Rückblick auf 20 Jahre Gnome – und ein kleines Gedankenspiel, wie die Linux-Desktop-Landschaft wohl heute ohne das Projekt aussähe …
Gnome-Shell im Jahre 2017 (in Debian 9)
Das Jubiläum wird nun überall zum Anlass genommen, auf die Gnome-Historie zu schauen. Ja, Gnome 1 war nur ein schlechter Versuch, KDE nachzubauen, weil die Software nicht nur open, sondern auch free sein sollte. Gnome 2 setzte erstmals eigene Akzente, wurde beliebt und eine Zeitlang gar das „Gesicht von Linux“. Und Gnome 3 setzte noch mehr eigene Akzente, leider im Negativen, verlor drastisch an Zuspruch, ist inzwischen aber wieder ein annehmbarer Linuxdesktop.
Seltsames Gnome
Dass sich das alles so entwickeln würde, war damals noch nicht absehbar. Das erste Gnome sah wirklich etwas aus wie ein Waldschrat. Altbacken trifft es nicht ganz, eher verschroben und modrig. Eigensinnig und visuell unattraktiv. Als hätten ein paar verspielte Retro-Fans eine alte Oberfläche zwar mit Charme, aber völlig unkoordiniert zusammengestückelt. Gegen den Funktionsumfang, die Möglichkeiten und das damals frisch-moderne Erscheinungsbild des gerade entstehenden KDE 2 hatte Gnome bis Version 1.4 keine Chance. Visuell wirkte es, als würde es Gnome trotzig auch gar nicht erst versuchen wollen. Kantenglättung gab es nicht, der Dateiauswahldialog war wie in den 80er Jahren streng in zwei Spalten geteilt, je eine nur für Ordner und nur für Dateien.
Gnome-1-Desktop im Jahre 2003 (in Red Hat 7.2)
Ernsthaft benutzbar und erstmals konkurrenzfähig wurde Gnome in Version 2. Das lag nicht nur an der runderneuerten Technik, sondern vor allem daran, dass nun auf Usability und ein stringentes Erscheinungsbild geachtet wurde. Das Design rückte in den Mittelpunkt. Der „Clearlooks“-Stil entstand und zählt bis heute zu den angenehmsten Themes, die Linuxdesktops hervorgebracht haben. Sanfte Formen und Pastelltöne, als andere Oberfächen noch kantig-kühl oder bonbonbunt waren. Gnome sah nun auf einmal viel seriöser, viel „erwachsener“ aus. Funktional in den ersten Versionen noch eingeschränkt, wurde Gnome 2 immer weiter ausgebaut und verbessert. Dann kam die Gnome-Shell, der Rest ist bekannt.
Eine Welt ohne Gnome
Doch was wäre eigentlich passiert, wenn es Gnome nicht gegeben hätte? Wenn KDE von Anfang an quelloffen und freier lizenzierbar gewesen wäre? Die Notwendigkeit für ein Gnome hätte dann nicht bestanden. Würden dann heute alle nur KDE nutzen? Oder hätte die fehlende Konkurrenz von Gnome dazu geführt, dass KDE sich nicht so progressiv entwickelt hätte? Welche Oberflächen würden die Enterprise-Distributionen heute nutzen, wenn es kein Gnome gäbe? Wie sähen all die Linux-Programme heute aus, wenn GTK mangels Gnome keinen solchen Schub bekommen hätte? Gäbe es dann all die Linux-Programme überhaupt? Auch den ganzen Ameisenhaufen an Desktopumgebungen würde es heute nicht geben. Denn wo kein Gnome, da auch keine Abspaltung von Gnome. Kein Cinnamon, kein Mate.
Gnome-2-Desktop im Jahre 2006 (in OpenSUSE 10.1)
Ohne Gnome wäre die Linuxlandschaft heute definitiv ärmer – und sähe wohl tatsächlich ganz anders aus. Vielleicht einheitlicher, vielleicht aber auch noch viel uneinheitlicher – aber auf jeden Fall viel weniger vielfältig.
Aber das sind Spekulationen, der Ist-Zustand spricht für sich: Gnome hat es über die Jahre geschafft, zum Standarddesktop vieler bedeutender Distributionen zu werden, zu bleiben oder, wie im Fall von Ubuntu, erneut zu werden. Die Enterprise-Distris von Suse und Red Hat setzen auf Gnome, Ubuntu wurde mit Gnome groß und versucht bald wieder daran anzuknüpfen, Fedora und Debian sind ebenfalls Gnome-Distributionen. Wenn es Gnome nicht gegeben hätte, hätte man es vielleicht trotzdem erfinden müssen. Gnome, ob man es nun persönlich mag oder nicht, kommt jedenfalls das Verdienst zu, viel für den Linux-Desktop getan zu haben.
Zwischen Gnome 1 und Gnome 2 lagen knapp 5 Jahre, zwischen Gnome 2 und Gnome-Shell schon fast 10 Jahre Entwicklungszeit. Mal angenommen, das würde sich so fortsetzen, dann könnten wir um das Jahr 2035 herum mit Gnome 4 rechnen. Für die nächste Zeit jedenfalls hat die Linuxwelt einen modernen, aktiv weiterentwickelten, zuverlässigen und stabilen Desktop. Gratulation, Gnome!