Die Gnome-2-Fans sind einfach nicht totzukriegen. Noch immer trauern sie mehrheitlich ihrem einst perfekten Desktop hinterher, für den es seit dem Wechsel zur Gnome-Shell einfach keine richtige Alternative mehr zu geben scheint.
Die Lösungen, um dem Dilemma zu begegnen, sind vielfältig: Die einen halten Gnome 2 unter dem neuen Namen Mate künstlich am Leben wie der Notarzt den gerade Gestorbenen – doch dem alten Desktop wieder Leben einzuhauchen ist noch nicht wirklich wieder gelungen. Oder sie entnehmen wie bei der Transplantation die wichtigsten Organe und versuchen sie in ein neues System zu implantieren – wie es gerade Consort versucht. Die anderen pimpen die Shell unter dem Label Cinnamon so lange, bis sie wieder annähernd wie Gnome 2 funktioniert. Noch andere basteln sich einfach selbst was, was sich wie Gnome 2 anfühlt. Und Ubuntu geht sowieso seinen eigenen Weg.
Vielleicht sollte man doch noch einmal einen Blick auf tatsächliche Alternativen werfen und sich komplett von Gnome entfernen. Denn das Festhalten, Nachbauen oder Zusammenstückeln an und von Gnome-Komponenten wäre gar nicht nötig. Schon längst gibt es eine bereitstehende Alternative, die nicht nur alte Gnome-Nutzer gerne willkommen heißt, da sie die von Gnome 2 gewohnten, traditionellen Arbeitsweisen bereithält, sondern sich auch noch kontinuierlich verbessert: Die Rede ist von XFCE.
XFCE neu entdeckt
In der Standard-Konfiguration sieht XFCE ähnlich aus wie KDE 1, Enlightenment oder auch Mac OS: Ein etwas dickeres Panel unten in der Mitte und wahlweise eine schmalere Taskleiste am oberen Bildschirmrand.
XFCE, wie es eigentlich aussieht
Fantastisch ist jedoch, dass sich XFCE mit wenigen Handgriffen auch äußerlich in einen Gnome-2-Klon verwandeln lässt. XFCE sieht dann Gnome 2 in seiner alten Standardansicht zum Verwechseln ähnlich – und lässt sich auch so bedienen. Sogar Linus Torvalds zählte während akuter Gnome-Unzufriedenheit einmal zu den XFCE-Nutzern.
So manche Distribution setzt von Haus aus auf eine Gnome-2-ähnliche Optik, z.B. Xubuntu oder Sabayon Linux. Debian und Fedora liefern hingegen natives XFCE aus und Open Suse und Mageia designen es windowsartig.
Innere Werte
Aussehen ist natürlich nicht alles. Doch auch funktional schließt XFCE immer weiter auf. Die Zeiten sind vorbei, in denen man XFCE als „Gnome light“ bezeichnen konnte. XFCE wird immer runder – und da Gnome 3 inzwischen immer mehr Funktionalität entfernt hat, ist es fast schon umgekehrt: Gnome-Shell ist quasi XFCE light.
Beispiel Dateimanager: Während Gnome Funktionen ausbaut, baut XFCE welche ein. Was Nautilus-Fans bei XFCEs Thunar bislang vermissten, ist seit Thunar 1.6.2 mit dabei: Thunar beherrscht nun endlich Tabs. Über das Kontextmenü lassen sich Ordner nun wahlweise auch in neuen Reitern öffnen.
Neuer Kontextmenüeintrag in Thunar
Thunar beherrscht nun Tabs
Die geteilte Ansicht, die man bei Nautilus jüngst entfernt hat, beherrscht Thunar allerdings noch nicht. Aber vielleicht kommt das ja auch noch. Auch ansonsten merkt man, dass an XFCE kontinulierich gefeilt und verbessert wird – beständig, ohne böse Überraschungen. Ein Merkmal, das früher Gnome für sich beanspruchen konnte.
Vor allem bei der Konfiguration und den Möglichkeiten der Panels hat sich in den letzten Versionen eine Menge getan. Einstellungen für Transparenz oder Farben lassen sich nun direkt in den Einstellungen auswählen, kryptisches Editieren in Theme-Dateien ist nicht mehr nötig. Neben den klassischen Panel-Ansichten gibt es bei XFCE nun auch die Einstellungsmöglichkeit als sogenannte „Deskbar“: Die Leiste lässt sich dabei vertikal am linken oder rechten Rand platzieren, die Größen der einzelnen Bereiche individuell anpassen.
Links und rechts konnte man die Leisten natürlich auch früher schon anordnen, doch erst jetzt mit dem Deskbar-Modus ist es auch erstmals sinnvoll möglich. Die Symbole laufen damit etwa über mehrere Spalten, die Taskleiste lässt sich stapeln. Auf diese Weise nutzt man den Platz auf breiten Monitoren effektiver und bekommt mehr Übersicht, als die schmalen Leisten oben oder unten dies bieten könnten.
Keine Kopie
Bei aller Ähnlichkeit ist XFCE natürlich keine Gnome-2-Kopie, auch wenn es vom Look ’n’ Feel her dennoch einen fantastischen Gnome-2-Ersatz darstellt – und entsprechend konfiguriert Gnome 2 sehr nahe kommen kann. Gerade weil weiterhin GTK 2 verwendet wird, ergibt sich mit den Anwendungen wie Open/Libre Office oder Firefox ein homogenes Desktop-Bild. Nutzt man XFCE mit dem Adwaita- bzw. Bridge-Theme, sieht es auch noch so schick aus wie Gnome 3 – und die aktuellen Gnome-Anwendungen fügen sich wunderbar in XFCE ein, wenn man nicht auf sie verzichten mag.
Die Bezeichnung „Gnome light“ war dennoch schon immer falsch. Das XFCE-Projekt ist älter als Gnome und genauso alt wie KDE. Auch wenn heute ebenfalls GTK als Toolkit eingesetzt wird, wodurch vor allem die Nähe zu Gnome begründet ist, und XFCE von Vielen oft als ressourcenschonendere Alternative zum größeren Gnome angepriesen wurde, ist der Ansatz ein ganz anderer. Konzeptionell war man immer etwas näher an KDE dran als an Gnome. Mehr Einstellungen statt weniger und viel Kontrolle und viele Optionen für den Benutzer. Dazu das klassische Unix-Desktop-Konzept ohne Designexperimente. Nichtsdestotrotz verwirklicht XFCE auch eigene Ideen, was sich z.B. eben gerade in jener Deskbar zeigt.
KDE oder Gnome sind „XFCE heavy“ – nicht umgekehrt. XFCE läuft auf aktuellen Systemen wunderbar und sehr schnell, dank eingebautem Compositor auch optisch sehr ansprechend. Dass es auch auf älteren Systemen weiterhin verwendbar ist, ist ein schöner Bonus, aber eigentlich nicht Ziel des Projekts. Dafür gibt es andere Lösungen.
XFCE ist im Kommen
Während selbst Linux-Experten mit der Gnome-Shell 10 Minuten brauchen, um eine simple Desktop-Hintergrundfarbe einzustellen, während Mate weiterhin etwas hakelig läuft, Cinnamon nur auf moderner Hardware lauffähig ist und LXDE zu spartanisch und wenig integriert daherkommt, füllt XFCE die Lücke, die Gnome 2 hinterlassen hat – und das mittlerweile sogar fast besser als das alte Gnome. Wenn man bedenkt, dass an XFCE nur ein Bruchteil dessen werkelt, was damals für Gnome 2 an Entwicklern bereitstand, dann ist das ein beachtliches Ergebnis.