20 Jahre Gnome – und nun?

16. August 2017

Rückblick auf 20 Jahre Gnome – und ein kleines Gedankenspiel, wie die Linux-Desktop-Landschaft wohl heute ohne das Projekt aussähe …


Gnome-Shell im Jahre 2017 (in Debian 9)

Das Jubiläum wird nun überall zum Anlass genommen, auf die Gnome-Historie zu schauen. Ja, Gnome 1 war nur ein schlechter Versuch, KDE nachzubauen, weil die Software nicht nur open, sondern auch free sein sollte. Gnome 2 setzte erstmals eigene Akzente, wurde beliebt und eine Zeitlang gar das „Gesicht von Linux“. Und Gnome 3 setzte noch mehr eigene Akzente, leider im Negativen, verlor drastisch an Zuspruch, ist inzwischen aber wieder ein annehmbarer Linuxdesktop.

Seltsames Gnome

Dass sich das alles so entwickeln würde, war damals noch nicht absehbar. Das erste Gnome sah wirklich etwas aus wie ein Waldschrat. Altbacken trifft es nicht ganz, eher verschroben und modrig. Eigensinnig und visuell unattraktiv. Als hätten ein paar verspielte Retro-Fans eine alte Oberfläche zwar mit Charme, aber völlig unkoordiniert zusammengestückelt. Gegen den Funktionsumfang, die Möglichkeiten und das damals frisch-moderne Erscheinungsbild des gerade entstehenden KDE 2 hatte Gnome bis Version 1.4 keine Chance. Visuell wirkte es, als würde es Gnome trotzig auch gar nicht erst versuchen wollen. Kantenglättung gab es nicht, der Dateiauswahldialog war wie in den 80er Jahren streng in zwei Spalten geteilt, je eine nur für Ordner und nur für Dateien.


Gnome-1-Desktop im Jahre 2003 (in Red Hat 7.2)

Ernsthaft benutzbar und erstmals konkurrenzfähig wurde Gnome in Version 2. Das lag nicht nur an der runderneuerten Technik, sondern vor allem daran, dass nun auf Usability und ein stringentes Erscheinungsbild geachtet wurde. Das Design rückte in den Mittelpunkt. Der „Clearlooks“-Stil entstand und zählt bis heute zu den angenehmsten Themes, die Linuxdesktops hervorgebracht haben. Sanfte Formen und Pastelltöne, als andere Oberfächen noch kantig-kühl oder bonbonbunt waren. Gnome sah nun auf einmal viel seriöser, viel „erwachsener“ aus. Funktional in den ersten Versionen noch eingeschränkt, wurde Gnome 2 immer weiter ausgebaut und verbessert. Dann kam die Gnome-Shell, der Rest ist bekannt.

Eine Welt ohne Gnome

Doch was wäre eigentlich passiert, wenn es Gnome nicht gegeben hätte? Wenn KDE von Anfang an quelloffen und freier lizenzierbar gewesen wäre? Die Notwendigkeit für ein Gnome hätte dann nicht bestanden. Würden dann heute alle nur KDE nutzen? Oder hätte die fehlende Konkurrenz von Gnome dazu geführt, dass KDE sich nicht so progressiv entwickelt hätte? Welche Oberflächen würden die Enterprise-Distributionen heute nutzen, wenn es kein Gnome gäbe? Wie sähen all die Linux-Programme heute aus, wenn GTK mangels Gnome keinen solchen Schub bekommen hätte? Gäbe es dann all die Linux-Programme überhaupt? Auch den ganzen Ameisenhaufen an Desktopumgebungen würde es heute nicht geben. Denn wo kein Gnome, da auch keine Abspaltung von Gnome. Kein Cinnamon, kein Mate.


Gnome-2-Desktop im Jahre 2006 (in OpenSUSE 10.1)

Ohne Gnome wäre die Linuxlandschaft heute definitiv ärmer – und sähe wohl tatsächlich ganz anders aus. Vielleicht einheitlicher, vielleicht aber auch noch viel uneinheitlicher – aber auf jeden Fall viel weniger vielfältig.

