterungen bis zur Unkenntlichkeit zupflastert. Doch werden die bisherigen Mac- und Windowsnutzer sich nach Alternativen umsehen und damit bei freier Software landen? Es kursieren dazu vor allem zwei Szenarien, die die weitere Entwicklung abzuschätzen versuchen.
Die Szenarien
Szenario Nr. 1: Die Computernutzer wenden sich mit Grausen von Windows ab, bleiben so lange wie möglich bei ihren alten Systemen – und suchen dann nach Alternativen, die ihrem alten Windows ähnlicher sind als das neue Windows.
Szenario Nr. 2: Die Leute werden sich an Metro gewöhnen, da es auf neuen Rechnern vorinstalliert ist und sich dadurch allmählich aber sicher in den PC-Alltag einschleichen wird – selbst dann, wenn es zunächst überhaupt nicht akzeptiert wird.
Wie realistisch sind diese Szenarien und welche Variante ist die wahrscheinlichere? Wem Metro so auf die Nerven gehen wird, dass er sich Windows95 zurückwünscht, der findet unter Linux tatsächlich adäquaten Ersatz. XFCE und LXDE bieten annähernd perfektes Win95- bis XP-Feeling. Mit KDE steht sogar ein Ersatz für die an die Optik von Windows 7 Gewöhnten bereit. Wer ohnehin lieber mal Mac-Feeling ausprobieren wollte, wird im Ansatz bei Unity und Gnome 3 fündig. Doch werden Windows-Nutzer das auch tatsächlich tun?
Ein Blick in die Vergangenheit könnte helfen, eine bessere Einschätzung zu gewinnen. Während Windows95 und 98 gemeinhin als Erfolg gelten, auch deshalb, weil sie in eine Zeit fielen, als PCs zum allgemeinen Gebrauchsartikel wurden, kam mit Windows ME der erste größere Flop. Die Anwender empfanden es als instabil und unnötig. Man blieb bei Windows98 oder arbeitete lieber gleich mit dem „richtigen“ Windows 2000 statt mit dem DOS-Aufsatz ME, das lediglich das Erscheinungsbild von Windows 2000 hatte. Man wartete auf Windows XP. Linux stellte zur Jahrhundertwende noch keine ernsthafte Alternative dar, Gnome und KDE gab es zwar schon, aber überzeugten noch nicht. XP seinerseits fand im Laufe der Jahre breiteste Zustimmung, da technisch zuverlässig, obwohl es die ungeliebte Zwangsaktivierung einführte. Linuxdistributionen hatten zu Zeiten der XP-Einführung bereits einen Punkt erreicht, wo sie auch für den normalen Anwender eine Alternative darstellen konnten – doch nur wenige nahmen die Microsoft-Gängelung zum Anlass und wechselten tatsächlich zu Linux. Windows Vista ereilte das ME-Schicksal: es wurde als unnötig oder gar Verschlimmerung empfunden. Vista war ungeliebt, fraß in der ersten Version zu viele Systemressourcen und wirkte wie mit heißer Nadel gestrickt. Das andauernde, enervierende Bestätigenmüssen von Sicherheitsabfragen hatte die Nutzer schon bald so weit, dass diese deswegen bald völlig auf Computer verzichten wollten. Vista nervte die von XP verwöhnten Anwender. Und was taten diese? Sie blieben einfach bei XP, statt auf Alternativen wie Linux zu wechseln. Windows 7 wiederum überzeugte die Windows-Anhängerschaft wieder mehrheitlich. Auch wieder kein Grund, auf Linux zu wechseln. Trotz vorhandener Gründe, die einen Umstieg rechtfertigt hätten, haben Windowsnutzer nie in Massen das System gewechselt. Der reguläre Weg zu Linux führt nicht über die Ablehnung von Windows, sondern aufgrund Interesses für das Pinguinbetriebssystem.
Nun also kommt Windows 8 – und statt auf Linuxlösungen umzuschwenken, werden die Anwender erstmal einfach bei Windows 7 bleiben. In der Zwischenzeit wird sich das metroisierte Windows schleichend verbreiten. Marktmacht und -durchdringung von Microsoft kann man nicht negieren – auf neuerworbenen Computern wird demnächst mehrheitlich Windows 8 vorinstalliert sein und sich auf diese Weise langsam aber sicher verbreiten. Dazu kommt, dass wer mit Windowsprogrammen arbeitet, diese meist auch weiterhin benutzen möchte. Zwar bieten die Distributionen zu fast jeder Aufgabe ein äquivalentes Programm, doch die Umstellungshürde bleibt.
