In den letzten Jahren, besonders in den letzten Monaten, wuchs Firefox um immer mehr Bestandteile – vor allem um solche, bei denen sich viele Nutzer fragten, was sie damit eigentlich anfangen sollten. Nun soll es wieder in die andere Richtung gehen – Funktionen werden entfernt. Dabei jedoch eher diejenigen, die für die Nutzer wirklich nützlich sein könnten. Tab-Sortierung und Themes werden beispielsweise geopfert.
Hello-Videokonferenz, Text-Chat, Firefox Share/Dienste-Integration, Pocket-Modul, Reader-Funktion, App-Store. All das wurde jüngst in Firefox eingebaut, obwohl es mit der Kernfunktion des Browsers herzlich wenig zu tun hat. Dafür fehlen auf der anderen Seite grundlegende Funktionen und die Qualitätssicherung. Für Chat gibt es bessere Apps, für Videotelefonie auch. Die feste Pocket-Integration hat ein Geschmäckle und der App-Store wirkt, als wollte man Firefox als Spieleplattform neuerfinden. Noch ist Firefox als Nur-Browser erkennbar – doch wenn man sich Menü und Symbolleisten ansieht, kommen bereits allmählich leichte Zweifel auf.
Firefox wiederholt damit den Fehler, den Netscape vor Jahrzehnten schon einmal machte, Mozilla als Netscape-Nachfolger scheint 20 Jahre danach wieder in dieselbe Falle zu tappen: Der damalige Browserprimus wurde immer aufgeblähter, fehleranfälliger, letztlich unwartbar. Auch Netscape sah in seinen letzten Tagen ähnlich „angereichert“ aus wie Firefox aktuell. In der Symbolleiste prangte ein dicker Shopping-Button, und statt der Suchfunktion gab es „relevante Vorschläge“.
Die Lehren aus der Geschichte
Die Anwender wurden vom Funktionsumfang erschlagen und griffen – nicht nur wegen der Marktmacht Microsofts – lieber zum Internet Explorer. Die letzten Netscape-Versionen der 4er-Serie waren nur noch etwas für Nostalgiker. Am Ende war es ein Moloch geworden, den niemand mehr warten wollte, und der deshalb kommplett über Bord geschmissen und mit Mozilla ein Neuanfang gewagt wurde. Es kam die Mozilla-Suite (heute als Seamonkey erhältlich) mit neuer technischer Basis und hehren Zielen, oberflächlich aber mit demselben abschreckenden Interface. Das alte Netscape wurde praktisch 1:1 nachprogrammiert, um denselben Funktionsumfang wieder zu erreichen. Auch dabei wurde der Fehler erneut wiederholt, der sich auch jetzt bei Seamonkey zeigt: Die schiere Größe und Komplexität des Programms macht die Betreuung schwierig und es kommt immer wieder zu Regressionen, die über die Versionen mitgeschleppt werden; essentielle Funktionen gehen einfach kaputt und werden lange Zeit nicht behoben. Es ist viel da, aber oft funktioniert es nicht richtig.
Firefox war dagegen zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als zunächst Phoenix, dann Firebird, schließlich Firefox bot er das, was die Internetnutzer am dringendsten brauchten: einen modernen und zuverlässigen und praktischen und übersichtlichen Browser. Von diesem Prinzip hat sich Firefox mittlerweile nicht nur leicht entfernt. Die Progressivität beansprucht inzwischen Google Chrome für sich, die Zuverlässigkeit leidet seit den schnelleren Release-Zyklen, die Übersichtlichkeit wird gefährdet. Bleibt noch die Praktikabilität, das letzte große Standbein von Firefox. Doch auch das scheint nun nicht mehr sicher.