Aber das sind Spekulationen, der Ist-Zustand spricht für sich: Gnome hat es über die Jahre geschafft, zum Standarddesktop vieler bedeutender Distributionen zu werden, zu bleiben oder, wie im Fall von Ubuntu, erneut zu werden. Die Enterprise-Distris von Suse und Red Hat setzen auf Gnome, Ubuntu wurde mit Gnome groß und versucht bald wieder daran anzuknüpfen, Fedora und Debian sind ebenfalls Gnome-Distributionen. Wenn es Gnome nicht gegeben hätte, hätte man es vielleicht trotzdem erfinden müssen. Gnome, ob man es nun persönlich mag oder nicht, kommt jedenfalls das Verdienst zu, viel für den Linux-Desktop getan zu haben.

Zwischen Gnome 1 und Gnome 2 lagen knapp 5 Jahre, zwischen Gnome 2 und Gnome-Shell schon fast 10 Jahre Entwicklungszeit. Mal angenommen, das würde sich so fortsetzen, dann könnten wir um das Jahr 2035 herum mit Gnome 4 rechnen. Für die nächste Zeit jedenfalls hat die Linuxwelt einen modernen, aktiv weiterentwickelten, zuverlässigen und stabilen Desktop. Gratulation, Gnome!


aus der Kategorie: / Tratsch / Gnome & KDE

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Kommentare

Ich finde das Gnome-Konzept auch gut durchdacht und nach einer Testphase in der ich mich an das neue Desktopparadigma gewöhnt hatte mochte ich es nicht mehr missen.
Hatte zu Gnome2-, XFCE und flux/openbox-Zeiten immer eine Maus dabei, die ich wenn möglich sofort angeschlossen habe aber seit Gnome3 ist das überflüssig da es sich so gut mit Tastaturshortcuts benutzen lässt. Deshalb verstehe ich auch nicht warum Gnome3 oft als “Touchoberfläche” verschrien wird, es ist am besten mit der Tastatur zu bedienen und ich habe bisher keinerlei Funktionen entdeckt die darauf hindeuten, dass es mit Tatschen auch nur halbwegs effizient nutzbar wäre.

Martin · 16. August 2017, 19:32

Gnome (3) braucht kein Mensch.
MATE ist das A und O — und dabei bleibe ich. ;-)

Schönen Tag noch! ;-)

— Torsten · 16. August 2017, 19:53

Gnome? Naja, wer es mag….

Für mich ist Gnome ein heilloses Durcheinander, da ist sogar Unity besser. Ein total sinnloses Konzept, muß ich schon sagen. Auch ich bevorzuge MATE, aber XFCE oder LXDE sind auch gut. Gnome ist ausserdem ziemlich vermurkst, wie ich finde und absolut verwirrend. Ich kann mit diesem Schrott echt nichts anfangen, tut mir leid.

— Andreas · 17. August 2017, 08:37

Jetze jeht det hier schon wieda los..? :D

Ich schließe mich an: Gratulation Gnome! Danke für Deine Hilfe, ohne Dich hätte ich es sehr viel schwerer gehabt, von Win auf Linux (pardon: Gnu/Linux) umzusteigen. Als Du mit der Version 3 mich nicht mehr als User haben wolltest, bin ich zu Mate gewechselt, das ist genau so und sieht so aus wie Du mal warst..schnief…
Alles Gute für die Zukunft, ich werde immer mal nach Dir sehen..

— Schokoladenpudding · 17. August 2017, 09:18

Ich war auch großer Gnome2-Fan und verstehe bis heute nicht so wirklich, was die Entwickler zu Gnome 3 gedacht haben. Mit Wegfall von Gnome2 habe ich auch Linux auf dem Desktop aufgegeben und nutze primär proprietäre Betriebssysteme. Früher wäre es anders herum.

Jetzt gibt es zwar mit Mate wieder “Gnome2”, aber die Zeit bei proprietären Betriebssystemen hat sich auch weiter gedreht. Heute nutze ich Linux mit KDE und meist um mal ein bisschen in Linux rein zu schauen und vielleicht etwas rum zu klicken.

Zumindest auf dem Raspberry nutze ich Linux gerne.

— Abbc · 18. August 2017, 22:02

Gnome3 kann man sich echt nicht mehr antun. Alles schlecht umgesetzt und schlecht durchdacht. Andere Desktopumgebungen sind definitiv besser.

