Gnome hat mit dem radikalen Umbau zur Gnome-Shell eine Lücke in der Linux-Desktoplandschaft hinterlassen, die auch die weiteren Desktopumgebungen wie XFCE, LXDE oder Enlightenment trotz aller Anstrengungen bislang nicht füllen konnten. Der traditionellen Gnome-Klientel blieb nur, auf KDE umzusteigen, sich an die Shell zu gewöhnen oder Abstriche beim Desktopumfang in Kauf zu nehmen. Inzwischen steht mit Mate wieder ein zukunftssicherer Desktop als Alternative zum neuen Gnome bereit, der das alte Gnome 2 fortführt. Im Gegensatz zum KDE-3-Nachfolger Trinity, das außer in Spezialfällen praktisch keine große Rolle spielt, sieht es bei Mate anders aus.
Als Mate gerade im Entstehen war, war noch nicht absehbar, ob es nur eine vorübergehende Erscheinung bleiben würde oder tatsächlich zu einer ernstzunehmenden, dauerhaften Alternative avanciert. Ähnlich wie Trinity wirkte es zunächst nur wie der trotzige Versuch, das zu retten, was nicht mehr zu retten war. Doch während das Trinity-Projekt kaum Beachtung findet, weil KDE nur die Technik und nicht das Desktopkonzept änderte, sieht es bei Mate anders aus. Mate hat mittlerweile den Einzug in eine beachtliche Zahl von Distributionen geschafft. Denn es ist nicht mehr nur der Versuch, den Status quo zu erhalten, sondern eine aktive Weiterentwicklung des alten Gnome-2-Desktops. Die Portierung auf GTK 3 ist fast abgeschlossen.
In den meisten Distributionen wieder vorhanden
Nachdem Gnome 2 in den letzten Jahren nach und nach aus den Distributionen verschwand und durch die Gnome-Shell ersetzt wurde, die auch im Classic-Modus nicht mehr an das alte Gnome anzuknüpfen vermag, ist es in Form von Mate nun wieder in die meisten Distributionen zurückgekehrt. Nachdem es zunächst in Linux Mint zu neuer Blüte kam, gibt es Mate nun auch wieder bei Ubuntu und Fedora, auch Mageia, Arch Linux und Suse haben es offiziell in den Paketquellen. Sogar für das noch-aktuelle, stabile Debian 7 ist es verfügbar, man muss lediglich die Backports-Softwarequellen einbinden – und schon hat man Mate zur Auswahl.
In Debian 8 wird Mate Bestandteil des regulären Softwareangebots sein. Mit Point Linux und Descent OS gibt es sogar zwei Distributionen, die Mate als Standarddesktop einsetzen.
Rolle rückwärts – dank x-tem Fork
Dass es Mate nun auch als Ubuntu-Variante gibt, ist eine Ironie der Geschichte, denn somit findet die Desktopumgebung den Weg von der Abspaltung (Linux Mint) wieder zurück zur Mutterdistribution (Ubuntu) – für dessen Grundlage Debian Mate ebenfalls verfügbar ist. Somit hat sich der alte Gnome- bzw. nun Mate-Desktop gewissermaßen rückwärts durch alle Instanzen wieder zur Basis zurückgekämpft (nur, falls mal wieder jemand fragen sollte, wozu es den 100. Fork einer Linuxdistribution eigentlich braucht). Zwar wäre die Entwicklung von Mate auch ohne Linux Mint möglich gewesen, es dürfte jedoch feststehen, dass die standardmäßige Verwendung bei Mint die Akzeptanz von Mate forciert und dessen Wiederkehr beschleunigt hat.
Nachinstallieren
Beim Nachinstallieren zeigt sich Mate mal besser und mal weniger gut vorkonfiguriert. Wählt man z. B. bei Debian das Paket mate-desktop-environment-core, landet zunächst nur die Kerninstallation auf dem System. Damit Mate nicht im kantigen Notfall-Look erscheint, muss noch das Paket mate-themes hinterherinstalliert werden. Dort versteckt sich Mates Standard-Design „Menta“, das den Desktop in ein dezentes Grün-Grau taucht – und damit zugleich seine originäre Herkunft aus dem Linux-Mint-Projekt offenbart.
Neue Namen, alte Funktionen
Wer noch mit Gnome 2 vertraut ist, findet zwar sofort viel Bekanntes wieder, muss sich aber vor allem mit neuen Bezeichnungen vertraut machen. Um Nebenwirkungen mit Gnome 2 zu vermeiden, tragen alle Programme der Mate-Umgebung neue Namen. Nautilus, das im neuen Gnome nur noch „Dateien“ genannt wird, heißt nun Caja und verfügt noch über alle Funktionen, die man beim Nautilus des aktuellen Gnomes längst ausgebaut hat. Geteilte Fensteransicht, Embleme für Ordner und Dateien, Seitenleiste mit Baumansicht, all das gibt es bei Caja weiterhin. Auch die Transparenz des Terminals, das statt Gnome-Terminal nun folgerichtig Mate-Terminal heißt, plant man bei Mate nicht abzuschaffen.
Menüs werden nun mit Mozo editiert
Der Menüeditor, der ebenfalls meist nicht gleich mitinstalliert wird, hat ebenfalls einen neuen Namen: Wer es wie zu Gnome-2-Zeiten mit Alacarte versucht, kommt nicht weit. Benötigt wird das Paket mozo, dann klappt’s auch wieder mit den Menüeinträgen im Panel.