Die Notbremse wird gezogen
Denn so langsam kommt auch den Mozilla-Verantwortlichen ins Bewusstsein, dass hier etwas gehörig schiefläuft. Nun steht das große Aufräumen an, allerdings scheint es, dass dabei nicht unbedingt klug vorgegangen wird, sondern eher in blindem Aktionismus. So werden in den kommenden Firefoxversionen wohl auch Funktionen fehlen, die durchaus sinnvoll sind – nur eben nie richtig implementiert wurden. Kein Wunder also, wenn halbgare, schlecht vermarktete Lösungen nur von wenigen Anwendern genutzt werden – das macht es Mozilla dann praktischerweise auch noch einfach, mit Hinweis auf die geringe Nutzerzahl die jeweilige Komponente komplett aufzugeben. Gerade kleine nützliche Funktionen wurden in der Vergangenheit bereits ausgebaut.
Stiefkind Lesezeichen
Beispiel Lesezeichen. Die Lesezeichenverwaltung wurde schon vor langer Zeit zur umfassenden Chronik aufgeblasen, aber dann plötzlich nicht zu Ende entwickelt. Auch in Version 42 bietet Firefox noch immer keine Möglichkeit, die Lesezeichen mit Bordmitteln vernünftig zu verwalten. Tags lassen sich seit den ersten Betaversionen von Phoenix (dem ursprünglichen Namen von Firefox) vergeben, doch sinnvoll nutzen lassen sie sich bis heute nicht.
Stiefkind Tab-Gruppen
Andere sinnvolle Features, die tatsächlich mit der Webseitenverwaltung zu tun haben, wie etwa die Tabgruppierung, das Anlegen von Reiter-Gruppen, werden jahrelang vor den Nutzern quasi versteckt, nicht zu Ende entwickelt und letzten Endes dann mit der Begründung, dass kaum jemand die Funktion benutzen würde, nun wieder endgültig entfernt. Die damalige Erweiterung gibt es dann schon längst nicht mehr – denn die Funktion wurde ja schließlich in Firefox integriert. Opera hatte beispielsweise eine vergleichbare Funktion – nur viel intuitiver. Hier konnten die Tabs einfach mit der Maus aufeinandergeschoben und bei Bedarf wieder ausgeklappt werden.
Stiefkind Themes
Beispiel Themes. Das Dekorieren war einstmals ebenfalls eine der Stärken von Firefox. Das komplette User Interface ließ sich praktisch austauschen und chamäleonartig neu gestalten. Dann kamen „Personas“, die mit großem Brimborium in den Vordergrund gestellt wurden, eine Art „Themes light“, die nur noch den Hintergrund und die Farben zu ändern vermochten. Das nahm den echten, vollwertigen Themes den Wind aus den Segeln, die fortan ebenfalls quasi versteckt wurden. Nun sollen die vollumfänglichen Themes komplett aus Firefox verschwinden. Normale Leute brauchen sowas nicht, aber gerade die exzessiveren Firefox-Fans designen „ihren“ Fuchs schon einmal gerne. Diese werden von Mozilla nun wohl zu gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesennutzern zwangsdegradiert. Mozilla verdirbt es sich somit also mal wieder nicht nur mit den alten Fans, sondern im Speziellen auch noch mit den Heavy-Usern.
Aber auch sinnvolle Verschlankungsmaßnahmen sind geplant: Wenn tatsächlich die Pocket-Funktion wieder aus Firefox entfernt wird, ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung – über die Teilen-Funktion ist der Dienst ohnehin auch weiterhin über Firefox ansteuerbar. Das scheint aber leider auch die einzig sinnvolle Maßnahme zu sein. Das neue Credo, dass all das, was nicht perfekt umgesetzt werden kann, lieber aus Firefox entfernt werden soll, statt es kontinuierlich weiterzuentwickeln, lässt das Schlimmste befürchten. Noch mehr liebgewonnene Funktionen werden so mit der Zeit aus Firefox entfallen, der Fuchs noch massenkompatibler werden, als er ohnehin schon gemacht wurde.