So wahr ich Henry VIII. bin, die Macher von Gnome3 gehören geköpft! ;)) Wäre ich noch König, würde ich dies sofort anordnen. ;)

— Henry VIII. · 22. August 2017, 14:27

Mittlerweile ärger ich mich mehr und mehr über die Entwickler von Gnome und mir macht das arbeiten mit dem Linuxdesktop immer weniger Freude.

Als Gnome3 kam, konnte jeder, der das Konzept nicht mochte, auf ein anderes DE wechseln. Ich bin zu XFCE.

So konnte ich weiterhin meine Maus schubsen und meine Fenster nach belieben auf meine Desktops verbreiten, Fenster auf- und zuziehen und im Fenster scrollen ohne das ich die dazu notwendigen Elemente mühsam suchen muss.

Leider ist es aber so, dass die Gnome Entwickler auch GTK entwickeln. Davon betroffen ist sowohl XFCE als auch eine Vielzahl von Anwendungen. Seit dem update auf Debian 9 bemerke ich bei meiner täglichen Arbeit wie mich das nervt und bremst.

Im Datei-öffnen Dialog ist keine Baumansicht mehr und wer seine Dateien in einer tiefen Baumstruktur ordnet kann sich druchklicken. Noch schlimmer ist es, dass in manchen Anwendungen Ordner und Dateien durcheinander angezeigt werden ohne das dies änderbar ist (z.b. wenn man in Thunderbird einen Anhang auswählen möchte).

Die fehlenden oder erst nachträglichen eingeblendeten Scrollbars, die darüber winzig sind, stören ebenfalls. auch das grösser und kleiner ziehen von Fenster wurde erheblich erschwert. Vor allem die Ecke zu finden, wo beides gleichzeitig möglich ist, ist im Standarddesign von XFCE mit der Maus Millimeterarbeit.

Ich halte Gnome eher für einen Totengräber des Linuxdesktops, da sie mit GTK eines der meistgenutzen Frameworks kontrollieren und allen ihren Style aufzwingen. also weg, von der individuellen Einstellungsmöglichkeiten, die den Anwender überfordern könnten, hin zum Sorglospaket, wo alles gleich ist.

Seltsam finde ich die Argumentation Gnome hätte geholfen beim Wechsel von Windows. Unter Windows funktionieren diese Sachen alle noch.

Ich verstehe auch nicht, wie jemand der viel am Rechner arbeitet ohne Trees mit Dateien umgeht. Gerade für Entwickler generieren doch viele Werkzeuge tiefe Strukturen und oft mit immer den gleichen Namen. Dort dann Dateien im aktuellen fileopen Dialog zu suchen, ist eine Plage.

— struppi · 24. August 2017, 11:21

Gnome3? Sorry, aber da ist sogar “Unity” besser, finde ich. Gnome3 ist derart vermurkst und schlecht umgesetzt, daß es einfach nur noch furchtbar ist. Diese Lobhudelei auf Gnome3 kann ich absolut nicht nachvollziehen.

— Peter · 27. August 2017, 07:02

@struppi

> Seltsam finde ich die Argumentation Gnome hätte geholfen beim
> Wechsel von Windows. Unter Windows funktionieren diese Sachen alle noch.

Meine Eloge galt Gnome 2. Daß irgendwas unter Win noch funktioniert ist mir egal, ich wollte weg von Windows. Und ich schrob dass Gnome mir dabei half. Anno 2007, ist schon 10 Jahre her. Daß es sich bei der Umstiegshilfe um Gnome 2 handelte wird durch den nächsten Satz deutlich dessen Anfang lautet:
‘Als Du mit der Version 3 mich nicht mehr als User haben wolltest …’
Das war vielleicht ein wenig missverständlich geschrieben.

— Schokoladenpudding · 27. August 2017, 22:22

Es wird immer eine Glaubensfrage bleiben, ich selber nutze Mate, weil es mir die einfache Möglichkeit bietet, ein Globalmenu zu nutzen, wenn der Bildschirm nicht der größte ist, ist das eine fantastische Sache. Aber ich tue mich schwer damit zu sagen, die eine Oberfläche ist besser als die andere, sondern ich suche mir heraus, was für mich am zweckmäßigsten ist, Aber ist das nicht gerade das schöne an Linux?

— Detlef · 31. Oktober 2017, 22:18

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