Folgen für Linux
Ein Sturm auf Linux ist also unwahrscheinlich, trotz der anstehenden epochalen Änderungen bei Windows. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Änderungen aus dem Hause Microsoft auch Linux mehr oder weniger stark beeinflussen werden. Denn die Oberflächen für Linux haben sich stets auch am Marktführer orientiert. Am auffälligsten war dies immer bei KDE. KDE 1 war ein optischer Windows-95-Klon, KDE 3 ahmte den bunten XP-Luna-Look nach und die auffälligste Änderung von KDE 4 war wie auch bei Windows Vista/7 der inflationäre Einsatz von Transparenz und graphischen Effekten – klar, alles natürlich auch abschaltbar. Linux-Desktops tun sich schwer damit, einen eigenen Stil zu finden, meist kommt ein Mischmasch aus Windows, Mac und CDE dabei heraus. Allein Gnome versuchte bislang konsequent, einen ganz eigenen Stil für Linux zu schaffen. Egal ob Gnome 2 oder jetzt die Gnome-Shell – Vorreiter für Linuxdesktops, die nicht wie eine reine Mac- oder Windows-Kopie wirkten, war und ist das Gnome-Projekt. Eine Bemühung, die aktuell natürlich in die Hose geht, wenn die gefühlte Linuxdistribution Nr. 1 lieber auf einen Mac-Klon setzt, statt originale Gnome-Shell auszuliefern.
Doch mehrheitlich versuchen die Linuxdesktops die Anwender dort abzuholen, wo sie stehen – und die stehen in der Masse eben bei Windows und Mac OS X. Eine Linuxoberfläche, die sich optisch und funktional nicht mindestens genauso gut präsentiert wie die Konkurrenten, ist für den Anwender nicht gerade attraktiv. Windows’ Metro hat mehr gemeinsam mit dem in Star Trek vorkommenden „LCARS“ als mit den eigenen Vorgängern. Insofern könnte es durchaus passieren, dass in naher Zukunft eine Metroisierung auch bei Linux einsetzt. Nicht nur, um Windowsnutzern eine vertrautere Ausgangsbasis zu bieten, sondern auch, um nicht hoffnungslos veraltet zu wirken. Das ist das Problem, das KDE und Co. demnächst haben werden. Hier rächt es sich jetzt, dass KDE gestalterisch immer recht nah an Windows dran ist. Ist Windows 8 erstmal etabliert, wird KDE, da am ehesten Windows 7 gleichend, schlicht altmodisch wirken. Transparenzen, Rundungen und Schatten werden bald ein Synonym für überholtes Design sein. LXDE könnte dagegen schon bald wieder regelrecht modern wirken.
Ähnlich sieht es auch beim Dateimanagement aus. Da Windows die von Office bekannten „Ribbons“ nun vor allem auch im Explorer etabliert, werden Dateimanager mit klassischer Ansicht bald wie altes Eisen wirken. Der Ribbons-Dateimanager sieht zwar völlig chaotisch und unelegant aus, bietet aber einen einfachen und semipermanenten Überblick über die Möglichkeiten des Programms. Wetten werden angenommen, wann es eine Datei-umbenennen-Schaltfläche, eine Auswahl-umkehren-Taste oder einen Neuen-Ordner-anlegen-Button in Dolphin, Nautilus, Thunar und PcmanFM geben wird.
Ein Trend weg vom klassischen Desktop ist bei Linux bereits seit Längerem zu beobachten. Gnome-Shell und Unity versuchen es mit einem Ansatz, der nicht mehr viel mit dem herkömmlichen Desktopschema zu tun hat und sich eher an Tablet- und Netbookbedienung orientiert. Die meisten Fenstermanager verfolgen ohnehin einen sehr eigenen Ansatz, sieht man einmal von IceWM ab, das ein Windows95, erweitert um OS/2-Elemente, darstellt. Von den fünf häufiger benutzten Linux-Desktop-Umgebungen (KDE, Gnome, Unity, XFCE und LXDE) sind also bereits 2 auch für den Bereich des klassischen Desktop-PCs auf eine Art Smartphone-Stil umgestiegen.
Linux für Einsteiger
Wenn das neue Windows die Nutzer zu Linux treiben wird (und das wird unter Garantie in manchen Fällen durchaus passieren), dann werden diese zum einen hauptsächlich auf ein Ubuntu treffen, das aus Prinzip vieles anders macht als Windows, das dann zwar keine Kacheln hat, dafür aber „Linsen“. Zum anderen kommen sie vielleicht mit Gnome in Kontakt, das wie das neue Windows radikal mit gewohnten Konzepten bricht. Bleibt noch KDE. Dem könnte es tatsächlich gelingen, manch frustrierten Windowsnutzer, der gerne beim gewohnten Desktopbild bleiben möchte, zur Verwendung von Linux zu bewegen. LXDE und XFCE wären für Windowsumsteiger auch eine gute Wahl, doch ist bei diesen Oberflächen zurzeit noch zu viel Handarbeit und Linux-Hintergrundwissen für eine umfassende Konfiguration erforderlich, was gerade Umsteiger von Windows nicht mitbringen.
Wie man es auch dreht und wendet, eines ist jedoch sicher: wer in Linux einen Windows-Ersatz erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden. Es klingt banal, doch wer Linux will, muss auch Linux wollen. Das bedeutet, sich dennoch auf Neues einlassen sowie Lern- und Veränderungsbereitschaft mitbringen zu müssen. Auch wenn es Windows sehr ähnlich sein kann – seine Vorteile spielt Linux nicht bei der Imitation von Windows aus, sondern es überzeugt durch seine eigenen Stärken. Eine Alternative ist immer nur eine Alternative, doch Linux ist Linux.