Spagat zwischen Tradition und Moderne
Mate will einerseits die ausgereifte Gnome-2-Umgebung bewahren, die traditionelle Desktop-Bedienung hochhalten, die Desktopumgebung aber auch behutsam weiterentwickeln und weiter verbessern. Auch soll Mate weiterhin auf älterer oder schwächerer Hardware ohne Compositing-Fähigkeiten laufen, hier grenzt man sich bewusst vom neuen Gnome ab. Trotzdem will man zukunftsfähig bleiben, dazu wird Mate gerade auf GTK 3 portiert. Großartige (Neu-)Entwicklungen darf man hier nicht erwarten, dafür fehlt die Personalstärke des einstigen Gnomes. Aber für die Feinheiten wird gesorgt. Mate macht dabei schon jetzt absolut keinen verstaubten Eindruck, im Gegenteil, die Grundkonfiguration kommt frisch daher. Schon allein die neue Standarddeko, die frischer und moderner wirkt als das traditionelle Clearlooks, muss den Vergleich mit Adwaita nicht scheuen. Mate ist daher nicht nur etwas für alte Gnome-Fans, sondern auch eine neue Alternative für alle, die einen flotteren Desktop als Gnome-Shell oder KDE suchen – dabei aber nicht auf XFCE oder LXDE/LXQT ausweichen wollen.
Mate oder XFCE?
Mate hat im Grunde nicht viel, was XFCE nicht auch hat, aber es bleibt für Gnome-Fans dennoch vertrauter, die Eigenheiten von Gnome 2 findet man auch in Mate wieder. Vor allem aber sind viele der Komponenten umfangreicher und mächtiger, was letztendlich den Unterschied macht und den Ausschlag geben kann für den Einsatz von Mate; der Funktionsumfang ist teils immer noch größer als bei XFCE & Co. Zu den Vorteilen gegenüber XFCE zählen z. B. frei positionierbare Icons auf dem Desktop bzw. im Dateimanager oder die individuelle, ordnerspezifische und erhalten bleibende Sortierreihenfolge in Caja.
Geteilte Ansicht in Dateimanager Caja
Dafür fehlen wiederum nützliche Funktionen, die man bei LXDE, XFCE oder KDE schätzen gelernt hat, wie etwa das Verschieben von Fenstern über die Bildschirmränder hinaus auf den nächsten virtuellen Desktop, Fensterlisten bei Mittelklick oder auch das Scrollen durch Arbeitsflächen auf dem Desktop. Hieran sieht man, dass Mate eben doch ein Gnome-2-Fork ist und nicht progressiv fortentwickelt wird. Die Konturen des alten Gnome 2 bleiben erkennbar.
Neue Bugs
Auch neue Fehler haben sich eingeschlichen. Es macht sich bemerkbar, dass die Qualitätskontrolle – offenbar mangels Manpower und großer Nutzerbasis – nicht den Umfang wie früher bei Gnome erreicht. So lässt sich die Symbolgröße auf dem Desktop nicht verändern, die Panels zeigen gelegentlich Artefakte. Das Schubladen-Applet für das Panel kommt auf einmal nicht mehr mit Umlauten und Leerzeichen in Dateinamen zurecht. Besonders gravierend wirkt sich der aktuelle Tastenkürzel-Bug aus: Nach dem Anlegen von eigenen Tastenkürzeln lässt sich das Einstellungsfenster für die Tastenzuordnung nicht mehr öffnen. Der Aufruf von mate-keybinding-properties meldet fortan nur einen Speicherzugriffsfehler. Mit dem Befehl
dconf reset -f /org/mate/desktop/keybindings/ |
lässt sich das Ganze zwar wieder reparieren, beim nächsten Eintragen von Tastenkürzeln geht es jedoch erneut kaputt. Hier hilft nur ein Workaround, also das Vermeiden dieser Funktion und das Einsetzen einer desktopunabhängigen Alternative, z. B. via xbindkeys.
Zukunftsfähig
Mate gibt sich bodenständig und bietet eigentlich alles, was viele Linuxer auf dem Desktop wollen – was man am damaligen Erfolg von Gnome 2 sehen konnte. Alte Gnome-Fans und Anhänger des traditionellen Desktops mit Icons und Panel-Symbolen müssen sich also nicht mit KDE beschäftigen oder sich abgespeckte Alternativen wie XFCE oder LXDE suchen, sie müssen sich die Shell auch nicht zurechtbiegen oder zurechtbiegen lassen oder andere Ausweichlösungen nutzen, wenn sie klassisches Gnome-Desktop-Gefühl möchten. Sie können mit Mate einfach das Original nehmen. Man bekommt einfach einen Desktop, der schon alles Nötige an Bord hat – und auf darüberhinausgehende Experimente verzichtet. In einem Satz: Mate ist flotter als KDE, praktischer als Gnome-Shell und umfangreicher als XFCE.
Die alten Themes in frischem Grün
Werden die kleinen Schwachstellen beseitigt, ist Mate auf dem besten Wege, sich hinter KDE und Gnome zur neuen, festen Größe neben XFCE und LXQT zu etablieren. Womit zum Kanon der verbreiteten Linux-Desktops künftig also fünf statt vier Oberflächen zu zählen wären.