Denn der Umbau des gesamten Erweiterungssystems ist ebenfalls angedacht – und Mozilla begeht damit nicht nur den Netscape-Fehler, sondern wiederholt auch den Chrome-Fehler. Seit Firefox begann, den Google-Browser zu imitieren, um von diesem nicht abgehängt zu werden, ging es rasant bergab mit der Firefoxmarktmacht. Und Mozilla lernt offenbar wieder nichts daraus. Statt sich auf die eigenen Vorteile und Alleinstellungsmerkmale zu konzentrieren, werden diese nun weiter versteckt, beschnitten – um sich noch mehr wie Chrome gebärden zu können. Das Ausrichten an Chrome führte aber gerade nicht dazu, dass mehr Anwender bei Firefox blieben oder neugierig wurden – sie gingen wohl erst recht zu Chrome.
Die Prioritäten, so scheint es, liegen ohnehin schon nicht mehr beim Firefoxbrowser, der auf Smartphones ohnehin keinen Fuß in die Tür bekommt. Die Ressourcen wurden stattdessen in Firefox OS gesteckt, die Smartphone-Antwort auf die Frage, die leider niemand gestellt hat. Das wirkt sich auch auf den Desktop-Firefox aus: Infolgedessen wird nun auch der Browser „verappt“, ein „Marktplatz“ ist bereits integriert. Bis es bald nur noch „Apps“ (ehemals Add-ons, ehemals Erweiterungen) heißt, kann nur noch eine Frage der Zeit sein.
Scheinheiligkeit
Wenn das das Ergebnis sein soll, um den Nutzer wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, nachdem man in letzter Zeit gefühlt nur noch für die Werbekunden programmiert hat, nachdem man erst großflächig Werbebanner und gesponserte Funktionen im Browser eingeführt hat, dann wirkt es etwas unaufrichtig. In der Tat bekam Firefox mit Version 41 nun auch einen umfassenderen Tracking-Schutz spendiert – aber nur im privaten Modus, wo er keinen wirklichen Schaden bei den potentiellen Geldgebern anrichten kann. Auch einen eigenen Werbeblocker hat Firefox, anders als z.B. der alte Opera, noch nicht zustandegebracht.
Statt sich auf die Kernkompetenz, die Grundfunktionalität zu konzentrieren, wurde allerlei Schnickschnack integriert, der Entwicklerressourcen an anderen Stellen band. Firefox sollte sich endlich auf seine Tugenden, seinen Entstehungsmythos besinnen, und wieder anfangen, einen richtig guten Browser zu entwickeln – mit Spielereien allein wird es nicht gelingen, Google jemals Paroli zu bieten. Bislang konnte Firefox neben seinem guten Ruf mit einer Art moralischen Überlegenheit – kompromissloses Open-Source und Transparenz – zusätzlich zur Praktikabilität und den technischen Möglichkeiten punkten. Die Flexibilität war sein großer Pluspunkt gegenüber der Konkurrenz. Doch bald könnte es wirklich keinen Unterschied mehr machen, ob man einen Mozilla- oder einen Google-Browser nutzt.
Zurück zur Kernkompetenz
Firefox war mal eine Idee: ein schlanker Browser, befreit vom Ballast der damaligen Mozilla-Suite, mit übersichtlicher Oberfläche mit den wesentlichsten Einstellungen, die sich auf das konzentrierten, was ein Browser machen soll: das Internet anzeigen. Die Idee wurde ein voller Erfolg, Firefox brach die marktbeherrschende Stellung des Internet Explorers und wurde in manchen Ländern sogar zeitweilig Marktführer.
Für viele sind allein noch die nahezu perfekte Erweiter- und Anpassbarkeit der Grund, warum sie nicht zu alternativen Browsern abgewandert sind. Kappt Mozilla auch noch dieses Steckenpferd, dürfte es noch düsterer aussehen für die Firefox-Zukunft. Schlimmstes Szenario für die Webwelt: Wenn Mozilla so weitermacht, wird Firefox wieder zu dem, was es einmal war: ein kleiner Nischenbrowser – aber dieses Mal ohne jede Chance auf einen rasanten Aufstieg an die Spitze. Wenn Mozilla Firefox abspeckt, muss es aufpassen, dass es zwar wieder ein schlanker Browser wird, aber dabei die Praktikabilität nicht opfert – denn dadurch würde nur ein Vorteil gegen einen anderen eingetauscht.